# taz.de -- Der Geruch der Agrarindustrie: Gülle Gülle Niedersachsen
       
       > Niedersachsen ist das Schlachthaus der Nation und setzt voll auf
       > industrielle Tierhaltung. Doch der Grüne Christian Meyer plant die
       > Landwirtschaftswende.
       
 (IMG) Bild: In Niedersachsen ist auf vielen Feldern die Kacke am Dampfen
       
       BREMEN taz | Übel ist der Gestank. Die Bilder von den trübsinnigen
       Schweinen in Boxen mit Spaltenböden, die Filme von eingepferchten
       Masthähnchen in verkoteter Streu, all das lässt sich ja verdrängen. Augen
       zu! Aber der Gestank, der dringt einfach in jede Pore, mit jedem Atemzug –
       bis der Geruchssinn resigniert, das Warnen einstellt und das für normale
       Luft hält. Kann sich Niedersachsen bei der Wahl am Sonntag davon befreien?
       
       Niedersachsens Agrarindustrie ist ein Thema von europäischem Ausmaß. Die
       Briten haben das im April 2008 erfahren infolge einer ungewöhnlichen
       meteorologischen Konstellation: Böiger Wind aus Nordnordost löste eine
       Inversionswetterlage aus und blies Luft, die sich wochenlang über dem
       Emsland gestaut hatte, über Kent und Essex bis London.
       
       Das Emsland ist Zentrum agrarindustrieller Viehhaltung, über 32 Millionen
       Geflügelplätze, 1.554.000 Schweine, und im Frühling wird gegüllt.
       „Unbearable“, hieß es, Giftgas wurde vermutet. Von Leichengeruch sprach die
       Presse, von Pesthauch und meist von „Stink“. Bei der Landtagswahl sorgt die
       Haltung zur Agrarpolitik für den schärfsten programmatischen Kontrast der
       Lager – der in diesem seltsam stillen Wahlkampf meist nur in eisiger
       Feindseligkeit ausgetragen wird. Auf Ebene der Fachleute.
       
       So warnt Agrarminister Gert Lindemann (CDU) in der FAZ namentlich vor Herrn
       Meyer. Der Grüne Christian Meyer dürfte selbst den gewissenhaftesten
       LeserInnen bis dahin kein Begriff gewesen sein. Einige erwarten, dass Meyer
       Lindemanns Nachfolger wird. Lindemann fände das fatal. Durch ihn würden
       „die Landwirte in der Tierproduktion massiv behindert“, befindet er. Ihm
       selbst läge so etwas fern.
       
       Vorsicht: Gert Lindemann tut nicht nichts. Und es ist ein heikles Terrain.
       Dass er mit seinem „Tierschutzplan“ bis 2019 austestet, ob Ferkel auch mit
       Schwanz gemästet und mit Betäubung kastriert werden können, damit ist er
       Vertretern des Landvolks – so heißt hier der Bauernverband – schon zu weit
       gegangen. Und Niedersachsens Landwirtschaft ist ja wichtig.
       
       Die Branche kommt mit 24 Milliarden Euro Umsatz gleich nach VW. Sie
       verursacht sogar mehr Emissionen, 25 Prozent der niedersächsischen
       Treibhausgase. Ein Rekord, ermöglicht durchs Landesgesetz „zur
       Beschleunigung von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren“. Die
       Umweltprüfungen macht das zur Farce, die Bürgerbeteiligung minimiert’s.
       
       ## Ein Viertel der Höfe ist weg
       
       Der Einfluss der Agrarlobby ist groß. Und wächst. Mehr als die Hälfte des
       deutschen Geflügels kommt von hier, 30 Prozent der Schweine, 3,5 Milliarden
       Eier, plus fast 5 Prozent der europäischen Milch, 6 Millionen Tonnen. Eine
       Agrarwende hier: Das gefährdet den Standort, behauptet Lindemann.
       
       Im Gegenteil, sagt der Grüne Meyer. Es rettet ihn. Nach zehn Jahren
       forcierter Industrialisierung hat ein Viertel der Höfe aufgegeben, 15.000
       Betriebe. Laut Landesregierung sind zwischen 2003 und 2010 dabei 29.000
       Jobs im Agrarsektor direkt verloren gegangen, 8.000 weitere in der
       „Veredelung“, also bei den Schlachthöfen. „Eine industrialisierte
       Landwirtschaft mit Tierfabriken vernichtet Arbeitsplätze“, sagt Meyer.
       Umkehren kann er die Entwicklung nicht. Aber den Trend stoppen.
       
       Das Set seiner Mittel klingt unspektakulär: Eine Baurechtsnovelle via
       Bundesrat soll die Abwehrmöglichkeiten von Kommunen gegen Riesenställe
       verbessern. Abluftfilter sollen Pflicht werden. Medikamente – erfasst.
       Antibiotikabehandlungen – auf dem Fleisch angegeben. Und dann: die
       Subventionen anders verteilen. Schließlich legen die Bundesländer selbst
       fest, wie sie die EU-Gelder zur Entwicklung des ländlichen Raums verteilen
       – in Niedersachsen waren das von 2007 bis 2013 2 Milliarden Euro.
       
