# taz.de -- Im Flüchtlingsheim Kind verloren: Auf der Suche nach Verantwortlichen
       
       > Mercy A. war in der Flüchtlingsunterkunft Nostorf/Horst untergebracht,
       > als sie ihr ungeborenes Kind verlor. Jetzt hat sie das Land
       > Mecklenburg-Vorpommern verklagt.
       
 (IMG) Bild: In der Flüchtlingsunterkunft Nostorf/Horst gibt es auch eine Krankenstation: Genützt hat das Mercy A. nichts.
       
       HORST taz | Wer ist für den Tod von Mercy A.s ungeborenem Baby
       verantwortlich? Diese Frage wird ab Donnerstag vor dem Schweriner
       Landgericht verhandelt. Im Prozess soll geklärt werden, ob sich das
       medizinische Personal in der Flüchtlingsunterkunft Nostorf/Horst, wo A. im
       Mai 2010 untergebracht war, als sie ihr Kind verlor, schuldhaft verhalten
       hat. Es gehe um die konkrete Frage, wer in diesem Einzelfall haftet, sagt
       A.s Anwalt Martin Klingner. „Letztlich ist dieser Fall aber nur ein
       Beispiel für den Umgang staatlicher Behörden mit Flüchtlingen.“
       
       Die Ghanaerin Mercy A. war hochschwanger, als sie Anfang April 2010 in
       Hamburg eine Duldung beantragte und in die Unterkunft ins
       mecklenburg-vorpommersche Nostorf gebracht wurde. Bis dahin war ihre
       Schwangerschaft problemlos verlaufen. Auch der Gynäkologe in Boizenburg, zu
       dem A. nach ihrer Ankunft in Nostorf überwiesen wurde, stellte keine
       Auffälligkeiten fest. Der errechnete Geburtstermin für das Kind war der 31.
       Mai 2010.
       
       Doch fünf Tage nach dem letzten Termin beim Gynäkologen verlor A. nachts
       Fruchtwasser und meldete sich auf der Krankenstation der
       Flüchtlingsunterkunft. Dort wurde sie weder untersucht noch wurde ein
       Krankenwagen gerufen. „Die Krankenschwestern sagten, wenn ich keine
       Schmerzen hätte, könnten sie nichts für mich tun“, sagt Mercy A.
       
       Das wäre laut der Hamburger Gynäkologin Cosima Vieth notwendig gewesen, da
       ein Fruchtwasserverlust den Beginn der Geburt bedeute und ohne begleitende
       Wehen Komplikationen entstehen könnten. „Man kann schon sagen, dass ein
       liegender Transport ins Krankenhaus erfolgen sollte“, sagt Vieth. Außerdem
       bestehe nach einem Fruchtwasserabgang ein erhöhtes Infektionsrisiko.
       
       Statt ins Krankenhaus wurde A. am nächsten Tag in die Flüchtlingsunterkunft
       in Jürgenstorf im Landkreis Demmin gebracht – viereinhalb Stunden Busfahrt
       entfernt. „Bevor ich in den Bus einstieg, spürte ich mein Baby noch“,
       erinnert sich Mercy A. „Während der Busfahrt verlor ich weiterhin ständig
       Fruchtwasser, schwitzte unaufhörlich und wurde immer benommener.“ Völlig
       entkräftet kam sie in der neuen Unterkunft an.
       
       Erst am nächsten Morgen wurde sie in das eine Stunde entfernte
       Kreiskrankenhaus Demmin gebracht, wo weder Bewegungen noch Herztöne des
       Fötus festgestellt werden konnten und das Kind tot zur Welt kam. Laut A.s
       Anwalt war die Todesursache eine bakterielle Infektion. Ein Strafverfahren
       wegen unterlassener Hilfeleistung durch das medizinische Personal in der
       Nostorfer Unterkunft war 2010 eingestellt worden. Es könne kein
       schuldhaftes Verhalten der Angestellten nachgewiesen werden, hieß es
       damals.
       
       Der Vorfall wurde 2010 der Hamburger Ärztekammer gemeldet und die Hamburger
       Innenbehörde verfügte unter dem damaligen Senator Christoph Althaus (CDU),
       dass Frauen nach der 26. Schwangerschaftswoche ein befristetes Bleiberecht
       erhalten und nicht mehr auf andere Flüchtlingsunterkünfte umverteilt werden
       sollen. Dieser Beschluss hielt bis zur Bürgerschaftswahl 2011. Unter dem
       neuen SPD-geführten Senat wurde diese Praxis im Dezember 2011 wieder
       rückgängig gemacht.
       
       Mit ihrer Zivilklage gegen das Land Mecklenburg-Vorpommern, das für die
       Zustände in Nostorf/Horst verantwortlich ist, will Mercy A. die Schuldfrage
       erneut prüfen lassen. Sie klagt auf Schmerzensgeld. „Ich möchte den Leuten
       vor Gericht damit sagen, dass sie auf ausländische Menschen aufpassen
       sollen, damit keinem anderen Menschen mehr so etwas passiert wie mir“, sagt
       sie. Arbeite jemand in der Krankenstation einer Flüchtlingsunterkunft,
       müsse er oder sie mindestens Englisch sprechen und sich gesundheitlich
       auskennen. „Außerdem muss gewährleistet sein, dass medizinisches Personal
       unabhängig von sonstigen Verwaltungsaufgaben ist. Dies ist offensichtlich
       nicht der Fall“, ergänzt ihr Anwalt Martin Klingner. „Die mangelhafte
       medizinische Versorgung von Asylbewerbern und Geduldeten in derartigen
       Unterkünften ist kein Zufall, sondern Teil einer systemimmanenten
       Abschreckungsstrategie gegenüber Flüchtlingen.“ Ihnen solle, so Klingner,
       das Leben in den Zufluchtsländern so unangenehm wie möglich gemacht werden.
       
       Auch der Hamburger Flüchtlingsrat übt grundsätzliche Kritik an der
       ärztlichen Versorgung in den Flüchtlingsunterkünften in Hamburg und
       Mecklenburg-Vorpommern. „Das Problem ist, dass die Lagerärzte viele
       Erkrankungen nicht erkennen“, sagt Franz Forsmann vom Flüchtlingsrat. „Wir
       hören immer wieder, dass Leute nicht zu Fachärzten überwiesen werden und
       nur wenige Medikamente erhalten.“
       
       Außerdem würden Schwangere immer wieder nach Nostorf verlegt. Der
       Flüchtlingsrat fordere daher eine dezentrale Unterbringung in Hamburg und
       Zugang zum medizinischen System mit einer Bereitstellung von
       Krankenkassenkarten für alle Geflüchteten.
       
       6 Jan 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Leebucari
       
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