# taz.de -- Brechmittelprozess: Kaum Chancen auf ein Urteil
       
       > Das Verfahren gegen den Polizei-Arzt, der für den Tod Laye Condés
       > verantwortlich ist, droht zu platzen: Der Angeklagte ist
       > verhandlungsunfähig.
       
 (IMG) Bild: Würde von der Einstellung des Brechmittel-Prozesses profitieren: Bremens ehemaliger Bürgermeister Henning Scherf.
       
       BREMEN taz | Der dritte Prozess gegen den ehemaligen Polizeiarzt Igor V.
       droht zu platzen: V. ist verhandlungsunfähig. Das bestätigt ein vom Bremer
       Landgericht in Auftrag gegebenes ärztliches Gutachten. Seit Ende September
       pausiert das „Brechmittelverfahren“ gegen V., der vor neun Jahren dem aus
       Sierra Leone stammenden Laye Condé solange Brechmittel und Wasser
       einflößte, bis dieser starb. V. ist so schwer erkrankt, dass der Prozess
       möglicherweise sogar eingestellt wird.
       
       Zwei Mal war V. bereits wegen der tödlichen „Zwangsexkorporation“ – der
       mutmaßliche Drogenhändler Condé sollte dazu gebracht werden,
       heruntergeschluckte Kokainkügelchen zu erbrechen – vom Bremer Landgericht
       freigesprochen worden. Beide Urteile kassierte der Bundesgerichtshof (BGH),
       den letzten Freispruch bezeichnete er als „fast grotesk falsch“. Dass der
       Arzt, so die Begründung, die Prozedur fortgesetzt habe, obwohl Condé
       bereits einige der verschluckten Drogen erbrochen hatte, sei
       menschenunwürdig gewesen. Außerdem seien die Risiken des
       Brechmitteleinsatzes damals bereits bekannt gewesen: 2001 war in Hamburg
       Achidi John an den Folgen der Brechmittelvergabe gestorben.
       
       Der dritte Prozess wird nun höchstwahrscheinlich platzen oder eingestellt
       werden, denn V. befindet sich in stationärer psychiatrischer Behandlung –
       der Druck, der seit 2008 laufenden Prozesse wurde zu groß. „Es erscheint
       unwahrscheinlich, dass es innerhalb der nächsten drei Monate weitergehen
       wird“, sagt Elke Maleika, Anwältin der Nebenklage. Sollte V. tatsächlich so
       lange verhandlungsunfähig sein, „müsste das Verfahren noch einmal von vorne
       aufgerollt werden – oder eingestellt“. Momentan befänden sich die
       Prozessteilnehmer „in der Findungsphase. Wir diskutieren, wie es
       weitergehen soll“. Maleika, die Condés Mutter vertritt, hegt keinen Zweifel
       an V.s Zustand: „Ich kenne die beauftragte Psychiaterin aus vielen
       Verfahren und vertraue ihrem Urteil.“
       
       Sowohl die Vorsitzende Richterin Barbara Lätzel als auch V.s Anwalt Erich
       Joester würden das Verfahren gern einstellen. Das wollten sie bereits im
       Mai: Damals schlug Lätzel vor, den Vorwurf der Körperverletzung mit
       Todesfolge auf eine weniger schwer wiegende fahrlässige Körperverletzung
       herunterzustufen und das Verfahren dann einzustellen. Das scheiterte am
       Veto der Staatsanwaltschaft und löste überdies massive Proteste aus: Die
       Internationale Liga für Menschenrechte und die „Vereinigung
       Niedersächsischer und Bremer Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger“
       protestierten genauso wie Kristina Vogt, Fraktionsvorsitzende der Linken in
       der Bremer Bürgerschaft und Matthias Güldner, Fraktionschef der Grünen. Er
       warf Lätzel vor, den Bundesgerichtshof „austricksen“ zu wollen.
       
       Diesmal sieht die Sachlage anders aus, denn V. ist ernsthaft krank. Sollte
       der Prozess neu aufgerollt werden müssen, ist fraglich, ob er ihn
       durchstehen würde. Vor diesem Hintergrund scheint es fast sicher, dass auch
       die Staatsanwaltschaft einer Einstellung zustimmen wird.
       
       Ein Ende des Verfahrens würde auch das Ende der gerade erst begonnenen
       politischen Aufarbeitung des Falls bedeuten, denn mit Bremens
       Ex-Bürgermeister Henning Scherf (SPD) wurde zum ersten Mal seit Condés Tod
       auch ein für den Brechmitteleinsatz verantwortlicher Politiker als Zeuge
       geladen. Scherf, der 1992 als Justizsenator die rechtliche Grundlage für
       die Prozedur schuf, machte keine gute Figur vor Gericht: Er wollte sich
       nicht daran erinnern, dass es nach dem Tode Achidi Johns eine
       Bürgerschaftsdebatte und einen Antrag der Grünen für die Beendigung der
       Brechmittel-Einsätze gab und behauptete, dass Condés Tod „eine große
       Überraschung“ gewesen sei. Überdies erschien er über eine Stunde zu spät
       zum Prozess und behauptete fälschlicherweise, er sei erst in der Nacht
       zuvor aus dem Urlaub heimgekehrt.
       
       Die Staatsanwalt prüft, ob sie gegen Scherf ein Verfahren wegen
       Falschaussage einleitet, „aber“, so heißt es dort, „abschließend kann das
       erst geklärt werden, wenn das Hauptverhandlungsprotokoll fertig ist – und
       dafür muss der Prozess beendet sein.“ Das kann schon Ende Oktober der Fall
       sein: Dann wird entschieden, wie und ob es überhaupt weitergeht mit dem
       „Brechmittelprozess“.
       
       17 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Simone Schnase
       
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