# taz.de -- Barack Obama und seine Fans: Das große Missverständnis
       
       > Als US-Präsident hat er viele seiner Fans enttäuscht. Warum? Waren die
       > Erwartungen zu hoch oder hat Obama seine Versprechen nicht gehalten?
       
 (IMG) Bild: Das Panzerglas hinter Obamas Redepult am Brandenburger Tor wird geputzt.
       
       BERLIN taz | Hier wird Geschichte geschrieben, und wir können sagen, wir
       sind dabei gewesen: Das war ein Gefühl, das viele der 200.000 Berlinerinnen
       und Berliner teilten, die am 24. Juli 2008 dem demokratischen
       Präsidentschaftskandidaten Barack Obama an der Siegessäule lauschten.
       Zwischen Volksfest und religiösem Erweckungserlebnis schwankte die
       Stimmung.
       
       Wenn derselbe Mann heute bei seinem nächsten Besuch in Berlin am
       Brandenburger Tor spricht, dann ausschließlich vor geladenen Gästen, und
       die müssen aus Sicherheitsgründen mindestens vier Stunden vor Beginn der
       Veranstaltung vor Ort sein.
       
       Wer hingegen zufällig irgendwo entlang der Route von Obama wohnt, hat seine
       Fenster geschlossen zu halten und darf seinen Balkon nicht betreten. Auf
       Dächern sind Scharfschützen positioniert.
       
       Selbstverständlich gelten für einen US-Präsidenten andere
       Sicherheitsvorkehrungen als für einen Bewerber um das Amt. Aber die
       veränderten äußeren Rahmenbedingungen passen gut zum Verlust der
       Popularität von Barack Obama in Deutschland. Die Begeisterung von einst ist
       der Ernüchterung gewichen.
       
       ## Unrealistische Erwartungen
       
       Viele derjenigen, die Obama 2008 verzückt zugejubelt haben, verachten ihn
       heute. Sie führen das allerdings nicht darauf zurück, dass ihre eigenen
       Erwartungen übersteigert waren. Sondern darauf, dass der Hoffnungsträger
       von einst versagt hat.
       
       Hat er versagt? Das hängt vom Standpunkt ab – und davon, wie ernst man den
       Kandidaten seinerzeit nahm. In seinem ersten Wahlkampf um das Amt des
       Präsidenten hatte der Senator von Illinois zahlreiche Positionen vertreten,
       die nicht gerade auf der Agenda des linksliberalen Milieus in Deutschland
       standen.
       
       ## Homo-Ehe, Waffenbesitz und Todesstrafe
       
       So erklärte er, aus religiösen Gründen gegen die Legalisierung der Homo-Ehe
       zu sein. Er verteidigte das Recht auf privaten Waffenbesitz. Er trat für
       die Todesstrafe ein. Außerdem betonte Barack Obama wieder und wieder, dass
       er den Krieg im Irak vor allem deshalb beenden wollte, um Kräfte
       freizusetzen für den Krieg in Afghanistan.
       
       Er schloss außerdem nicht aus, die – mit den USA verbündete – Nuklearmacht
       Pakistan anzugreifen, wenn islamistische Kämpfer bestimmte Landesteile
       weiterhin als sicheres Rückzugsgebiet nutzten. Erstaunliche Positionen für
       jemanden, dem nur etwa ein Jahr später der Friedensnobelpreis zugesprochen
       wurde.
       
       Aber vielleicht hat das Komitee in Oslo ja Ähnliches geglaubt wie ein
       großer Teil der Anhängerschaft Obamas in Deutschland: dass er nämlich
       vieles von dem, was er sagte – und später sogar tat –, eigentlich gar nicht
       ernst meinte, sondern lediglich deshalb vertreten musste, um zu Hause in
       den USA nicht jeden Rückhalt zu verlieren.
       
       ## Eine seltsame Allianz
       
       Dass er also ein Augenzwinkern nach Europa schickte, während er in der
       ungeliebten Heimat notgedrungen für Ansichten eintrat, die er in Wahrheit
       unerträglich fand. In dieser Überzeugung traf sich übrigens die äußerste
       Rechte in den USA mit Liberalen anderswo auf der Welt in einer seltsamen
       Allianz. Auch die US-Rechte glaubte ihm kein Wort.
       
