# taz.de -- Debatte Sparmaßnahmen in Portugal: Sozial einseitige Lastenverteilung
       
       > 1000 Milliarden Euro werden jährlich um Europas Finanzämter
       > herumgeschleust. Das Geld könnte Portugal gut gebrauchen.
       
 (IMG) Bild: Demo in Lissabon: Die Ausgabensenkungen treffen den ärmeren Teil der Bevölkerung besonders hart.
       
       Nachdem das portugiesische Verfassungsgericht vier von neun Bausteinen des
       Sparprogramms für unrechtmäßig erklärte, folgte reflexhaft eine
       Zurechtweisung aus Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble forderte,
       einfach neue Sparmaßnahmen zu beschließen.
       
       Nach Schätzungen muss die portugiesische Regierung zwischen 900 Millionen
       und 1,3 Milliarden Euro einsparen, um die Kriterien der EU und des IWF für
       weitere Hilfszahlungen zu erfüllen. Auch die Europäische Kommission meldete
       sich zu Wort und forderte [1][Portugal] dazu auf, die „wichtigsten
       politischen Institutionen“ zu einem Konsens zu bewegen – ein Euphemismus
       dafür, das Verfassungsgericht unter Kontrolle zu bringen.
       
       Dabei verwarfen die Verfassungsrichter zu Recht Sparreformen, die mit einer
       gerechten Lastenverteilung wenig zu tun haben. Laut den Richtern verletzt
       die Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds für Beamte und Rentner den
       Gleichheitsgrundsatz, da finanzielle Lasten nur bestimmten
       Bevölkerungsgruppen aufgebürdet würden.
       
       Die Ungerechtigkeit der Sparprogramme ist aber noch weitgehender. Die
       Ausgabensenkungen treffen Leistungsempfänger und somit den ärmeren Teil der
       Bevölkerung besonders hart. Sie müssen auf Rentenzahlungen,
       Sozialleistungen, Kinder- und Krankengeld verzichten.
       
       ## Zulasten von Arbeitnehmern
       
       Auch Steuererhöhungen, die darauf abzielen, Portugals Einnahmen
       aufzubessern, gehen einseitig zulasten von Arbeitnehmern mit niedrigen und
       mittleren Einkommen: Die vorm Verfassungsgericht gescheiterten
       Sparmaßnahmen sahen auch eine Steuer von sechs Prozent auf
       Arbeitslosenunterstützung und von fünf Prozent auf Gehaltszahlungen im
       Krankheitsfall vor.
       
       Dagegen scheute sich die portugiesische Regierung davor, Maßnahmen für
       Steuergerechtigkeit zu beschließen. Denn noch immer erlaubt das europäische
       Steuersystem den Eliten, sich ihrer Verantwortung zu entziehen.
       Insbesondere Großunternehmen bietet sich eine breite Palette an
       Möglichkeiten, ihre Besteuerung in Portugal zu minimieren.
       
       Zuletzt machte der Fall Jéronimo Martins (JM) Schlagzeile. Der
       portugiesische Handelskonzern wuchs in seiner 200-jährigen Geschichte von
       einem kleinen Krämerladen zum Betreiber von über 2.000 Supermärkten in
       Portugal. Im Jahr 2012 trat das Unternehmen die Flucht an. Teile seiner
       Geschäfte lagerte JM in eine niederländische Holding aus.
       
       In Holland wird zwar eine durschnittliche Körperschaftssteuer von 20 bis 25
       Prozent erhoben, diese fällt aber nicht auf geistiges Eigentum an. So kann
       die niederländische Holding Lizenzgebühren von ihren Töchterunternehmen
       verlangen. Gebühren, die dann nicht mehr in Portugal versteuert werden
       müssen, sondern in Holland – und zwar zu praktisch null Prozent. Ein Fall
       von europäischem Steuerdumping.
       
       ## Beispielhaft für den Exodus
       
       Der Fall JM steht beispielhaft für den portugiesischen Exodus. 17 der 20
       größten börsennotierten Unternehmen in Portugal sind bereits in Holland
       registriert und umgehen so zumindest teilweise die Besteuerung im
       Heimatland. Und Portugal ist kein Einzelfall, sondern typisch für
       Großunternehmen in Europa.
       
       Und die Niederlande sind nur die größte Drehscheibe eines absurden
       Steuersystems, in dem sich europäische Länder auf die Steuerfreistellung
       verschiedener Einkommensarten spezialisieren. In den Niederlanden und
       Zypern kommt man als Holding in den Genuss von Vorteilen. Irland lockt mit
       niedrigen Körperschaftssteuern. In Österreich und Luxemburg schützt das
       Bankgeheimnis Privatpersonen.
       
       1.000 Milliarden Euro Steuereinnahmen versinken nach Schätzungen jährlich
       in diesem Sumpf aus Steuerhinterziehung, aggressiver Steuervermeidung und
       Schwarzarbeit. Mehr als die öffentlichen Defizite aller EU-Länder zusammen.
       Geld, das in den Krisenstaaten dringend für den Abbau der
       Staatsverschuldung und für Investitionen gebraucht wird. Die portugiesische
       Regierung steht hier alleine auf verlorenem Posten. Es fehlt eine
       überstaatliche gesetzliche Grundlage, um auch der transnationalen
       Unternehmen habhaft werden zu können. Dafür braucht es einen europäischen
       Pakt, der eine effektive Mindestbesteuerung vorsieht.
       
       Erste Maßnahmen dafür wurden ergriffen. Unter dem öffentlichen Druck der
       „Offshore-Leaks“-Debatte ließ die deutsche Regierung am Dienstag ihren
       Bekenntnissen zur Steuergerechtigkeit endlich Taten folgen.
       Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wandte sich zusammen mit den
       Finanzministern Frankreichs, Großbritanniens, Italiens und Spaniens (G 5)
       an EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta. Darin bekannten sich die
       Finanzminister zum gegenseitigen automatischen Informationsaustausch von
       Steuerdaten nach US-Vorbild. Nach dem von ihm forcierten, auf Anonymität
       basierenden Steuerabkommen mit der Schweiz [2][wandelt sich Schäuble hier
       vom Saulus zum Paulus].
       
       ## Ungerechte Reformen
       
       Nun gilt es, konsequent nach diesem Bekenntnis zu handeln und die
       Verquickung eines ungerechten Steuersystems mit ungerechten Sparreformen
       ernst zu nehmen. Einsparungen und Strukturreformen sind sicherlich
       notwendig. Doch bislang sind sie sozial einseitig. Sie verlieren ihre
       Legitimation, wenn Großunternehmen und Vermögensbesitzer weiterhin von
       ihren Pflichten befreit bleiben.
       
       Durch Schäubles Forderung, weitere Ausgabensenkungen vorzunehmen, muss sich
       die portugiesische Bevölkerung betrogen fühlen. Die Bundesregierung muss
       daher Steuerkooperation zum Thema ihrer Krisenpolitik machen. Die
       europaweite Versteuerung der Gewinne und deren gerechte Verteilung zwischen
       den EU-Staaten mittels automatischem Datenaustausches muss endlich
       eingeleitet werden. Dabei kommt es auf das Tempo an.
       
       Die soziale und ökonomische Situation in den südlichen Krisenländern
       verträgt kein weiteres Anziehen der Sparschraube und daher auch keine
       Verzögerung beim Einsammeln gerechter Mehreinnahmen aus Fluchtkapital.
       Statt den Zwingherren im Spardiktat zu spielen, sollte die Merkel-Regierung
       Steuerflucht endlich konsequent bekämpfen.
       
       18 Apr 2013
       
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