# taz.de -- Ausstellung "Slapstick!": Die Melancholie der Tortenschlacht
       
       > Die Slapstick-Komödie der Stummfilm-Ära ist mehr als bloßer Klamauk: Ihre
       > Verbindungen zur zeitgenössischen Kunst setzt das Kunstmuseum Wolfsburg
       > in Szene.
       
 (IMG) Bild: Die Banane wird täglich erneuert: Wilfredo Prieto, "Grasa, Jabón y Plátano" (2006).
       
       WOLFSBURG taz | Allein und etwas ungelenk schiebt ein schlaksiger, großer
       Mann einen roten VW-Käfer durch die Wolfsburger Innenstadt. Andere Autos
       bleiben geduldig dahinter, die Störung wird toleriert. Vermutlich ahnt
       niemand, dass dahinter nicht die Not eines technischen Defekts steckt,
       sondern eine Kunstaktion.
       
       Das Drei-Minuten-Video des Belgiers Francis Alýs aus dem Jahr 2003 ist
       unmittelbar am Eingang des Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen. Bis Anfang
       Februar konfrontiert dort die Ausstellung „Slapstick!“ 32 Positionen zum
       Humor in der aktuellen Kunst mit Schlüsselsequenzen aus klassischen
       Stummfilmen – um motivischen Parallelen nachzuspüren. Eine vordergründige
       Komik oder gar das provokante Zerstören des Käfer-Mythos – das „Er läuft
       und läuft und läuft“ – an seinem Entstehungsort war die Wolfsburger Aktion
       Alýs’ aber nicht. Sondern die abgewandelte Wiederholung einer Arbeit, die
       er schon in seiner Wahlheimat Mexiko exerziert hatte.
       
       Darin fährt ein roter Käfer einen öden Hügel in Tijuana herauf – um just
       unter der Kuppe in seiner zielgerichteten Bewegung zu verzagen und den
       Hügel wieder rückwärts herunterzurollen. Ein neuerlicher, ebenso
       erfolgloser Versuch beginnt, die Schwelle aber wird nie überschritten, der
       Höhepunkt nie erreicht. Alýs empfand das auch als Gleichnis für das
       sogenannte Schwellenland Mexiko: die permanente Anstrengung als
       Sisyphosarbeit im Zeitalter moderner Technik. Zu sehen ist diese
       Installation Alýs’ übrigens noch bis zum 11. August in der Hamburger
       Kunsthalle.
       
       Seit Albert Camus’ philosophischem Essay von 1942 müssen wir uns Sisyphos,
       den entmachteten König von Korinth, als einen glücklichen Menschen
       vorstellen: Das klaglose Leiden lässt sich auch als höchste Form
       menschlicher Erhabenheit deuten. Und als gesunde Skepsis: Ist nicht jedes
       Ziel unerreichbar – und sollte auch gar nicht erreicht werden? Ist das
       Streben nicht allein Vollendung einer Aufgabe? Diese Einsicht hält sich
       seit Jahrhunderten, quasi als Gegenmodell zur westlich rationalen Doktrin
       und ihren Machbarkeitsüberzeugungen, unter anderem in der darstellenden
       Kunst.
       
       Die italienische Commedia dell’Arte etwa bildete im 16. Jahrhundert einen
       festen Kanon an Charakteren ebenso heraus wie ein Repertoire an
       akrobatischer Komik, Gesten und sprachlicher Schlagfertigkeit. Anknüpfend
       an die mittelalterliche Narrenfreiheit, konnte sie sich auch eine kritische
       Kommentierung des gesellschaftlichen Geschehens leisten. Um 1900
       revolutionierten die technischen Mittel des Films dann die Möglichkeiten:
       Der Stummfilm schuf die Slapstick-Komödie – überzeichnet körperbezogene
       Aktion, die auch ohne Worte auskommt.
       
       Auf einer langen Tradition fußt dieses Filmgenre also. Und lässt sich nicht
       reduzieren auf motivischen Klamauk – Massenprügeleien, Tortenschlachten,
       das Hadern mit modernen Apparaturen oder die Tücke einer fallengelassenen
       Bananenschale. Nein, auch der Slapstick wagte einen kritischen Blick aufs
       Zeitgeschehen, ganz subtil, durch eine von der alltäglichen Erfahrung
       abweichenden Perspektive.
       
       Bei den Wolfsburger Gegenüberstellungen aber geht diese Dimension der
       Slapstick-Filme unter. Beraubt sind die winzig kurzen Filmausschnitte ihrer
       Handlungsstränge. Und auch in den aktuellen künstlerischen Beiträgen der
       Ausstellung findet sich nicht durchgängig eine Position ironisch
       kommentierender Distanz. Zwar ist der Ausstellung ein unterhaltsamer
       Parcours gelungen, dessen kuratorisches Diktum geistiger Kritik in der
       Kunst der Moderne aber ist nicht immer nachvollziehbar.
       
       So stellt beispielsweise der Weißrusse Alexej Koschkarow für ein
       saturiertes Vernissagenpublikum opulente Tortenschlachten mit 800 Kilogramm
       Cremewerk nach. Im Stummfilmvorbild, „The Battle of the Century“ mit Stan
       Laurel und Oliver Hardy kulminiert die Erzählung nach vielen persönlichen
       Fehlschlägen in einem solchen befreienden Ausagieren: Wie einer absurden
       Kollektivschuld folgend, landen Torten auch bei Unbeteiligten und an weit
       entlegenen Örtlichkeiten: im Fotografenatelier, beim Barbier oder im gerade
       geöffneten Briefkasten.
       
       Gordon-Matta Clark wiederum vollführte 1973 in seinem Video „Clockshower“
       ganz alltägliche Verrichtungen wie Zähneputzen und Waschen – während er das
       große Zifferblatt einer öffentlichen Uhr erklettert. Nicht mehr gnadenlos
       tickender Tyrann ist aber diese Uhr: Ganz lässig und wirkungsvoll wird ihr
       Diktat überwunden. Im formalen Vorbild dagegen, Harold Lloyds Film „Safety
       Last“, hängt der Protagonist, um sein Leben ringend, in schwindelnder Höhe
       am Zeiger. Waghalsige Fassadenkletterei eines mittellosen Helden im Rahmen
       einer öffentlichen Mutprobe – um Geld zu verdienen: Wolkenkratzer und
       verrinnende Zeit als Symbole amerikanischen Aufstiegsethos, ihre
       dramatische Bezwingung als soziales Happy End.
       
       Mit seiner Arbeit „Springtime“ ist der Däne Peter Land vertreten. Ein Arm
       mit ausgestreckter Hand – die naturalistische Nachbildung seiner eigenen
       Gliedmaßen – ragt aus einem Haufen Steine. Ob eine darunter verschüttete
       Person gerade mit der eigenen Rettung beginnt? Land lässt eine Deutung
       offen. Und findet damit auch eine resümierende Charakterisierung der
       Stummfilmakteure: Während heute alles nach Perfektion strebt und
       Gescheiterte nicht selten am medialen Pranger landen, bleibt ihr mitunter
       hilfloses Agieren – vor allem aber ihr Scheitern – stets würdevoll und
       ehrenhaft. Eine tiefe Melancholie liegt so in der unendlichen Wiederholung
       des Fiaskos im Stummfilm. Und ein kultureller Befreiungsakt, der neu zu
       entdecken wäre.
       
       „Slapstick!“: bis 2. Februar 2014, Kunstmuseum Wolfsburg
       
       22 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Maria Brosowsky
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA