# taz.de -- Backstageproduktion auf die Bühne: Katholizismus und Testosteron
       
       > Der türkischstämmige Bayer Adbullah Karaca kreierte den
       > Überraschungserfolg „Arabboy“. Nun ist er beim Münchener „Radikal
       > Jung“-Theaterfestival dabei.
       
 (IMG) Bild: Auf einer improvisierten Bühne voller Bierkisten und Kartons geht es um die Geschichte des Arabers Rashid.
       
       Abdullah Kenan Karaca ist zurzeit in einer bizarren Situation. An der
       Hamburger Theaterakademie, wo er im zweiten Semester Regie studiert, wurde
       der 24-jährige Muslim gleich „zum Katholizismus-Experten upgegradet“.
       
       Das kam so: Karaca stammt aus Oberammergau in Bayern, wo das Gebirge
       mittelhoch und der Glaube tief ist und seit Jahrhunderten Wunder geschehen.
       Im Jahr 1633 gelobten die Dörfler, künftig alle zehn Jahre das Spiel vom
       Leiden und Sterben Jesu aufzuführen, wenn Gott die Gemeinde von der Pest
       verschone.
       
       Weil der Deal gelang, entert seitdem das halbe 5.000-Seelen-Dorf regelmäßig
       seine Passionstheaterbühne als größte Ansammlung von Langhaarigen weltweit.
       Seit 1990 dürfen verheiratete Frauen mitmachen und seit 2000 auch
       ortsansässige Muslime. Einer davon war der damals zehnjährige Abdullah,
       dessen Familie in Spuckweite des Passionstheaters wohnte.
       
       Daher schaute der Bub gerne bei den Proben vorbei, „begeistert von den
       Menschenmassen und von Christian Stückls Energie“. Den Spielleiter wiederum
       begeisterte kurz darauf, wie der junge Türke sang. Also sprach er bei
       seinem Vater vor, um dessen Vorbehalte gegenüber dem katholischen Treiben
       zu zerstreuen.
       
       ## Unverkopft menschlich
       
       Eine sportliche Jugend, ein Abitur und ein angefangenes Semester
       Germanistik und Literaturwissenschaft in Ankara später, bekam Karaca das
       Angebot des Münchner Volkstheaters, dort Regieassistent zu werden. „Gleich
       von der ersten Probe an war klar: Das ist es, was ich machen will!“, sagt
       er heute. Schließlich probte der Chef höchstselbst gerade „Hamlet“ – und
       dieser Chef hieß schon wieder Christian Stückl.
       
       Und der machte das offenbar auf diese unverkopft menschenfreundliche Art,
       die einen auch fasziniert, wenn man von draußen kommt und vom Theater nur
       weiß, dass es für manche Menschen intensiver ist als das Leben. Zweieinhalb
       Jahre lernte Karaca bei Stückl, der deswegen – und weil er oft nach Indien
       fährt – den oberbayerischen Integrationspreis bekam (sic!), und er lernte
       bei Bettina Bruinier, Christine Eder, Simon Solberg und Frank Abt.
       
       Dann betreute er ein erstes Jugendclubprojekt – und schon kam „Arabboy“
       nach dem Roman der Berliner Journalistin Güner Balci. Damit ist Karaca
       heuer als erstes Eigengewächs des Volkstheaters zu dessen [1][„Radikal
       Jung“-Festival] geladen. Und da ist es wieder: eines dieser kleinen Wunder,
       die so gerne Oberammergauer Wurzeln haben. Denn für die Backstageproduktion
       waren ursprünglich nur drei Aufführungen anvisiert.
       
       Dennoch wollte der Assistent sechs Wochen am Stück proben und mixte, als er
       dafür keine Jugendlichen fand, Schauspielschüler mit Ensemblemitgliedern.
       Auf einer improvisierten Bühne voller Bierkisten und Kartons erzählen sie
       nun die Geschichte des Arabers Rashid, halb Palästinenser, halb Libanese,
       der ins Neuköllner Bordell-, Gewalt- und Drogenmilieu abstürzt, abgeschoben
       wird und stirbt.
       
       ## Innere Prozesse
       
       Ach, was heißt erzählen: Hier wird gelebt und geliebt und geprotzt und
       versagt – körperlich und direkt, witzig, charmant und ganz ohne mit dem
       Zeigefinger auf irgendwelche „Problemfälle“ zu deuten. Bald dampft der
       rasant in der Zeit vor und zurück springende Abend von Testosteron und
       Schweiß, dann wieder scheint er fast stillzustehen, und doch bleibt die
       Intensität dieselbe.
       
       Der Abend läuft nun seit fast einem Jahr und ist „ein wahnsinnig
       unerwarteter Erfolg“. So sein stolzer und noch immer ein wenig staunender
       Urheber, der sagt, dass ihm das Thema des Stückes nahe lag, auch wenn man
       sich seine Jugend in Garmisch und München ungleich beschaulicher vorstellt.
       „Es geht aber eher um innere Prozesse, und die kann ich nachvollziehen“,
       sagt Karaca.
       
       Und überhaupt: Sei nicht das, was die Menschen verbindet, sehr viel
       wichtiger als das, was sie trennt? „Wenn einer etwas Schlimmes durchmacht,
       dann interessiert es mich. Da ist es nicht wichtig, ob er Türke, Araber
       oder Woyzeck ist“, sagt der schlanke junge Mann mit dem Bärtchen, der im
       offenen Hemd entspannt auf dem Sofa sitzt und es sich aussuchen kann, ob er
       sich (in Hamburg) als Quotentürke oder Quotenbayer fühlen möchte oder
       einfach als Abdullah Karaca. Bayerisch, sagt er in astreinem Hochdeutsch,
       klinge für ihn nach Heimat. Aber sein Vater, der seit Jahren wieder in der
       Türkei lebt, der fahre erst richtig darauf ab.
       
       ## Die nächsten Termine im Münchner Volkstheater: Donnerstag, 25. April, 18
       Uhr und 21 Uhr (im Anschluss an die 18 Uhr-Vorstellung Publikumsgepräch)
       und Freitag, 26. April, 17 Uhr und 20 Uhr.
       
       24 Apr 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://muenchner-volkstheater.de/RadikalJung/festival.php?we_objectID=4108&pid=342
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sabine Leucht
       
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