# taz.de -- Wohnung oder Mehrbettzimmer: Hilfe, die Flüchtlinge kommen!
       
       > In Bremen diskutieren die Stadtteil-Parlamente über neue
       > Flüchtlingsunterkünfte – mit teils fremdenfeindlichen Tönen.
       
 (IMG) Bild: Mit Metallbetten und Duschcontainern wurde in Bremen-Schwachhausen eine Schule zur Unterkunft
       
       BREMEN taz | +++ USA, 25. Juli: Im seit mehr als zwei Jahren andauernden
       Bürgerkrieg in Syrien sind nach Angaben von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon
       inzwischen mehr als 100.000 Menschen ums Leben gekommen. +++ 
       
       Im Philosophenweg in Bremens Bahnhofsvorstadt queren ein Mann und eine Frau
       die Fahrbahn. Mit zwei Tüten von Aldi in der Hand verschwinden sie im
       Eingang eines ehemaligen Stundenhotels. Keine einladende Gegend, Sex-Shops
       reihen sich hier an Oben-ohne-Bars und Schlager-Diskotheken.
       
       Das Pärchen hat sich das neue Zuhause nicht ausgesucht: Die beiden gehören
       zu den 50 Flüchtlingen, die seit Mitte Juli in dem umfunktionierten Hotel
       unterkommen sollen. Es ist die erste von fünf neuen
       Flüchtlingsunterkünften, die die Stadt Bremen geplant hat. Drei Standorte
       sollen als Container-Siedlungen entstehen.
       
       500 Flüchtlinge werden in Bremen für dieses Jahr noch erwartet. 2013 sollen
       es doppelt so viele werden wie im Jahr zuvor. 50 Flüchtlinge aus Syrien
       kommen noch hinzu. All das schlägt in der Stadt derzeit hohe Wellen. Denn
       über jede neue Unterkunft entscheiden in Bremen die Stadtteil-Beiräte mit.
       Und zunehmend werden die Versammlungen auch zur Bühne für fremdenfeindliche
       Ausfälle.
       
       Erst 2010 ist das neue Beirätegesetz in Kraft getreten, die rot-grüne
       Regierung wollte die Bürgerbeteiligung stärken. Den ganzen Sommer über
       tingeln Sozialstaatsrat Horst Frehe (Grüne) und sein Referatsleiter für
       Zuwanderungs-Angelegenheiten, Heiko Hergert, nun durch die
       Stadtteil-Parlamente. Jedes Mal erklären sie das Gleiche: Bremen muss knapp
       ein Prozent der deutschen Flüchtlinge aufnehmen. 20 Prozent davon landen in
       Bremerhaven. 2013 kamen bis einschließlich Juni 401 Personen in die Stadt,
       2012 waren es bis Juni 182. Die Menschen fliehen aus Syrien, der Russischen
       Föderation, Afghanistan, Irak, Iran, Pakistan.
       
       +++ Irak, 2. Juli: Bei mehreren Anschlägen auf belebten Märkten sterben
       mindestens 43 Menschen. +++ 
       
       In Bremen-Mitte erklären Staatsrat Frehe und Referatsleiter Hergert auf
       einer Beiratssitzung, dass das Sozialressort händeringend nach neuen
       Wohnmöglichkeiten für Flüchtlinge sucht. In allen Stadtteilen. Allerdings
       herrsche Wohnungsmangel. Das Hotel im Philosophenweg sei gut geeignet. Ein
       Bürger meldet sich. Er könne sich doch bei den ganzen Flüchtlingen nicht
       mehr auf die Straße trauen. Der Beirat stimmt dennoch zu.
       
       Eigentlich sind Massenunterkünfte in Bremen gar nicht gewollt. Zumindest
       nicht politisch. Flüchtlingsinitiativen hatten SPD und Grüne überzeugen
       können, dass die Massenunterbringung eigentlich für alle schlecht ist:
       Teurer für die Stadt, nervig, ausgrenzend und manchmal entwürdigend für die
       Geflüchteten. Und: gesundheitsgefährdend, wie das Gesundheitsamt Bremen in
       einem eigenen Bericht feststellte.
       
       Im April 2012 wurde deshalb in der Bremischen Bürgerschaft beschlossen, den
       bis dato bestehenden Zwang für Flüchtlinge, für zwölf Monate in
       Übergangsheimen wohnen zu müssen, zu verkürzen. Mindestens sechs Wochen,
       höchsten drei Monate sind es nun – die Zeit, in der das Bundesamt für
       Migration und Flüchtlinge den Asylantrag bearbeitet.
       
       Seit März 2012 steht dazu auch ein ambulantes Konzept: Vier BeraterInnen
       sollen Geflüchteten helfen, trotz Wohnungsmangels und möglicher
       Diskriminierung durch die Vermieter eine eigene Bleibe zu finden. Derzeit
       aber sind die bestehenden Sammelunterkünfte überbelegt, Wohnungen nicht in
       Sicht.
       
