# taz.de -- Wissenschaftsjournalismus: Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'
       
       > Wer bezahlt über Wissenschaft schreibt, steht unter dem Verdacht, nur ein
       > Sprachrohr der „Scientific Community“ zu sein. Es ist nicht besser
       > geworden.
       
 (IMG) Bild: Lecker Stulle. Aber wer hat sie bezahlt?
       
       BERLIN taz | Zum Jahresende häufen sich für die deutschen
       Wissenschaftsjournalisten die Termine in eigener Sache: Preisverleihungen
       und Fachkonferenzen stehen an, wie in dieser Woche die dreitägige
       [1][„Wissenswerte“ in Bremen.] 
       
       Zum „Familientreffen“ der Wissenschaftsschreiber, ausgerichtet vom
       Berufsverband [2][Wissenschafts-Pressekonferenz (WPK]), kamen rund 500
       Teilnehmer nach Bremen. Nächste Woche findet in Dresden das jährliche
       [3][„Forum Wissenschaftskommunikation“] statt, das die
       Öffentlichkeitsarbeiter aus Forschung und Hochschulen organisieren.
       
       Es wird zwar viel berichtet über Wissenschaft in Zeitungen und
       TV-Sendungen, dennoch ist der unabhängige Wissenschaftsjournalismus derzeit
       einem doppelten „Medienstress“ ausgesetzt, der sich mit dem Zeitungssterben
       aktuell weiter verschärft hat.
       
       Trend 1: In den Verlagen wird unter Kostendruck vor allem der Rotstift bei
       politisch „leichtgewichtigen“ Ressorts wie der Wissenschaft zuerst
       angesetzt. Jetzt rächt sich, dass es in deutschen Medien keine ausgeprägte
       Berichterstattung über Wissenschaftspolitik gibt.
       
       Wie der Bundestag über die Finanzprobleme der Forschungsorganisationen
       diskutiert, etwa jüngst die Millioneneinbußen durch
       Umsatzsteuer-Nachzahlungen bei der [4][Helmholtz-Gemeinschaft], ist für
       Wissenschaftsjournalisten kein Thema.
       
       ## Kaum Kontakt zu Fachjournalisten
       
       Trend 2: Jenseits der etablierten Medien haben die
       Wissenschaftsorganisationen im letzten Jahrzehnt ein eigenes
       Kommunikationssystem aus öffentlichen Veranstaltungen, kostenlosen
       Magazinen und zielgruppengerechten Internetangeboten aufgebaut. Der Kontakt
       zu Wissenschaftsjournalisten – früher ein Muss – wird so verzichtbar.
       
       Begonnen hatte der Kommunikationsaufbruch der deutschen
       Wissenschaftsorganisationen 1999 mit der Initiative „Public Understanding
       of Science“ des [5][Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft]. Seitdem
       wird durch die gemeinsame Organisation [6][Wissenschaft im Dialog] (2,5
       Millionen Euro), aber auch durch das [7][Bundesforschungsministerium] (zehn
       Millionen Euro) ein Riesenaufwand an populären Wissenschaftsjahren,
       Kinder-Universitäten und Schülerlabors, Forschungsschiffen und -zügen
       inszeniert, um Wissenschaft unters Volk zu bringen.
       
       „Über allen Formaten steht die große Metaerzählung: Wir sind erfolgreich,
       und um weiter erfolgreich zu sein, brauchen wir euer Geld“, bekannte Volker
       Meyer-Guckel vom Stifterverband auf der Jahrestagung der [8][Gesellschaft
       Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ)] im September in Göttingen. Dabei
       handele es sich letztlich um nichts anderes als um Wissenschaftsmarketing
       oder Lobbyismus.
       
       ## Druck der Stiftungen
       
       Immer stärker wird auch der Einfluss von Stiftungen auf den
       Wissenschaftsjournalismus. Bereits in den 80er Jahren hatte die
       [9][Robert-Bosch-Stiftung] mit einem Förderprogramm für junge
       Wissenschaftsjournalisten und einer Stiftungsprofessur an der FU Berlin
       dafür gesorgt, dass sich das Nischenressort in den Redaktionen emanzipieren
       konnte.
       