       Es hätte nur noch gefehlt, dass die Anhänger von Obama außerhalb der
       Vereinigten Staaten irgendwann behauptet hätten, er sei ja eigentlich gar
       kein richtiger Amerikaner. Oder jedenfalls denke er nicht wie ein
       Amerikaner. Die Leute, die 2009 die Tea-Party-Bewegung gegründet haben,
       wären begeistert gewesen.
       
       Hinweise darauf, dass Obama gar nicht meinte, was er sagte, gab es
       allerdings keine. Bis heute gibt es sie nicht. Wieso auch? Die Biografie
       von Barack Obama könnte lückenlos die eines weißen US-Bürgers der
       Mittelschicht sein, sieht man davon ab, dass sein Vater – den er kaum
       kannte – eben ein schwarzer Kenianer war. Und sieht man von den
       Projektionen ab, die daraus folgten. In den Vereinigten Staaten und im Rest
       der Welt.
       
       ## Kein grundlegender Kurswechsel
       
       Diese Projektionen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit
       Allmachtsfantasien, der Vorstellung also, der mächtigste Mann der Welt
       könne diese Welt genau so formen und neu ordnen, wie es ihm gefällt. Das
       ist naiv. Wie sich nicht nur am anhaltenden Streit mit dem Kongress über
       die Haushaltssanierung zeigte oder bei dem zähen Ringen um eine allgemeinen
       Krankenversicherung, sondern auch beim Thema Guantánamo: Bislang ist Barack
       Obama mit seinem Wunsch, das Gefangenenlager zu schließen, an der
       Parlamentsmehrheit gescheitert.
       
       Das könnten ihm diejenigen vielleicht verzeihen, die gehofft hatten, sein
       Amtsantritt bedeute einen grundlegenden Kurswechsel der Außen-und
       Sicherheitspolitik in Washington. Aber der Einsatz von Kampfdrohnen und der
       NSA-Lauschskandal sind nicht gegen den Willen von Barack Obama passiert,
       und sie scheinen ganz in der Tradition von Obamas Vorgänger George W. Bush
       zu stehen.
       
       Das hätten viele von denen nicht für möglich gehalten, die ihm vor fünf
       Jahren an der Siegessäule zujubelten. Aus dem alten Wahlkampfslogan „Yes,
       we can“ wurde „Yes, we scan“ – so ein böser Witz, der sich in diesen Tagen
       auf Facebook verbreitet.
       
       Nicht nur das linksliberale Milieu beobachtet Barack Obama mit Misstrauen.
       Das Verhältnis zwischen ihm und Bundeskanzlerin Angela Merkel gilt als
       kühl. Die Methoden der USA im Kampf gegen den Terror werden von keinem
       politischen Lager in Deutschland vorbehaltlos unterstützt, Washington
       hingegen wünscht sich bei diesem Thema größeres Engagement des
       transatlantischen Verbündeten.
       
       ## Missstimmungen gehören dazu
       
       Aber gute Beziehungen haben heute für beide Seiten nicht mehr denselben
       Stellenwert wie zu Zeiten des Kalten Krieges, und deshalb sind
       Missstimmungen, die früher als dramatisch gegolten hätten, heute ein
       hinnehmbarer Teil des politischen Alltagsgeschäfts.
       
       Und ein großer Teil der Bevölkerung steht Barack Obama noch immer im Großen
       und Ganzen positiv gegenüber. Einer von Zeit Online in Auftrag gegebenen
       Umfrage zufolge sind 60 Prozent der Deutschen mit seiner Amtsführung
       zufrieden. Das sind deutlich weniger als die 85 Prozent, die ihn 2008 gerne
       zum Präsidenten gewählt hätten, aber dennoch Traumwerte für den mächtigsten
       Mann der Welt.
       
       Die tiefe Enttäuschung über Obama in weiten Teilen des linksliberalen
       Milieus beruht vermutlich in erster Linie auf einem Missverständnis: die
       Interessen eines US-Präsidenten könnten jemals deckungsgleich mit
       europäischen Interessen sein. Das ist nicht der Fall.
       
       19 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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