# taz.de -- Sarrazin-Debatte und NSU-Affäre: „Nur entschuldigen reicht nicht“
       
       > Deutschland muss seine Bürger besser vor Rassismus schützen. Wenn nötig,
       > auch per Gesetz, sagt die Menschenrechts-Expertin Beate Rudolf.
       
 (IMG) Bild: Sie reden Klartext: Demonstranten gegen Sarrazin sprechen aus, was sich die SPD-Spitze so nicht traute
       
       taz: Frau Rudolf, am Donnerstag, den 25. April, hat sich Deutschland vor
       dem UN-Menschenrechtsrat in Genf für das Behördenversagen bei der
       NSU-Mordserie entschuldigt. War das glaubhaft? 
       
       Beate Rudolf: Es war sehr wichtig, dass der Menschenrechtsbeauftragte in
       diesem Gremium um Entschuldigung gebeten hat. Das war sehr ernsthaft und
       glaubwürdig. Hierbei kann es die Bundesregierung natürlich nicht bewenden
       lassen. Sie hat ausdrücklich zugesagt, dass sie ihre bisherigen
       Anstrengungen beim Schutz vor Rassismus kritisch überprüfen will. Daran
       muss sie sich messen lassen.
       
       Im Menschenrechtsrat sitzen auch ausgewiesene Schurkenstaaten. Wie seriös
       können dessen Empfehlungen da sein? 
       
       Es kommt nicht darauf an, wer etwas sagt, sondern was er sagt. Seriös sind
       Empfehlungen, die sich an den Empfehlungen der UN-Kontrollgremien
       orientieren. Die Staaten reagieren natürlich unterschiedlich darauf.
       Nordkorea hat sie zum Beispiel beim letzten Mal nur zur Kenntnis genommen.
       Aber Deutschland will anderen ja ein Vorbild sein. Darum muss es das
       Gremium ernst nehmen.
       
       Der Antirassismus-Ausschuss der UNO hat jüngst [1][gerügt], Deutschland
       habe seine Bevölkerung im Fall Thilo Sarrazin nicht genug vor rassistischen
       Äußerungen geschützt. Was folgt für Sie daraus? 
       
       Diese Entscheidung geht über den Einzelfall hinaus. Rassismus, wenn er
       nicht in Verbindung mit Rechtsextremismus auftritt, wird hierzulande oft
       nicht als solcher wahrgenommen. Es gilt die Justiz dafür zu
       sensibilisieren, dass er auch aus der Mitte der Gesellschaft kommen kann.
       
       Der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, der CDU-Politiker
       Siegfried Kauder, meint, wenn das Gesetz nicht greife, müssen man es
       verschärfen. Hat er recht? 
       
       Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Äußerungen Sarrazins nicht als
       rassistisch gewertet, obwohl sie mit krudestem Biologismus verbunden waren.
       Indem sie ihn als ehemaligen Finanzsenator von Berlin als fachkundig ansah,
       wertete die Staatsanwaltschaft seine Äußerungen lediglich als Beitrag zu
       einer politischen Debatte, den rassistischen Charakter seiner
       Formulierungen und den gesamten Duktus seines Interviews in der Lettre
       International blendete sie hingegen aus. Überspitzt formuliert stand
       dahinter die Haltung: Äußerungen eines angesehenen Mitglieds der
       Gesellschaft können kein rassistisches Gedankengut enthalten. Deshalb hat
       die Staatsanwaltschaft gegen Sarrazin keine Anklage gegen Volksverhetzung
       erhoben und das Verfahren 2010 [2][eingestellt].
       
       Seit dem Zeitpunkt dieser Entscheidung hat sich - im Zuge der Umsetzung
       einer EU-Vorgabe - der genaue [3][Wortlaut des Gesetzes] aber verändert.
       Jetzt wird deutlich, dass auch dann ein Angriff auf die Menschenwürde
       vorliegt, wenn die Betroffenen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer
       „rassischen, religiösen oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmten
       Gruppe“ beschimpft werden. Es gibt aber keine systematischen Erkenntnisse
       darüber, ob die Justiz Rassismus seitdem anders erkennt. Das ist wichtig,
       um zu beurteilen, ob eine bessere Schulung von Richtern und Staatsanwälten
       ausreicht - oder eine Änderung der Strafgesetze nötig ist.
       
       Wiegt die Meinungsfreiheit nicht viel schwerer? 
       
       Die UN-Antirassismus-Konvention ist da eindeutig. In den USA etwa wird
       anders abgewogen, weil die Meinungsfreiheit als höchstes Grundrecht
       angesehen wird. Darum herrscht dort die Haltung vor: Gegen „bad speech“
       hilft nur „more speech“. Aber natürlich gibt es auch in den USA Grenzen der
       Meinungsfreiheit. Sie liegen dort, wo zu Gewalt aufgerufen wird. Das ist,
       im Lichte unserer internationalen Verpflichtungen, aber nicht übertragbar.
       Nach der UN-Antirassismus-Konvention ist bereits die Verbreitung
       rassistischen Gedankenguts zu bestrafen.
       
