# taz.de -- Die Wahrheit: Käse darf nicht rennen
       
       > Hunderte erwachsener Menschen rennen hinter einem acht Pfund schweren
       > Käse her, ohne ihn jemals zu fangen, denn er ist schneller.
       
       Wenn Menschen auf ihr traditionelles Recht bestehen, hinter einem Käselaib
       herzurennen, kann es sich nur um England handeln. In Gloucestershire frönen
       die Menschen seit mehr als 200 Jahren diesem Hobby. Dabei wird ein acht
       Pfund schwerer Käse eine 200 Meter lange, steile Wiese am Cooper’s Hill bei
       Brockworth hinabgerollt, und Hunderte erwachsener Menschen rennen hinter
       ihm her, ohne ihn jemals zu fangen, denn er ist schneller.
       
       Weil es dabei oft zu Verletzungen kam, hat die Polizei das Rennen im Jahr
       2010 verboten. Seitdem findet es klandestin statt. Im vergangenen Jahr
       kamen rund 4.000 Zuschauer, Craig Fairley gewann zum dritten Mal den ersten
       Preis: den Käse. Er hasse Käse, offenbarte er nach dem Rennen, vor allem
       diesen „Double Gloucester“, weil er so stinke.
       
       Die Polizei wurmte es, dass sich die Leute nicht an das Verbot hielten,
       zumal sie niemanden zur Rechenschaft ziehen konnte, da es keinen
       offiziellen Veranstalter gab. So hielt sie sich in diesem Jahr an die
       Produzentin des Corpus Delicti. Drei Beamte tauchten bei Diane Smart auf
       und drohten ihr, sie für etwaige Verletzungen haftbar zu machen, falls sie
       den Käse für das Rennen stifte. Das hat sie seit einem Vierteljahrhundert
       getan, die Maccabees haben die 86-Jährige in ihrem Video „Can You Give It“
       auf YouTube verewigt. Doch die Einschüchterung wirkte. Diane Smart rückte
       den Rennkäse nicht heraus, weil sie kein Geld für Schadenersatzprozesse
       habe. „Es ist verrückt“, meinte sie. In Zukunft wird sie aus
       Sicherheitsgründen nur noch viereckigen Käse herstellen.
       
       Einer der heimlichen Rennleiter fragte: „Seit wann kann man eine
       Käseproduzentin daran hindern, ihr Produkt zu verschenken?“ Man werde eben
       etwas anderes verwenden. Das tat man vorigen Montag auch. Man benutzte
       einen Plastikkäse. Wegen der Berichte über den Polizeieinsatz bei Diane
       Smart war das Interesse an dem illegalen Rennen besonders groß, mehr als
       5.000 Zuschauer säumten die Wiese. Zum ersten Mal in der Geschichte gewann
       der Käse nicht, denn die Imitation aus Plastik war zu leicht, so dass sie
       schon im oberen Drittel des Abhangs im Schlamm stecken blieb. Der Gewinner
       hatte wenig Freude an seinem Preis, denn was kann man schon mit einem
       riesigen Plastikkäse anfangen?
       
       Traditionalisten befürchten, dass das Käserennverbot nur der Anfang sei.
       Weitere Bräuche könnten dem Sicherheitswahn zum Opfer fallen und die
       englische Lebensart bedrohen. Wird als nächstes das Flaschentreten in
       Hallaton, Leicestershire, verboten? Dabei balgen sich die Dorfbewohner um
       ein Fässchen Bier. Regeln gibt es kaum, lediglich Augenausstechen, Würgen
       und der Einsatz von Waffen sind verboten. Auch die Haxey Hood in
       Lincolnshire ist in Gefahr, weil bei dem Versuch, eine schwere Lederröhre
       in eine von vier Kneipen zu schieben, was bis in die Nacht dauern kann,
       Menschen bisweilen zu Schaden kommen. Und am Ende schaffen die
       Sicherheitsfanatiker auch noch die Monarchie ab, weil die schwere Krone der
       Queen den Hals verrenken könnte.
       
       2 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ralf Sotscheck
       
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