# taz.de -- Pussy-Riot-Prozess in der Kunst: Die Frömmler sagten zu
       
       > Ein Schweizer Regisseur stellt religiös motivierte Gerichtsprozesse in
       > Moskau nach. Die Protagonisten machen eifrig dabei mit.
       
 (IMG) Bild: Die russisch-orthodoxe Kirche ist nicht generell gegen die körperliche Nähe zweier Männer.
       
       MOSKAU taz | Am 3. März jährt sich die Festnahme der Aktivistinnen der
       Frauenpunkband Pussy Riot in Moskau zum ersten Mal. Der 3. März 2013 ist
       auch der Tag, an dem über die Punkerinnen noch einmal von Neuem zu Gericht
       gesessen wird.
       
       Die Frauen hatten in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau vor einem Jahr
       stoßgebetartig die Jungfrau Maria ersucht, Kremlchef Wladimir Putin zu
       vertreiben und dem Machtbündnis aus Kirche und Kreml einen wirksamen Riegel
       vorzuschieben. Dafür müssen zwei von ihnen mit zwei Jahren Lagerhaft büßen.
       Die Wiederaufnahme des Prozesses findet unterdessen im Museumszentrum
       Sacharow statt, einer eingeführten Moskauer Adresse für
       politisch-künstlerischen Dissens.
       
       Veranlasst hat die Revision des „Moskauer Prozesses“ der junge Schweizer
       Theaterregisseur Milo Rau, „um etwas Bewegung in die starren russischen
       Verhältnisse zu bringen“, wie es eine Pressemitteilung vollmundig
       verkündet. Rau selbst gibt sich indes bescheidener, der Griff nach der
       großen Geschichte ist nicht sein Metier. Als seine Aufgabe sieht er, reales
       historisches Geschehen künstlerisch zu rekonstruieren.
       
       Er nennt das Format seines politischen Theaters Reenactment, über dessen
       Ästhetik er auch eine Dissertation anfertigte. Ihm geht es um ein
       Wieder-Holen, nicht um ein bloßes Nachstellen eines Geschehens. Das
       eröffnet einen neuen Zugang, alle Beteiligten erhalten die Chance, noch
       einmal gründlich nachzudenken. Ohne dass von der Regie manipulativ
       eingegriffen würde. Mit dem Genre des Theaters des Realen feierte der
       35-Jährige beachtliche Erfolge, letztes Jahr mit „Hate Radio“.
       
       Im Moskauer Prozess wird jedoch nicht nur das Verfahren gegen Pussy Riot
       neu eröffnet. Ab Freitagabend werden drei Tage lang drei verschiedene
       Prozesse repetiert, die für Rau Vorboten jener Hysterie um Pussy Riot
       waren. 2003 fand im Sacharow-Zentrum die Ausstellung „Vorsicht, Religion“
       statt, die religionskritische Werke zeigte. Darunter so harmlose Dinge wie
       ein für Coca-Cola werbender Jesus oder auch ein Gemälde, das Figuren auf
       ein Hakenkreuz, ein christliches Kruzifix und einen Sowjetstern schlug.
       Eiferer der orthodoxen Kirche sahen sich von der Kunst in ihrem Glauben
       verletzt und verwüsteten in einem pogromartigen Überfall die Ausstellung.
       
       ## Selbstjustiz der Frömmler
       
       Überraschend war die eindeutige Stellungnahme in den meisten Medien, die
       die Künstler für die Auswüchse verantwortlich machten. Auch der heutige
       Patriarch der orthodoxen Kirche, Kirill, rechtfertigte die Selbstjustiz der
       Frömmler. Die Kuratoren der Ausstellung wurden nach zweijähriger
       Verhandlung zu Geldstrafen verurteilt. Zum ersten Mal zeichnete sich eine
       Nähe zwischen religiös-klerikalem Fundamentalismus und den patriotischen
       Losungen des geheimdienstlichen Russlands unter Putin ab.
       
       Ähnliches wiederholte sich 2007 – wieder im Sacharow-Zentrum. Diesmal ging
       es um vermeintlich „verbotene Kunst“ aus den Magazinen der
       Tretjakow-Galerie, die deren Direktor Andrei Jerofejew ausgesucht hatte.
       Wer auf eine Leiter stieg und durch ein Schlüsselloch lugte, konnte etwa
       einer Rektaldefloration eines Armeerekruten beiwohnen.
       
       Das sei traumatisierend, das wurde den Klägern aus dem rechtsradikal
       antisemitisch orthodoxen Umfeld von Staatsseite bescheinigt. Jerofejew und
       der Chef des Sacharow-Museums Samodurow kamen im Prozess 2010 noch mal mit
       Geldstrafen davon. Beim Prozess gegen Pussy Riot stellte sich dann die
       Klimax der vollzogenen Vereinigung von Kirche und Kreml dar.
       
       ## Keine Schauspieler nötig
       
       Rau holt alles dies noch einmal zurück in das zum Gerichtssaal
       umfunktionierte Sacharow-Museum. Der Ausgang des Verfahrens Kunst gegen
       Religion ist offen. Wird das „dissidentische“ dem „wahren“ Russland wieder
       unterliegen? Rau kennt Russland zu gut, als dass er sich der Illusion
       hingäbe, die autoritären Grundstrukturen der Gesellschaft seien ihr gegen
       ihren Willen aufoktroyiert.
       
       Der Clou ist, Rau kann auf Schauspieler verzichten. Seine Mitwirkenden sind
       Protagonisten auch des realen Geschehens gewesen. Selbst randalierende
       Frömmler sagten ihre Teilnahme zu. Nicht nur das ohnehin andersdenkende
       Minderheiten-Moskau. Einer der Ankläger ist der Dumaabgeordnete der
       Staatspartei, Alexei Tschujew, der sich als reaktionärer Hüter eines
       prämodernen Russlands versteht. Die Rolle des Staatsanwalts übernimmt der
       TV-Moderator Maxim Schewtschenko, auch er ein Vertreter jener Spezies, die
       am Ufer des russisch-orthodoxen rotbraunen Sumpfes üppig blüht.
       
       Rau hat an ihnen allen indes Gefallen gefunden. Ob Dandy-Faschist oder
       eurasischer Pseudophilosoph. „In Russland werden immer noch Individuen
       produziert, die bis ins Letzte spezielle Typen verkörpern.“ Im Westen seien
       die längst eingeebnet. Das kann aber auch Chaos und Unberechenbarkeit
       bedeuten. Das Sacharow-Museum verdoppelte daher den Sicherheitsdienst.
       
       3 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus-Helge Donath
       
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