# taz.de -- Pussy-Riot-Statements vorgelesen: Den neuralgischen Punkt getroffen
       
       > Vor vier Monaten wurden drei Mitglieder von Pussy Riot verurteilt. Am
       > Mittwoch werden weltweit Statements des feministischen Kunstkollektivs
       > vorgelesen.
       
 (IMG) Bild: Zwei Mitglieder von Pussy Riot bei der Preisverleihung der 1Live Krone in Bochum. Sie erhielten den Preis in der Kategorie „Sonderpreis 2012“.
       
       Am 12. August 2012 wurden Nadeschda Tolokonnikowa, Jekaterina Samuzewitsch
       und Maria Alechina, Mitglieder des feministischen Kunstkollektivs Pussy
       Riot, zu zwei Jahren Arbeitslager wegen „Rowdytums aus religiösem Hass“
       verurteilt. Der Grund: die 40-sekündige Aufführung eines „[1][Punk-Gebets]“
       in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale im Februar.
       
       Fünf maskierte Frauen baten darin: „Jungfrau Maria, räum Putin aus dem
       Weg!“ Vier Monate nach dem infamen Urteil werden heute, einem Aufruf des
       internationalen literaturfestivals Berlin folgend, weltweit Lesungen für
       Pussy Riot stattfinden. In Universitäten, im Radio und auf Bühnen sollen
       Passagen aus den Gerichtsstatements des Kollektivs vorgetragen werden.
       
       Einige dieser Texte finden sich in dem nun bei Edition Nautilus
       erschienenen Band „Pussy Riot! Ein Punkgebet für die Freiheit“ wieder,
       einen Reader der Texte von Pussy Riot, Briefe der Angeklagten, die
       Plädoyers der Verteidiger und Gerichtsprotokolle versammelt. Im Vorwort
       erinnert die feministische Bloggerin Laurie Penny an die Dichterin Irina
       Ratuschinskaja, die 1983 wegen „antisowjetischer Umtriebe“ verurteilt wurde
       – eine Anerkennung, die Pussy Riot verwehrt blieb.
       
       Tolokonnikowa, Alechina und Samuzewitsch nämlich wurden des „Rowdytums“
       schuldig gesprochen. Das „Punk-Gebet“ galt dem Gericht weder als Kunst noch
       als politische Aktion. Auch in den deutschsprachigen Medien wurde Pussy
       Riot oft die politische Schärfe genommen: Das Kollektiv wurde als
       künstlerisch irrelevant, die Aktionen wurden als pornografisch abgetan.
       
       Dabei haben Pussy Riot ein dezidiert politisches Programm. In einer
       Erklärung vom März etwa fordern die nicht inhaftierten Mitglieder die
       Freiheit der sexuellen Identität, Multikulturalismus und die Wertschätzung
       der zeitgenössischen Kultur – Werte, die die russisch-orthodoxe Kirche
       ablehnt.
       
       Das „Punk-Gebet“ fand darum nicht auf einem öffentlichen Platz, sondern am
       Altar statt, dem symbolischen Ort des Ausschlusses von Frauen. Trotz der
       kalkulierten Provokation habe sie der Hass, der sie nach der Aufführung
       traf, überrascht, schreiben Pussy Riot: „Die Spannbreite der Drohungen, die
       uns erreichte, steht in keinem Verhältnis zu unserem Aktivismus.“
       
       ## „Vulgäres Heben der Beine“
       
       Ganz offensichtlich haben Pussy Riot einen neuralgischen Punkt getroffen.
       Ihre Kritik nämlich geht über das System Putin hinaus, richtet sich gegen
       autoritäre und religiöse Strukturen, gegen den bürgerlichen Wertekanon.
       Junge Frauen, Mütter gar, die sich gegen die Institution Familie
       aussprechen? Unverzeihlich.
       
       Dass die Angeklagten auch nicht von ihrer Kritik abließen, als sie dem
       Staat im Gerichtssaal ausgeliefert waren, wurmte die russische
       Öffentlichkeit. Dies spiegelt sich in den Zeugenaussagen: Eine Frau war von
       der bunten Kleidung der Aktivistinnen und dem „vulgären Heben ihrer Beine“
       so sehr erschüttert, dass sie angibt, noch heute Schmerzen zu verspüren.
       Ein Zeuge behauptet, das Punk-Gebet habe ihn traumatisiert.
       
       Neben gesellschaftskritischen Gedichten sind die Briefe, die die drei
       Frauen aus der Haft schrieben, besonders eindrucksvoll. Obwohl die
       Textauswahl im Buch überschaubar bleibt, bekommt man einen Eindruck von der
       Kompromisslosigkeit von Pussy Riot. Die Angeklagten philosophieren in ihren
       Briefen über Foucault, berichten von den Demütigungen, zu wenig Essen und
       eiskalten Zellen.
       
       Dass sie trotzdem nicht einknickten, ist bewundernswert. Von Reue ist in
       ihren Schlussplädoyers keine Spur. „Am Ende beschlossen die Machthaber
       angesichts der irreversiblen politischen Schäden durch unsere unschuldige
       Kreativität, die Öffentlichkeit vor unseren nonkonformistischen Ansichten
       zu schützen“, rekapituliert Samuzewitsch, die im Oktober als einzige nach
       einem Berufungsverfahren freikam.
       
       Dass Pussy Riot „die jahrhundertealten Fundamente des orthodoxen Glaubens
       zerstört“ habe, wie Verteidigern Violetta Wolkowa triumphierte, ist zwar
       übertrieben. Ganz sicher aber hat das Kollektiv das Patriarchat in Religion
       und Politik schmerzhaft getroffen – und wird dies vermutlich auch weiterhin
       tun.
       
       ## . Aus dem Englischen von Barbara Häusler, Nautilus 2012, 9,90 Euro.
       Lesungen u. a. im Martin-Gropius-Bau, Berlin, 19.30 Uhr; Schauspielhaus
       Frankfurt, 20 Uhr, Monsun Theater, Hamburg, 19.30 Uhr. Mehr Infos: .
       
       12 Dec 2012
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.youtube.com/watch?v=ffQEqkowBTY
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sonja Vogel
       
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