# taz.de -- Neues Album von Phosphorescent: Rote Sonne
       
       > Eine persönliche Krise als Möglichkeit spiritueller Erleuchtung? Darum
       > geht es im neuen Album des US-Singer-Songwriters Phosphorescent.
       
 (IMG) Bild: Angeborene Südstaaten-Schläfrigkeit, Matthew Houck alias Phosphorescent
       
       Für Typen wie Matthew Houck wurde das Michelberger Hotel in Berlin
       erfunden. Houck, Zweimonatsbart, Cordkäppi auf dem lockigen Haupthaar,
       sitzt in einem Zimmer im neoalpenländischen Look und schlürft den
       hauseigenen Kokosnussdrink „Fountain of Youth“. An einem wuchtigen
       Holztisch gibt er Interviews zu seinem neuen Album „Muchacho“. Seine
       Lederjacke über der Stuhllehne, die Freundin in iPhone-Rufweite ein paar
       Hotelzimmer weiter.
       
       Houck ist genau die Mischung aus tourendem Rockstar, Geschäftsmann und
       trendbewusstem Berlin-Besucher, die sich die Hoteliers als Zielgruppe
       auserkoren haben. Trotzdem unterscheidet sich der Musiker von den vielen
       bärtigen young dudes in der Lobby: Smalltalk und Geschäftigkeit sind Houcks
       Sache nicht.
       
       Houck, der seit zehn Jahren unter dem Namen Phosphorescent Musik macht,
       redet langsam und überlegt genau, bevor er antwortet. Die
       Südstaatenschläfrigkeit, die er ausstrahlt, lässt den 33-Jährigen aus
       Alabama älter wirken. Wenn er von den Countrysongs seiner Kindheit und der
       Plattensammlung seines Vaters erzählt (der eine komplette Sammlung des
       Countryraubeins Willie Nelson besaß), sieht man ihn mit der Gitarre auf dem
       Rücken eine staubige Straße entlanggehen. Ein Einzelgänger, vernarrt in die
       Musik von Bob Dylan und Woody Guthrie.
       
       ## Gut abgehangen
       
       Die sechs bislang erschienenen Alben von Phosphorescent klingen gut
       abgehangen – Houck hat darauf mit den klassischen Ingredienzien der
       Americana hantiert, als habe er in ihnen gebadet. Auf seinem neuen Album
       „Muchacho“ wirft er Country-, Folk- und Blueselemente in den Mix, tut noch
       etwas Southernrock hinzu und krönt all das mit sparsamer Elektronik. Ein
       Sound, der so assoziationsreich ist, dass man ihn erst einmal für bare
       Münze nimmt: Kaktus, Bourbon und zweispurige Landstraßen; Einsamkeit und
       Armut – alles da. Depressionen, Wahnbilder, Herzeleid – es muss sich um
       einen sehr, sehr unglücklichen Südstaatenjungen handeln.
       
       Als hätte er die im Kopf vorbeiziehenden Klischeebilder auch aus der Nähe
       gesehen, grinst Houck, der seit Jahren in New York lebt, verschmitzt: „Man
       sollte sich das als Europäer nicht so romantisch vorstellen. Niemand saß in
       meiner Kindheit auf der Veranda und musizierte. Es waren die Achtziger,
       Pop-Country plärrte aus dem Radio. Er war immer da – aber genauso gern
       mochte ich HipHop. Und als Grunge endlich in unsere Gegend kam, war das
       eine Offenbarung. Ich habe gehört, was ich kriegen konnte. Was cool war und
       was nicht, hat mich nie interessiert.“
       
       ## Allgegenwärtiger Willie Nelson
       
       Das klingt glaubwürdig, wenn man sich „Muchacho“ und die Vorgängeralben
       „Here’s to taking it easy“ und „To Willie“ (eine Hommage an, ja genau,
       Willie Nelson) anhört. Die verwegene Mischung von Country-Zwiegesang und
       elektronisch erzeugter Polyphonie, von staubtrockenem Blues und urbanem
       Drogensound trägt die individuelle Signatur eines Künstlers. Eigenwillig
       und auf verwirrende Weise gleichzeitig bodenständig und hochartifiziell.
       
       Phosphorescent hat – Zauselbart hin, einfühlsamer Gesang her – recht wenig
       mit Devendra Banhart und der hippen Weird-Folk-Szene zu schaffen.
       „Muchacho“ ist beim ersten Hören die musikalische Verarbeitung einer
       Trennung, ein sehr persönliches, fast schon intimes Album. In „Song for
       Zula“, der Vorabsingle-Auskopplung, singt er mit brüchiger Stimme: „Some
       say love is a burning thing / That it makes a fiery ring / Oh but I know
       love as a fading thing / Just as fickle as a feather in a stream“. Dazu
       Geigen, ein melancholisches Pluckern. „Die Musik erzählt von einer Zeit in
       meinem Leben, als alles begann, sich aufzulösen“, sagt Houck. „Ich musste
       schnell eine neue Wohnung finden, ein neues Studio. Mitten im New Yorker
       Winter.“
       
       ## Abgeschnitten von der Welt
       
       Mit der persönlichen ging auch eine mentale und kreative Krise einher, von
       der Songs wie „A New Anhedonia“ zeugen. Drastische Sprachbilder findet
       Houck für einen Zustand der inneren Freudlosigkeit, der ihn heimsuchte.
       „Ich war wie abgeschnitten von der Welt, von meinen eigenen Gefühlen, nicht
       einmal die Musik bedeutete mir noch etwas“, beschreibt er und sagt, er
       könne sich an die dunkle Zeit nicht mehr im Detail erinnern – als Zeugnisse
       davon dienen ihm Songs wie „The Quotidian Beasts“, in denen er zur
       Slidegitarre albtraumhafte Stimmung evoziert: „Her ancient eyes were upon
       me / They were familiar and black / She laid her claws all up on me / She
       had found me at last“.
       