       +++ Irak, 5. Juli: Bei einem Selbstmordanschlag sterben in Bagdad 15
       Menschen, 30 weitere werden verletzt. +++ 
       
       Am Abend zuvor lehnt das Stadtteil-Parlament in Bremen-Vegesack den Bau
       einer Mobilbau-Siedlung für Flüchtlinge ab. Ob denn keiner an die deutschen
       Kinder denke, an die Kriminalität. Der Stadtteil sei schon belastet genug.
       Staatsrat Frehe und Referatsleiter Hergert können kaum ausreden. Die
       Botschaft aus Vegesack: „Nicht hierher!“
       
       Ende Juli warnt der Bremer Rat für Integration – ein sonst eher braves
       Gremium – vor einer Gefahr für die Demokratie. Die Vorsitzende des
       Integrationsrats, die Radio-Bremen-Redakteurin Libuse Cerna, beschreibt die
       Stimmung in der Stadt mit den Worten: „Diffuse Ängste und Vorurteile
       bestimmen zunehmend den öffentlichen Diskurs.“
       
       Was sonst von rechtsextremen Gruppen geschürt werde, gehe in Bremen von
       großen Parteien aus, sagte Cerna zur taz. Dass Flüchtlinge kämen, um die
       man sich kümmern müsse, sei ein ganz normaler Vorgang. „Offenbar geht das
       nicht, das ist unfassbar.“ Anfang August stehen in den Stadtteilen
       Gröpelingen und Obervieland noch Beirats-Sitzungen an. Die Diskussion um
       Flüchtlingsunterkünfte dürften nicht zum Thema im Bundestagswahlkampf
       gemacht werden, sagt Cerna.
       
       +++ Afghanistan, 29. Juli: Eine Bombenexplosion in der Provinz Kandahar
       tötet eine Mutter mit ihren beiden Töchtern. +++ 
       
       In Bremen-Obervieland werden gegen den Bau einer Container-Unterkunft
       Unterschriften gesammelt. 120 Geflüchtete sollen dort wohnen. Ein Flugblatt
       kursiert: Weil die mittellosen Flüchtlinge direkt mit dem Wohlstand der
       angrenzenden Neubausiedlung konfrontiert würden, sei „das Konfliktpotenzial
       nicht kalkulierbar“. Der Bau bedeute einen „Wertverlust“ für das
       Siedlungsgebiet.
       
       Für den Aktivisten Marc Millies ist die Situation schwer auszuhalten. Mit
       dem Flüchtlingsrat kämpft er seit Jahren für bessere Bedingungen für
       Flüchtlinge. Das Gremium, in dem sich Geflüchtete selbst organisieren, hat
       jahrelang erklärt, warum es problematisch, ja unverantwortlich ist,
       Menschen auf wenigen Quadratmetern, mit Gemeinschaftsduschen und -toiletten
       wohnen zu lassen. Ist er nun gegen die neuen Unterkünfte? Oder spielt das
       den Falschen in die Hände? Manche der Argumente des Flüchtlingsrats werden
       in den Beiratssitzungen derzeit auch von der CDU aufgegriffen – und gegen
       eine neue Massenunterkunft im jeweiligen Stadtteil vorgebracht. Alles
       scheint recht.
       
       Dass die bisherigen Heime überfüllt sind, weiß kaum jemand besser als die
       Menschen im Flüchtlingsrat. Millies will die Forderungen dennoch nicht
       herunterschrauben: „Wir plädieren nach wie vor für ein selbstbestimmtes
       Leben und eine Teilhabe von Flüchtlingen“, sagt er. Bei den Unterkünften
       müssten die Mindeststandards erfüllt werden. Das gelte insbesondere, wenn
       es um unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge geht. 50 von Ihnen leben in
       der Zentralen Aufnahmestelle. Sie sollen womöglich in ein eigenes Heim nahe
       der Bremer Diskomeile, weil sie erst dann regulär zur Schule gehen können.
       Dennoch hält der Flüchltingsrat die Diskomeile für den falschen Ort.
       Millies sagt: „Es geht zwar darum, Lösungen zu finden, aber nicht um jeden
       Preis.“
       
       +++ Syrien, 15. Juli: Bei Luftangriffen auf Dörfer in der Provinz Idlib
       werden mindestens 29 Menschen getötet, darunter sechs Kinder. +++ 
       
       In Bremen-Gröpelingen erklärt der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Elombo
       Bolayela, selbst ehemaliger Asylbewerber: „Wichtig ist, die Stadtteile mit
       besonders schwieriger Soziallage nicht zu überfordern.“ Die Beirats-SPD ist
       gegen ein neues Flüchtlingsheim. Gleiches kommt von der CDU. Die
       Flüchtlinge seien eine Belastung.
       
