# taz.de -- Aufarbeitung der NS-Zeit: Die Jacke des jüdischen Großvaters
       
       > Der Schriftsteller Christoph Ernst behandelt in seinen Krimis die
       > deutsche Vergangenheit und ihre Aufarbeitung.
       
 (IMG) Bild: Die Lederjacke schenkte ihm der Großvater seiner polnisch-jüdischen Frau: Christoph Ernst
       
       Christoph Ernst zieht gar nicht erst die Jacke aus, setzt sich nur so hin,
       dass ihm die Sonne nicht ins Gesicht scheint und ihn blendet – und dann ist
       da seine dunkle, sonore, sehr tragende Stimme. Sein Vater stamme aus einer
       sozialen Absteigerfamilie, erzählt er. „Er log immer, er wohnte am
       Rothenbaum, tatsächlich wohnte er am Grindel. Aber er hat mir viel erzählt,
       etwa, wie es war, als er seine Nennpatentante 1942 während einer seiner
       wenigen Heimaturlaube zur Sammelstelle brachte.“
       
       Gerade hat Ernst einen neuen Krimi vorgelegt: „Dunkle Schatten“ führt,
       durch viel Lokalkolorit geerdet, in das Berlin der Jahre nach dem
       Mauerfall. Die 68-jährige Jüdin Käthe Hirsch ist einer Einladung des
       Berliner Senats gefolgt, ihre Heimatstadt zu besuchen, doch nun ist sie
       tot; vermutlich Selbstmord, sagt die Polizei. Ihre Großnichte aus Hamburg
       macht sich eher unwillig auf nach Berlin, versucht zu klären, was passiert
       ist. Und am Ende sind die Guten nicht mehr unbedingt die Guten.
       
       Die NS-Zeit, ihr Weiterwirken, die Mühen der Aufarbeitung, das ist Ernsts
       Themenfeld. Er studiert Geschichte, reist Ende der 70er nach Israel, Anfang
       der 80er in die USA, lernt eine Frau kennen, kümmert sich um ein
       Stipendium, damit er in New York bleiben kann; bei ihr und ihrer
       jüdisch-polnischen Familie, die Ende der 30er noch rechtzeitig aus Europa
       fliehen konnte: „Es gab in dieser Familie viele Geschichten über die oft
       abenteuerlichen Fluchten vor den Nazis, die mich sehr berührt und die mich
       auch angefasst haben.“
       
       Man lädt ihn ein, erzählt ihm, er hört zu, seiner Freundin und späteren
       Frau aber sagt man: „Du kannst diesen deutschen Goi allen unseren
       Verwandten vorstellen, aber nicht deinem Großvater, das bringt ihn ins
       Grab.“ Denn geboren und aufgewachsen in Lemberg, hat der Großvater mehrere
       Lager überlebt – und die meisten seiner Familienmitglieder verloren, bevor
       er seine Frau kennenlernte und mit ihr auswanderte.
       
       Doch dann lädt der Großvater das junge Paar zu sich ein: „Er war sehr
       warmherzig, hat mich gefragt, ob ich nicht Heimweh nach Deutschland hätte,
       und ich: Nein, so richtiges Heimweh hätte ich nicht, nur nach meiner
       Sprache. Und dann fing dieser alte Herr an deutsch mit mir zu reden, sprach
       zu mir in einem erstaunlich guten Kanzleideutsch aus der alten
       K&K-Monarchie.“
       
       Dann ist da noch die Geschichte mit dem Pullover. Christoph Ernst ist
       zurück aus den USA, wohnt wieder in Hamburg und freundet sich mit einem
       seiner Nachbarn an: „Er war 15 Jahre älter als ich, wir plauschten über den
       Hinterhof miteinander, sprachen auch über unsere Väter, sein Vater war in
       der SS gewesen, wobei ich wusste, dass nicht jeder SS-Mann automatisch in
       den Lagern eingesetzt war. Jedenfalls: Sein Vater starb, er hatte viele
       Sachen in meiner Größe, Klamotten waren für mich teuer, wir suchten für
       mich Schuhe und Pullover aus. Ein paar Jahre später recherchierte ich zum
       Majdanek-Prozess und stolperte über den Namen, dessen Pullover ich trug.“
       Wobei er über dem Pullover eine Jacke trug, geschenkt von jenem Großvater
       seiner Frau aus New York. Denn eine Lungenentzündung im Winter in New York,
       das hatte der ihm gesagt, das sei kein Spaß.
       
       Auch diese Geschichte hat er aufgeschrieben, hat sie mit anderen, nicht
       minder berührenden Geschichten zu einem Kurzroman hinzu gefügt, „Im
       Spiegellabyrinth“ der Titel. Niemand wollte den Text bisher verlegen, er
       steht auf seiner Homepage: „Meinen allerersten Krimi habe ich in der
       idiotischen Hoffnung geschrieben, danach Verlage für dieses Buch begeistern
       zu können. Aber davon hab ich mich schnell verabschiedet.“
       
       So also ist er zum Krimi gekommen und kann in diesem Genre so einiges
       vorweisen, ohne dass er seine Themenwelt verlassen hat: Etwa in seinem
       Krimi „Kein Tag für Helden“, der davon erzählt, wie ein berühmter Autor in
       den Verdacht gerät, sein Erfolgsroman stammte in Wahrheit von einem
       jüdischen Schriftsteller, dessen Spuren sich in Auschwitz verlieren. Ernst
       nimmt das Buch in die Hand, sagt: „Ich bilde mir ein, das ist ein ganz
       gutes Buch.“ Der NDR war gleichfalls dieser Meinung, bat ihn um eine
       Hörspielfassung.
       
       Mittlerweile hat er auch die Vorlage für einen Bremer „Tatort“ geschrieben
       („Strahlende Zukunft“), gibt Schreibkurse an der Volkshochschule,
       organisiert Kriminächte: „Ich habe immer von Schreiben geträumt, es ist
       schön, dass ich das seit einem Dutzend Jahre ausschließlich tun kann.“
       
       Wenn er nicht in Hamburg weilt, wohnt er im Lauenburgischen in einem
       kleinen Dorf, was eine gewisse Rolle spielt bei dem Stoff, an dem er gerade
       sitzt: „Der Roman spielt einerseits in der Jetztzeit und er geht zugleich
       zurück in die Zeit von vor tausend Jahren, in die Zeit der Slawenmission.
       Denn dort, wo ich wohne, stießen einst sächsische und slawische
       Besiedlungen aufeinander, und wie mit den Wendenkreuzzügen und der Suche
       nach einem Jerusalem im Osten sich der christlich-deutsche Slawenhass
       entwickelte, der ja bis in unsere Gegenwart wirkt, das versuche ich in
       einen Roman zu packen.“
       
       So also arbeitet er, der Schriftsteller, der gewiss noch viele Krimis
       schreibt, bis sein wichtigstes Buch veröffentlicht wird.
       
       28 Nov 2012
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frank Keil
       
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