# taz.de -- Erzählungen von Gisela Elsner: Das Poesie-Mannequin
       
       > Gisela Elsner sezierte die westdeutsche Gesellschaft aufs Böseste. Jetzt
       > wird das Gesamtwerk der Schriftstellerin und Kommunistin neu aufgelegt.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur Elsners Werk, sondern ihr Leben bis zum Selbstmord 1992 war ein Politikum.
       
       Eine „schmutzige Satirikerin“ sei sie, aber, bitte schön, keine Dichterin.
       Diese Selbsteinschätzung, die Gisela Elsner gegenüber ihrem Dichterkollegen
       Ronald Schernikau gegen Ende der 80er Jahre äußerte, erzählt bereits
       einiges über die Schriftstellerin Elsner und ihr Werk.
       
       Denn in der alten Bundesrepublik konnte eine schreibende Frau, die
       Sympathien für den Sozialismus hegte, in der Deutschen Kommunistischen
       Partei (DKP) und dazu noch Zynikerin war, nur so gelabelt werden:
       schmutzig. Man darf vermuten, dass Elsner bei dieser Aussage auch mit ihrem
       Image gespielt hat.
       
       Der Verbrecher Verlag veröffentlicht Elsners Werk seit 2002 in einer
       Gesamtedition als Taschenbuchausgabe. Nach Romanen und politischen
       Schriften erschienen jüngst zwei Erzählbände: „Versuche, die Wirklichkeit
       zu bewältigen“ (Veröffentlichungen 1955–1979) und „Zerreißproben“
       (Veröffentlichungen 1980–1992), die in jeglicher Hinsicht sehr gute
       Zeitdiagnosen sind. Elsner erzählt mal brutal realistisch, oft lakonisch
       distanziert, dann wieder surreal und im Wortsinne fabelhaft.
       
       ## Ihr Leben ist ein Politikum
       
       Die gebürtige Nürnbergerin Elsner schrieb gleich mit ihrem ersten Roman
       „Die Riesenzwerge“ 1964 ihr meist beachtetes Werk. Es folgten acht weitere
       Romane, die sie bei Rowohlt veröffentlichte. Mit dem Literaturbetrieb, auch
       mit der Verlagspolitik des Reinbeker Hauses, überwarf sie sich aber
       zusehends. Man kann nicht nur Elsners Werk, sondern ihr ganzes Leben bis zu
       ihrem Selbstmord 1992 im Alter von 55 Jahren als ein Politikum ansehen.
       
       Die vorliegenden 27 Erzählungen bewegen sich dabei formal zwischen Kurz-
       und „Kürzestgeschichten“, wie die Autorin sie selbst einmal genannt hat,
       und Prosaskizzen. Während zu Lebzeiten Elsners nur drei Erzählbände
       veröffentlicht wurden, die nur einen Teil der hier versammelten Texte
       enthielten, wollen die vorliegenden Bände das gesamte erzählerische Werk
       Elsners abbilden, etwa auch Zeitschriftenbeiträge und Rundfunkproduktionen.
       
       Elsner schafft es dabei fast immer, die kurzen Erzählungen zu Parabeln auf
       die zeitgenössische Gesellschaft werden zu lassen, etwa im großartigen Text
       „Der Selbstverwirklichungswahn“, der von einer Frau berichtet, die töpfernd
       ihre Welt verbessert, oder in der Geschichte über den Psychiater
       „Winzenried“, in der Elsner die Auswüchse der Psychotherapie persifliert
       und die man auch als ein Lehrstück über sich verschiebende Autoritäten
       lesen kann.
       
       ## Wohnungsdurchsuchung zur RAF-Zeit
       
       Interessant ist, dass in der zeitgenössischen Kritik die Erzählung „Die
       Zerreißprobe“ aus dem gleichnamigen Band besonders gut rezipiert wurde. Die
       Erzählung ist autobiografisch und berichtet von Überwachung und
       Wohnungsdurchsuchungen zur Zeit der RAF. Die Ich-Erzählerin wird oft für
       paranoid gehalten, wenn sie mal wieder erzählt, in ihrer Wohnung hätten
       sich Dinge in ihrer Abwesenheit verändert.
       
       Zeitgeschichtlich ist dies sicher ein bedeutsamer Text, aber die großen
       erzählerischen Qualitäten werden eher in anderen Texten erkennbar. Etwa in
       den kurzen Erzählungen zu „Triboll“ aus den Jahren 1955/56. In kurzen
       Miniaturen erzählt Elsner aus dem Leben dieser Figur und folgt ihr über den
       Tod hinaus. Mit Triboll wird ein fremdbestimmtes, gesichtsloses Subjekt
       dargestellt, dessen Handlungen unverständlich bleiben – müssen.
       
       Sie lässt etwa diesen Tribull, der gerade mit einem „Kollegen“ einen
       Fliehenden eingefangen hat, ohne dass man Näheres erfährt, sagen: „Bisher
       taten wir es, ohne uns etwas dabei zu denken. Was würde aus uns, wenn wir
       plötzlich anfingen, darüber nachzudenken?“ Triboll erinnert an Charaktere
       wie Franz Biberkopf oder auch an einige Figuren Kafkas, ebenso die ins
       Surreale driftende Handlung.
       
       ## Selbstironie und Verbitterung gegen Literaturbetrieb
       
       Auffällig ist, dass Elsner vor allem in den frühen Texten immer Lesarten
       zulässt, die die in die Gegenwart hineinreichenden Kontinuitäten aus der
       Nazizeit ermöglichen. In „Der Sonntag eines Briefträgers“ etwa ist das so,
       wenn seine Tätigkeit dank der Beamtenmentalität des Protagonisten zum
       Selbstzweck wird.
       
       In „Die Auferstehung der Gisela Elsner“ erzählt die Autorin schließlich von
       ihrer eigenen Beerdigung. In der fiktiven Handlung inszeniert sich die
       Figur Elsner über den Tod heraus und erntet dafür Häme. Herausgeberin
       Christine Künzel schreibt, damit treibe sie die Selbstironie auf die Spitze
       – hingegen ist aber auch eine tiefe Verbitterung über die geltenden Gesetze
       des (männlich dominierten) Literaturbetriebs aus der kurzen Erzählung
       herauszulesen.
       
       Gisela Elsner war ein Unikum in der von Frauen verfassten Literatur ihrer
       Zeit, denn Frauen als politisch-satirische Beobachterinnen waren nicht
       vorgesehen, eben auch innerhalb des Literaturbetriebs nicht (in der Gruppe
       47, mit der sie lose verbunden war, wurde sie mit dem zweifelhaften Titel
       Poesie-Mannequin versehen). Tatsächlich sezierte Elsner mit ihren Satiren
       und Erzählungen die westdeutsche Gesellschaft aufs Böseste.
       
       ## ■ „Versuche, die Wirklichkeit zu bewältigen“, „Zerreißproben“.
       Gesammelte Erzählungen Bd. 1 und Bd. 2. Hg. von Christine Künzel.
       Verbrecher Verlag, Berlin 2013, 266 und 222 Seiten, je 15 Euro
       
       17 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Uthoff
       
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