       Es gibt viele Länder auf der Welt, die nicht genug gegen Rassismus tun.
       Warum wurde ausgerechnet Deutschland jetzt deswegen gerügt? 
       
       Solche Vergleiche sind wenig hilfreich. Sicherlich steht Deutschland aus
       historischen Gründen unter besonderer Beobachtung, was das Thema Rassismus
       angeht. Jetzt aber hatte der Ausschuss zu entscheiden, weil es eine
       konkrete Beschwerde gab und weil sich Deutschland international dazu
       verpflichtet hat, die Verbreitung rassistischen Gedankenguts strafrechtlich
       zu verfolgen. Bezeichnend ist, dass 17 der 18 Mitglieder in dem Ausschuss
       für die Empfehlung gestimmt haben. Es besteht in dieser Frage also ein
       großer Konsens.
       
       Lässt sich Rassismus denn per Gesetz bekämpfen? 
       
       Die strafrechtliche Sanktionierung ist das letzte und schärfste Mittel. Das
       wirksamste Mittel liegt in der öffentlichen Debatte. Das Problem dabei ist,
       dass diejenigen, die von Rassismus betroffen sind, oft nur wenig Gehör
       finden, ihre Kritik wird oft als Überempfindlichkeit abgetan. Das
       Verständnis muss wachsen, dass Rassismus in jeder Form die Grundlagen des
       Miteinanders untergräbt.
       
       Macht ein Verfahren die Angeklagten nicht erst recht zu Märtyrern? In den
       Niederlanden nutzte der Rechtspopulist Geert Wilders ein [4][Verfahren]
       gegen ihn für seine [5][Zwecke]. 
       
       Ein strafrechtliches Verfahren erlaubt es dem Angeklagten, sich als Opfer
       zu inszenieren, das ist richtig. Aber dieses Risiko ist in Kauf zu nehmen.
       Der Rechtsstaat kann deswegen nicht auf Strafverfolgung verzichten. In der
       öffentlichen Debatte ist zu thematisieren, dass hier ein Angriff auf die
       Grundfesten unseres Gemeinwesens sanktioniert wurde.
       
       Deutschlands Auseinandersetzung mit seiner NS-Vergangenheit gilt weltweit
       als vorbildlich. Warum sehen Sie da noch Defizite im Umgang mit Rassismus? 
       
       Der Nationalsozialismus hat vor Augen geführt, wohin ein extremer Rassismus
       führen kann. Das Selbstverständnis der Bundesrepublik gründet auf der
       Abgrenzung zu diesem Unrechtsregime. Gleichzeitig ist der Blick darauf
       verengt. Zeitgenössische Formen des Rassismus, die in der ganzen
       Gesellschaft verbreitet sind, sind deshalb schwieriger zu überwinden. Hinzu
       kommt die fehlende Aufarbeitung der eigenen kolonialen Vergangenheit.
       
       Wie bewerten Sie die Debatte um das NPD-Verbot? 
       
       In unserer wehrhaften Demokratie können Parteien, die aktiv unsere
       freiheitlich-demokratische Grundordnung bekämpfen, verboten werden. Aber
       der Kampf gegen Rassismus darf nicht darauf verengt werden. Das sieht man
       an der Aufklärung der NSU-Mordserie: Warum gibt es Ermittlungsroutinen, bei
       denen automatisch das Opfer einer Tat, wenn es ein Migrant ist, in den
       Blick der Behörden gerät? Das spiegelt die Vorstellung wider, dass
       bestimmten Minderheiten bestimmte Straftaten zuzuordnen seien.
       
       Wie bewerten Sie die Aufarbeitung der NSU-Affäre? 
       
       Der Fokus in den Untersuchungsausschüssen liegt auf dem Umgang mit V-Leuten
       und dem Informationsaustausch. Deshalb betreffen die Lösungen, die
       diskutiert werden, nur diesen Bereich. Die Frage, warum ein rassistisches
       Motiv der Morde vorschnell ausgeschlossen wurde, ist bislang noch offen.
       Mein Wunsch wäre, dass sich der neue Bundestag damit beschäftigt - und
       daraus dann Konsequenzen für die Polizeiarbeit zieht.
       
       Warum ist Rassismus bislang kaum ein Thema beim //:Integrationsgipfel? 
       
       Migrantenselbstorganisationen fordern das schon lange - und meiner Meinung
       nach zu Recht. Ich hoffe, dass das aufgegriffen wird. Denn Fragen der
       Integration sind nicht losgelöst von Fragen des Rassismus und
       Diskriminierung zu behandeln.
       
       28 Apr 2013
       
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