       Bezuschusst hat das Land damit Großinvestitionen, Megaställe. Die nächste
       Förderperiode beginnt 2014. Meyer will Flächenprämien für Grün- und
       Ackerland anheben. Nordrhein-Westfalen macht das schon. Dort erhält der
       Gemüseanbau 1.200 Euro pro Hektar – doppelt so viel wie in Niedersachsen.
       Dort profitieren die Biobauern davon. „Den Ökoboom hat Niedersachsen bisher
       komplett verschlafen“, sagt Meyer.
       
       Das ist offenkundig. Es gibt nicht mal eine Biomolkerei im Milchland
       Niedersachsen, der Ökoanteil von 2,9 Prozent an der Agrarfläche bedeutet
       bundesweit einen letzten Platz. Den Ökolandbau will auch die SPD fördern.
       Sonst hält sie sich in agrarpolitischen Fragen zurück – und das ist ja
       schon ein Wandel: Früher buhlten die Sozialdemokraten mit Kampfcarnivoren
       wie Karl-Heinz Funke um die Gunst der Fleischindustrie. Der ist
       mittlerweile wegen Untreue verurteilt.
       
       Als „Schattenlandwirtschaftsministerin“ hat Stephan Weil seine
       Studienfreundin Birgit Honé benannt, die sich noch ins Thema einarbeiten
       muss. Nach dem Wahlkampf vielleicht. Auch CDU-Agrarier meiden das
       Themenfeld. Auf Anfragen gibt es Gegenfragen. Ein Podium? Zur Agrarpolitik?
       Wie sollten wir davon profitieren?
       
       ## Jedes Dorf hat eine Bürgerini
       
       Rinder, Schweine, Ziegen, Broiler, fast überall ist ein Megastall in
       Planung. Fast jedes Dorf hat eine Bürgerini. Da sind auch viele CDUler bei,
       einfache Mitglieder, Ortsvorstände, Ratsleute. Die Landesvorsitzende des
       Deutschen Tierschutzbundes, Vera Steder, hat im Dezember ihr Parteibuch
       zurückgegeben, öffentlich und zornig – wegen der „rückwärtsgewandten
       Tierschutzpolitik“. Und das C im Parteinamen wird ja zum Problem, weil sich
       viele Geistliche mit tierethischen Erwägungen melden. Das Landvolk
       verurteilt sie dann immer in wütenden Pressemitteilungen.
       
       In der Fastenzeit etwa vergangenes Jahr, als der lutherische Bischof von
       Braunschweig und der katholische von Hildesheim beim ökumenischen Kreuzweg
       auch an der mit Millionen subventionierten Schlachtfabrik von Wietze
       beteten, gaben die Bauernfunktionäre bekannt, dass die Geistlichen von
       „ideologischen Gruppen“ seien.
       
       Ihre Verbandsmitglieder forderten sie auf, PastorInnen, die die Zustände in
       Schweine- und Broilerfabriken kritisieren, zu verpetzen. Und als ein
       katholischer Prälat in Vechta gegen unmenschliche Bedingungen in den
       Schlachthöfen predigte, fand er tags drauf ein totes Karnickel vorm Haus.
       Kopf ab, blutig und das Fell über die Ohren.
       
       ## Meterhohe Kothügel
       
       Meyer füllt im Wahlkampf Säle. Die Leute applaudieren, wenn er eine selbst
       gebastelte Bauernregel vom Stapel lässt: „Wer Tierfabriken fördert und
       Megaschlachthöfe subventioniert“, so geht eine, „wird am Sonntag
       abserviert.“ Draußen aber verläuft die Mobilisierung schleppend: Als Anfang
       Januar Umweltverbände, Grüne, Linke, SPD, Piraten, das Netzwerk gegen
       Agrarfabriken, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und
       Bürgerinitiativen zur Umzingelung des Landtags in Hannover aufgerufen
       hatten, sind keine 1.000 gekommen. Ein kraftvolles Zeichen bei der Berliner
       Demo an diesem Samstag, das wäre gut. „Zu jedem Kreisligaspiel kommen mehr
       Zuschauer“, konstatiert Lindemann trocken. „Das ist keine Massenbewegung“.
       
       Der Gestank breitet sich aus. Muss ja. Die Flächen werden knapp im Westen.
       Also kutschieren Laster die Exkremente in die Lüneburger Heide, wo Bauern
       sie gegen Geld verklappen. Die Kontrollen sind dürftig, „nur 2,5 Prozent
       der Betriebe“, weiß Meyer, das will er ändern mit einem Güllekataster.
       
       Manche sehen dann die meterhohen dunklen Hügel. Hühnerkot, aufgeschichtet –
       und wegen der regelmäßigen Vergabe von Antibiotika gar nicht so harmlos:
       ESBL- und MRSA-Keime hat man bei Stichproben gefunden, resistente
       Bakterien, die im Boden jahrelang ruhen können. Wie stark die Erreger auf
       Pflanzen übergreifen, ist noch ungewiss. Das Bundesinstitut für
       Risikobewertung befasst sich seit Längerem damit. „Zur Bewertung der
       Problematik wurde auch die externe Expertenkommission für Biologische
       Sicherheit eingebunden“, informiert es. Wer näher an die Haufen herangeht,
       findet meist verendete Tiere in den Haufen oder Teile davon. Die
       menschliche Nase bemerkt sie nicht. Aber die Hunde macht das ganz kirre.
       
       20 Jan 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
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