# taz.de -- Brechmittel-Prozess: Ein Urteil wird kommen
       
       > Im Brechmittel-Verfahren spricht sich der Bremer Oberstaatsanwalt wider
       > Erwarten gegen eine Einstellung aus. Die Richterin vermutet politische
       > Einflussnahme.
       
 (IMG) Bild: Hat gewirkt: Keine Gerichtstermin verging ohne DemonstrantInnen, die an den Tod Laya Condés durch den Brechtmittel-Einstatz erinnerten.
       
       BREMEN taz | Als Barbara Lätzel, Vorsitzende Richterin beim
       Brechmittel-Prozess vorm Landgericht Bremen, den gestrigen Verhandlungstag
       mit der Ankündigung eröffnete, eine Erklärung abgeben zu wollen, waren sich
       die meisten der Anwesenden sicher: Jetzt stellt sie das Verfahren ein. Doch
       der Prozess wird fortgesetzt, auf die kommenden Termine könnten sogar
       verantwortliche Bremer Politiker vorgeladen werden. Richterin Lätzel indes
       sieht jetzt die Unabhängigkeit der Bremer Justiz in Gefahr.
       
       Am Freitag habe der Leitende Oberstaatsanwalt ihr mitgeteilt, dass er
       seinen Vertreter auffordern werde, das Verfahren nicht einzustellen,
       erklärte Lätzel. „Ich habe ihm darauf geantwortet, dass ich mir nicht
       einmal im Traum hätte vorstellen können, welchen Einfluss Politik auf die
       Unabhängigkeit des Gerichts haben kann.“ Am fünften Juli habe der
       Oberstaatsanwalt nämlich noch genau das Gegenteil vorgeschlagen.
       
       Vor Gericht steht der damalige Polizei-Arzt Igor V., weil er 2004 dem aus
       Sierra Leone stammenden Laye Condé über eine Magensonde solange Brechmittel
       und Wasser eingeflößt hatte, bis der ins Koma fiel und kurz darauf starb.
       Der mutmaßliche Drogenhändler sollte dazu gebracht werden, verschluckte
       Kokain-Kügelchen zu erbrechen.
       
       Proteste gegen Einstellung 
       
       In der Tat gab es massiven öffentlichen Druck, seit Lätzel Anfang Juni
       Staatsanwaltschaft und Verteidigung aufgefordert hatte, über die
       Möglichkeit einer Verfahrens-Einstellung nachzudenken: Die „Initiative in
       Gedenken an Laye-Alama Condé“ rief zur Unterzeichnung einer „öffentlichen
       Protesterklärung“ auf – und dem kamen nicht nur die Internationale Liga für
       Menschenrechte, der Verein „Ärzte in sozialer Verantwortung“ und die
       „Vereinigung Niedersächsischer und Bremer Strafverteidigerinnen und
       Strafverteidiger“ nach, sondern auch PolitikerInnen.
       
       Matthias Güldner, Fraktionschef der Bremer Grünen, warf Lätzel damals vor,
       den Bundesgerichtshof „austricksen“ zu wollen. Der BGH hatte nämlich
       bereits zwei Freisprüche vom Landgericht für Igor V. kassiert, den letzten
       bezeichnete er als „fast grotesk falsch“. Eine Einstellung des dritten
       Prozesses hätte bedeutet: keinerlei Möglichkeit mehr, in Berufung zu gehen.
       „Ein Justizskandal ersten Ranges wäre das“, sagte Güldner dazu.
       
       Staatsanwaltschaft sieht nun doch öffentliches Interesse 
       
       Solche Aussagen sind es, von denen Lätzel glaubt, dass sie den
       Oberstaatsanwalt beeinflusst haben. „Seine Entscheidung“, sagt dazu indes
       Claudia Kück, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, „ist ohne Weisung und nach
       sorgfältiger Abwägung in diesem Hause gefällt worden.“ Eine
       Verfahrenseinstellung, so das Ergebnis, reiche nicht aus, um das
       öffentliche Interesse an dem Fall zu befriedigen.
       
       Damit folgt die Staatsanwaltschaft freilich den Argumenten der
       Protestierenden, zu denen auch Kristina Vogt, Vorsitzende der Bremer
       Linksfraktion, gehörte: „Es gibt ein gezieltes öffentliches Interesse, denn
       hier ist kein Verbrechen in einem privaten Umfeld geschehen, sondern in
       staatlicher Obhut“, sagte sie. Und in einer Mitteilung der
       Staatsanwaltschaft von gestern heißt es: „Durch einen solchen Tod, der als
       direkte Folge eines staatlichen Zwangseingriffes eingetreten ist, kann das
       Vertrauen der Öffentlichkeit in die Integrität staatlicher
       Strafverfolgungspraxis nachhaltig erschüttert werden. Allein gerichtliche
       und vor allem in Rechtskraft erwachsende Feststellungen sind deshalb
       geeignet, das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit staatlicher Strafverfolgung
       wiederherzustellen. Vor diesem Hintergrund vermag auch eine durch Auflagen
       gestützte Einstellung das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung
       nicht zu beseitigen.“
       
       Vielleicht Röwekamp und Scherf als Zeugen 
       
       Also geht das Verfahren weiter, und möglicherweise werden auf Antrag der
       Verteidigung der zum Todeszeitpunkt Condés amtierende Justizsenator Henning
       Scherf (SPD) sowie der damaligen Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) als
       Zeugen geladen. „Es war die Politik, die damals die Brechmitteleinsätze
       beschlossen hat“, so die Begründung von V.s Anwalt Erich Joester. Damit
       möchte er zwar V.s Verantwortung für Condés Tod abwälzen, folgt aber auch
       der Condé-Initiative: die fordert nämlich schon lange auch Stellungnahmen
       der damals politisch Verantwortlichen. So hat sich Röwekamp nie für seine
       Aussage entschuldigt: „Schwerstkriminelle müssen mit körperlichen
       Nachteilen rechnen.“ Als er das sagte, lag Condé bereits im Koma.
       
       Bis Ende November sind jetzt neue Verhandlungs-Termine angesetzt. „Und bei
       der Strafzumessung“, sagte Lätzel in ihrer gestrigen Erklärung, „muss
       gegebenenfalls auch eine Vorverurteilung durch die Presse Berücksichtigung
       finden.“ Auf Nachfrage der taz sagte sie später: „Ich frage mich wirklich,
       was ich hier in Bremen als Richterin überhaupt soll. Aber eines verspreche
       ich Ihnen: Dieses Verfahren wird ordnungsgemäß zu Ende geführt.“
       
       23 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
       
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