       Die Journalistenkonferenz „Wissenswerte“ kam vor neun Jahren erst mit
       Geldern der [10][Bertelsmann-Stiftung] auf die Beine. Vor wenigen Monaten
       hat die [11][Stiftung des Milliardärs und SAP-Gründers Klaus Tschira] am
       [12][Karlsruhe Institut of Technology] zehn Millionen Euro in den Aufbau
       eines [13][Nationalen Instituts für Wissenschaftskommunikation (NaWik)]
       investiert. Es soll Wissenschaftlern helfen, sich besser verständlich zu
       machen.
       
       Nächste Neuerung soll für Deutschland der Aufbau eines Science Media
       Centers (SMC) sein, das von den WPK auf der Bremer Konferenz vorgestellt
       wurde. Nach dem Vorbild Großbritannien, wo es [14][ein derartiges Zentrum]
       bereits seit zehn Jahren gibt, sollen im SMC Wissenschaftler für
       tagesaktuelle „Feuerwehreinsätze zu Forschungsfragen“ bereitstehen.
       
       ## Filter gegen Fehldarstellungen
       
       Bei Naturkatastrophen oder gesellschaftlichen Debatten zu Medizin und
       Technik sollen auf diese Weise präzise und korrekte Informationen in die
       Medien wandern, quasi ein wissenschaftlicher Filter gegen journalistische
       Fehldarstellungen. Getragen werden müsste die Aktion von der Wissenschaft
       oder einem anderen öffentlichen Finanzgeber.
       
       Auch das Treffen der Bremer Wissenschaftsjournalisten findet künftig nicht
       mehr ohne Geld der Forschungsinstitute statt. Nachdem im vergangenen Jahr
       durch Auslaufen der Stiftungsfinanzierung die „Wissenswerte“ vor dem Aus
       standen, erklärten sich die großen deutschen Forschungsorganisationen jetzt
       bereit, für fünf Jahre eine Sockelfinanzierung zu übernehmen. Hilfe zum
       Überleben, die dankend angenommen wird, aber manchem Journalisten auch
       Unbehagen auslöst: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
       
       In der Tat wird die Finanzierungsfrage das Zukunftsthema des unabhängigen
       Wissenschaftsjournalismus sein. Neue Ansätze wie Crowdfunding, das eine
       Direktfinanzierung durch den Leser zu erreichen sucht, stecken in
       Deutschland noch so sehr in den Anfängen, dass sie in Bremen nicht einmal
       diskutiert wurden.
       
       ## Leser = Crowd = Cash
       
       Im Oktober startete der Kölner Wissenschaftsjournalist Thomas Reintjes
       seinen Versuch eines [15][Crowdfunded Magazine mit dem Titel Feodo]. Die
       Idee: „Journalisten stellen bei Feodo ihre Themen, Ideen und Konzepte vor.
       Die Leser, die Crowd, suchen die vielversprechendsten heraus, indem sie sie
       mit Geldbeträgen unterstützen.“
       
       Die voll finanzierten Ideen werden dann umgesetzt und im Onlinemagazin
       Feodo publiziert. Doch die Sprunglatte war zu hoch gelegt: Statt der
       angestrebten 10.000 Euro wurden nur 2.083 Crowd-Euro gespendet. Im nächsten
       Jahr will Reintjes einen neuen Anlauf unternehmen.
       
       30 Nov 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.wissenswerte-bremen.de/Home
 (DIR) [2] http://www.wissenschafts-pressekonferenz.de/
 (DIR) [3] http://www.wissenschaft-im-dialog.de/wissenschaftskommunikation/forum.html
 (DIR) [4] http://www.helmholtz.de/
 (DIR) [5] http://www.stifterverband.info/
 (DIR) [6] http://www.wissenschaft-im-dialog.de/
 (DIR) [7] http://www.bmbf.de/
 (DIR) [8] http://www.gdnae.de/
 (DIR) [9] http://www.bosch-stiftung.de
 (DIR) [10] http://www.bertelsmann-stiftung.de
 (DIR) [11] http://www.klaus-tschira-stiftung.de
 (DIR) [12] http://www.kit.edu
 (DIR) [13] http://www.nawik.de/
 (DIR) [14] http://www.sciencemediacentre.org/
 (DIR) [15] http://www.indiegogo.com/feodo
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Manfred Ronzheimer
       
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       Der Wikipedianer Ken Mample verhinderte, dass auf der Seite zu Hurricane
       Sandy der Klimawandel erwähnt wurde – vier Tage lang. Er startete einen
       „edit war“.