       Marc Millies kann nicht nachvollziehen, wie es zu der aktuellen Lage kam.
       Es sei doch bekannt, dass seit 2008 die Flüchtlingszahlen wieder steigen:
       „Für uns ist es eher eine Überraschung, dass die Begleitstrukturen nicht in
       dem Maße angepasst wurden“, so Millies. Umgekehrt hatte das gut
       funktioniert: Bis 2008 war die Zahl der Asylsuchenden stetig zurückgegangen
       – seit 1993 das neue Asylrecht in Kraft getreten war. Die Strukturen wurden
       zurückgebaut.
       
       Im Philosophenweg in der Bahnhofsvorstadt ging alles ganz schnell. Das
       Treppenhaus sieht nicht renoviert aus, Spiegel, Wandleuchten, robuste
       Tapeten – alles riecht noch nach der alten, gewollt einladenden Atmosphäre
       eines Stundenhotels und späteren Herberge für Montagearbeiter. Die Türen
       tragen noch die Zimmernummern, vor einigen stehen Schlappen, im Flur ein
       Bobbycar. Über dem Treppenaufgang zeigt eine Überwachungskamera in Richtung
       Eingang. Staub und Spinnweben verraten: Sie ist nicht neu, das rote
       Betriebslämpchen leuchtet weiterhin.
       
       +++ Pakistan, 28. Juli: Mehr als 60 Schiiten sterben bei einem
       Terroranschlag gegen die Minderheit im Stammesgebiet Kurram. +++ 
       
       In Bremen-Hemelingen melden sich AnwohnerInnen mit Bedenken. Sie seien von
       der neuen Unterkunft überrascht worden. Der Beirat hatte dem Bau einer
       Container-Siedlung auf einem alten Acker einstimmig zugestimmt, von
       Linkspartei bis CDU. Schulen seien in der Nähe, gleich nebenan das
       Jugendzentrum. Ein Forderungskatalog zur besseren Betreuung der Flüchtlinge
       wurde mit verabschiedet. Der Protest der Bürger aber war so laut, dass nun
       für Ende August eine Anwohnerversammlung anberaumt werden musste.
       
       Dass sich sowohl bei der Unterbringung als auch bei der gesellschaftlichen
       Stimmung die 1990er-Jahre nicht wiederholen dürfen, darin sind sich in
       Bremen die Regierenden mit der radikalen Linken einig. Doch: Was tun?
       Hinter den Kulissen, so hört man, nimmt das SPD-geführte Rathaus die
       Asylheim-kritischen Beiratsgenossen ins Gebet. Die Linkspartei macht
       Sprechstunden in den Bezirken: Unterstützt von Bürgerschaftsabgeordneten
       sollen Vorurteile ausgeräumt werden.
       
       Orte zu finden, die als Unterkünfte geeignet sind, hat seit Mitte Juli in
       Bremen Priorität: Der Senat beschloss, dass alle Ressorts ihre Grundstücke,
       Immobilien und Sondervermögen daraufhin prüfen müssen. Vor jedem
       Grundstücksverkauf hat das Sozialressort das Vetorecht. Vermeiden will
       Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) auf jeden Fall, dass Zelte
       aufgestellt werden müssen wie zuletzt in Hamburg.
       
       Flüchtlingsaktivist Millies ist wichtig, dass mehr Flüchtlinge nicht gleich
       mehr Probleme bedeuten. Er verweist auf die neuen Unterkünfte im Bremer
       Ostertor-Viertel und in Schwachhausen: „Es haben Begegnungen stattgefunden,
       Vorurteile haben sich in Luft aufgelöst.“ Zuvor hatte es auch dort auf den
       Beiratssitzungen Kritik gehagelt, wurden Ängste vor den „Fremden“ deutlich.
       Nach dem Umbau einer alten Schule in Schwachhausen hat die Nachbarschaft
       begonnen, sich zu engagieren. Es gibt freiwillige HelferInnen und
       mittlerweile mehr Spielzeug-Spenden als nötig.
       
       In Vegesack lädt die radikale Linke für den 10. August zur
       antirassistischen Demonstration. „Wer sich laut pöbelnd und rassistisch
       gegen die Unterbringung von Asylsuchenden ausspricht“, heißt es in dem
       Aufruf, „nimmt billigend in Kauf, dass zu körperlicher Gewalt und
       Brandsätzen gegriffen wird.“
       
       +++ Syrien, 25. Juli: Eine Autobombe hat in einem Vorort von Damaskus zehn
       Menschen getötet und weitere 66 Menschen verletzt. +++ 
       
       (Mit Material von dpa)
       
       4 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jean-Philipp Baeck
       
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