# taz.de -- Die Wahrheit: Tagebuch einer Ungewaschenen
       
       > Auf der Berlinale: Bei der Eröffnungsfeier der Berlinale herrschen die
       > gleichen unbarmherzigen Gesetze des Platzbesetzens wie am Pool auf Malle.
       
 (IMG) Bild: Vorsicht! Diese Tasche fordert zum Schlimmsten auf.
       
       1.800 Gäste strömen zur Eröffnungsfeier der Berlinale. Angehörige der
       Rubrik „Aus Politik und Gesellschaft“ verleihen auf den nummerierten
       Plätzen im Parkett dem Ereignis den nötigen Glanz, den 1. Rang teilt sich
       internationales Filmwesen mit Halbprominenz, und ganz oben in der
       Holzklasse sammelt sich das Fußvolk, meine Freunde und Kollegen.
       
       Aus unerfindlichen Gründen bin ich im 1. Rang gelandet. Im Unterschied zum
       feinen Parkett herrscht hier oben das Gesetz der Wildnis: freie Platzwahl.
       Also wie in Malle rechtzeitig Handtuch hinlegen und wieder raus zu den
       Freigetränken! Aber der Mantel hängt in der Garderobe, und das einzig
       verzichtbare Stück ist mein winziger, künstlicher Fellschal, der den
       empfindlichen Hals wärmt. Wie ein Trapper seine Beute hänge ich ihn über
       die Lehne eines Gangplatzes, man möchte ja zur Not mal austreten können.
       Freigetränke!
       
       Im Foyer ziehen mich Freunde mit unters Dach. Jetzt muss zusammengeführt
       werden, was zusammengehört! Oben ist noch so viel frei, dass mein
       unbefugtes Eindringen keine Sitzknappheit hervorruft. Guter Dinge verteilen
       wir uns auf den Plätzen. Eine Freundin verschwindet, um einen Stock tiefer
       mein Possum von der Lehne zu pflücken. Wir schwelgen derweil in warmer
       Vorfreude und schauen zu, wie vor uns auf der Leinwand Schauspielerinnen in
       meterhohen Absätzen frierend über den roten Teppich staksen.
       
       Die Freundin taucht auf und überreicht mir strahlend meinen Halswärmer
       sowie eine elegante Abendjacke. Oy wei. Eine Etage tiefer im jetzt gut
       gefüllten 1. Rang steht eine Frau mit nackten Armen und verlorenem Blick.
       Ich schwenke die Jacke. „Es tut mir soooo leid! Ein Missverständnis …“ Ihr
       Gesicht ein Fragezeichen. Der Mann neben ihr strahlt die beunruhigende
       Selbstkontrolle eines wirklich wichtigen Menschen aus.
       
       „What happened?“ Ton knapp und gewohnt, Anweisungen zu geben. Auch das
       noch. Ich habe zwei amerikanische Berlinale-Gäste um ihre Plätze gebracht.
       Offenbar war mein Trapperfell von der Jackenbesitzerin beim Besetzen ihrer
       Plätze übersehen worden, worauf Possum mitsamt Jacke eine Etage höher
       wanderte. Verzweifelter Erklärungsversuch: „So sorry … can I find you new
       seats?“ Angesichts der knallvollen Reihen ein müßiges Unterfangen.
       Schweißausbruch.
       
       „I’m so sorry“, jammere ich zum x-ten Mal. „It’s okay, don’t worry“,
       befiehlt der Mann leicht genervt. Klare Ansage. „Okay, I’ll stop worrying
       right now! It only happened because I would rather sit with the unwashed“,
       murmele ich zerknirscht. Der Ehemann grinst. „Yeah, it’s more fun.“
       Amerikaner – erinnere ich mich wehmütig an 16 Jahre Amerika – love to have
       fun und beweisen zuverlässig Humor.
       
       Danke, Berlinalegott, du Herr über Film und Völkerfreundschaft, dass du mir
       ein härteres Los erspart hast! Wir tauschen freundlich Vornamen, schütteln
       Hände, gehen rauf zu den Ungewaschenen und verlieren uns aus den Augen.
       
       Tage später nach einem Wettbewerbsfilm. Unter anderen auf der Bühne: mein
       amerikanischer Freund, wie aus dem Ei gepellt. Er ist der Produzent.
       
       14 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Pia Frankenberg
       
       ## TAGS
       
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