       Aus der Depression wählte der Musiker einen vielfach bewährten Weg: Houck
       buchte einen Flug nach Mexiko und schloss sich mit einem Haufen analogem
       Equipment in einer Hütte am Strand ein. Als er daraus wieder auftauchte,
       stand ein Album mit zehn Songs, die zwischen zwei Sonnenaufgängen die
       Chronik einer überwundenen Krise zeichnen. Krise überwunden, ab ins Studio.
       Eine schöne Geschichte. „Ich weiß, die Nummer mit der Hütte in Mexiko ist
       ein schlimmes Musiker-Klischee“, lacht Houck leicht verlegen. Es sei in dem
       Moment aber das einzig Richtige gewesen. „Es hat funktioniert – ich habe
       dort so etwas wie einen Ausweg, eine Erlösung gefunden.“
       
       ## Keine Heulsuse
       
       Erlösung – das hört sich nun doch an wie Kitsch, den Phosphorescent
       zumindest musikalisch erfolgreich umschifft. Aber Matthew Houck ist keiner
       dieser weinerlichen Folk-Esoteriker, die das ganz ordinäre persönliche Leid
       metaphysisch überhöhen, um daraus kreatives Kapital zu schlagen.
       
       Trifft der Vorwurf, der in „Down to go“ formuliert wird, zu: „Oh, you’ll
       spin your heartache into gold“? Matthew Houck lächelt milde und sagt: „Es
       gibt einen künstlerischen Puffer, you know? Auch bei einem so persönlichen
       Album. Die Zuhörer nehmen selbstverständlich an, dass der Erzähler immer
       und zu jeder Zeit über sich selbst spricht. Aber es geht mir natürlich
       nicht darum, meine persönlichen Angelegenheiten in die Welt zu blöken. Als
       Songwriter habe ich hoffentlich einen etwas breiteren Horizont zu bieten.“
       
       Den Horizont bildet auf „Muchacho“ die konzeptuelle Klammer von
       Sonnenaufgang zu Sonnenaufgang. „Auf den Sonnenuntergang habe ich
       verzichtet. Es gibt so viele Schattentäler auf diesem Album und ich wollte,
       dass zumindest Anfang und Ende Licht und Erlösung bringen.“ Erlösung, das
       bedeutet für Matthew Houck eine innerliche Erfahrung: Atmen und leben zu
       können, ohne von irgendetwas herabgezogen zu werden. Und wieder an das
       Heilige und Heilende in der Musik glauben zu können.
       
       ## Pathos und Bodenständigkeit
       
       Erhabenheit, Heilung – solch große Worte kommen einem beim Hören von
       „Muchacho“ tatsächlich in den Sinn. Der säuselnde bis raue Gesang zu
       reichlich Hall-, Slide- und Drone-Effekten, dazu der Blues – der
       entstehende Sog ist das Resultat eines akribischen Produktionsprozesses.
       Phosphorescent ließ die Instrumente einzeln von Gastmusikern im Studio
       einspielen und bearbeitete sie dann, bis die Mischung stimmte: Pathos und
       Bodenständigkeit, Leichtigkeit und Schwere.
       
       Seine Arbeit mit dem eingespielten Material vergleicht Houck mit der eines
       Bildhauers, er fügt Schicht um Schicht hinzu, kratzt hier ab, fügt dort
       hinzu – „I scoop away at it“. Der Klang des Albums hat etwas
       Dreidimensionales, Skulpturales. Erst beim mehrmaligen Hören erschließt
       sich das ganze Panorama und man entdeckt unter dem melancholischen Firniss
       auch kleine Albernheiten wie das Phosphoresent-typische Juchzen. Ein Humor,
       der in früheren Songs wie „It’s hard to be humble when you’re from Alabama“
       oder „Cocaine Lights“ deutlicher zutage trat.
       
       Bei Konzerten, wenn sich Phosphorescent mit Gastmusikern zusammentut,
       begreift man am besten, worum es Phosphorescent geht. Wenn das im Studio
       fein austarierte Gleichgewicht überbordet, die Musik körperlich erfahrbar
       wird und sich eine ansteckende Euphorie im Saal breitmacht, gibt es Momente
       der kollektiven Entgrenzung. Eine sehr südstaatenhafte Form von
       Erhabenheit.
       
       ## 
       
       ## Phosphorescent: „Muchacho“ (Dead Oceans/Cargo). Zwei
       Deutschland-Konzerte im Mai
       
       18 Mar 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Nina Apin
 (DIR) Nina Apin
       
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