# taz.de -- Sommerausflug Teil 7: Auf verwunschenen Fließen
       
       > Der Unterspreewald ist anders als das vom Massentourismus geprägte
       > Lübbenau oder Lübben noch immer gut für eine Entdeckungsreise. Eine
       > Paddeltour.
       
 (IMG) Bild: Kahnfahrer am Hafen von Schlepzig.
       
       Allein die Einfahrt nach Schlepzig ist großes Spreewaldkino. Nur zögernd
       verzieht sich der Baldachin aus Erlen-, Ulmen- und Eichendächern und gibt
       den Blick frei auf individuell gestaltete Spreewaldhäuser, die allerdings
       dreierlei gemeinsam haben: einen Kahn am Ufer, frisch gemähten Rasen und
       eine Blumenpracht vor dem Haus. Die soll wohl auch bedeuten: Hinter uns
       liegt der wilde Wald, jetzt sind wir in der Zivilisation.
       
       Schlepzig, auf Niedersorbisch Slopišća, ist der Hauptort des
       Unterspreewalds und damit selbst im Sommer bei Weitem nicht so überlaufen
       wie Lübbenau oder Lübben, die touristischen Zentren des Oberspreewalds.
       Ganz so verschlafen wie die anderen Orte des Unterspreewalds, Groß
       Wasserburg, Leibsch oder Neu Lübbenau, ist Schlepzig aber nicht. Es gibt
       ein Bauernmuseum, das vom Wirtschaften im Spreewald erzählt, ein
       Informationszentrum des Biosphärenreservats Spreewald und die
       Spreewaldbrennerei für alle, die Hochprozentiges mögen.
       
       Vor allem aber ist Schlepzig ein kulinarisches Highlight im gesamten
       Spreewald. In der „Reuse“ kann man wunderbar am Wasser sitzen und den
       Manövern der Eintagspaddler zuschauen, ohne sich über zerkochte Salz- oder
       matschige Bratkartoffeln ärgern zu müssen. Und im Landgasthof Zum grünen
       Strand der Spree ist ohnehin die gehobene Küche zu Hause.
       
       Wir dagegen landen vorerst am Kioskimbiss „Glück auf“. Mit dem Ruhrgebiet
       hat das wenig zu tun, eher mit einer bestimmten Spielart märkischen Humors.
       Eine Tafel gleich daneben klärt auf, wie es zu diesem Namen kam: „Wenn du
       Glück hast, ist offen, wenn Tür zu: liegt der Kneiper Heeme uff Couch.“
       
       Das „Glück auf“ gehört zum lauschigen Kahnhafen von Schlepzig und nennt
       sich deshalb auch Hafenkneipe. Die Wiese am Kahnhafen ist eigentlich einer
       der vier traditionellen Wasserwanderrastplätze im Unterspreewald, an diesem
       Abend aber gehört sie dem Dorffest. Der Betreiber des „Glück auf“ hat einen
       DJ besorgt, und nun besingen nicht mehr die Vögel die Schönheit dieser
       einzigartigen Kulturlandschaft, sondern Roland Kaiser klagt über Liebe,
       Herz und Schmerz. Auweia, raunen wir uns zu, aber wir haben keine andere
       Wahl. Es ist bereits 19.30 Uhr, ein Gewitter zieht durch, und der nächste
       Rastplatz liegt in Neuendorf am See. Wollen wir nicht verhungern, müssen
       wir mit Roland Kaiser auskommen.
       
       Angefangen hatte unsere Tour in Groß Wasserburg. Dort klagte uns Wolfgang
       Müller, Inhaber der Gaststätte Zum Unterspreewald sein Leid: „Die Saison
       war bescheiden. Als das Hochwasser kam, waren die Behörden schnell dabei,
       den ganzen Spreewald für die Kähne und die Paddler zu sperren. Angeblich
       wegen der starken Strömung. Aber hier in Groß Wasserburg war überhaupt
       keine starke Strömung. Also angerufen beim Wasser- und Schifffahrtsamt.
       Keiner zuständig. Beim Amt Unterspreewald. Keiner zuständig. Beim
       Landesumweltamt. Keiner zuständig. Nach sechs Wochen kam dann mal einer und
       meinte: Hier ist ja gar kein Hochwasser. So ist das hier.“
       
       Bei Müller kann man Paddelboote und Kanus ausleihen, und seit Ende Juni ist
       der Spreewald wieder offen für Freizeitsportler. Nachdem wir das Boot
       eingesetzt hatten, ging es über den Randkanal hinein in den Unterspreewald,
       und schon waren wir mitten in dieser brandenburgischen Amazonaslandschaft.
       Hinter jeder Ecke ein neuer Blick auf Fließe, Pfeilkraut, Wasserrosen,
       Reiher, Libellen, Eisvögel, Biberbiss. Auch die Namen der Fließe haben
       etwas Exotisches: Puhlstrom, Schiwastrom, Zernasfließ, Quaaspree. Lautloses
       Gleiten unter hohen Bäumen, unterbrochen allein vom Platschen der Paddel
       ins oft nur dreißig Zentimeter tiefe Wasser.
       
       Unser erstes Ziel war die Ausflugsgaststätte Petkamsberg, die wir über den
       Puhlstrom nach zwei Stunden erreichten. Kaffeepause mit Blick auf die
       wenigen Kähne, die hier anlegen. Anders als in Lübbenau gibt es keine
       Massenabfertigung. Die nächste Kahnfahrt ist am jeweiligen Hafen meist mit
       Kreide angekündigt. Auch werden die Kähne im Unterspreewald nicht gestakt,
       sie fahren mit Motor. Die Wege sind hier eben länger als der von Lübbenau
       ins berühmte Lehde mit seinem beliebten Fotomotiv: der Postbotin, die die
       Briefe per Kahn austrägt.
       
       Von Petkamsberg ging es über die Hauptspree ins drei Kilometer entfernte
       Schlepzig – und nun stehen wir am Kahnhafen mit der Hafenkneipe und Roland
       Kaisers Herzschmerz. Das abendliche Dorffest ist der Ausklang eines ganzen
       Feierwochenendes. Auch einen altertümlichen Markt hat es gegeben. Schlepzig
       ist stolz auf seine Vergangenheit, auch wenn die jüngste erst im 18.
       Jahrhundert begonnen hat: 1769 war der größte Teil des Dorfs einem Brand
       zum Opfer gefallen. Doch der Wiederaufbau begann schnell, schon 1782 war er
       mit dem Bau der Fachwerkkirche abgeschlossen, und zwei Jahre später
       entstand die Privatbrauerei, auf deren Gelände die Satama-Gruppe aus
       Wendisch Rietz nun Schlepzig in die touristische Zukunft hieven will. Der
       Landgasthof gehört dazu, zwei Biergärten befinden sich auf dem Gelände und
       das Café am Weidendom. Alles in historischen Mauern. Mit Hotel und Spa auf
       dem Gelände mausert sich der Unterspreewald auch zum Winterreiseziel.
       
       „Der Höhepunkt des Dorffestes war der Kahnkorso am Sonntagnachmittag“,
       erklärt uns ein Einheimischer und deutet eher beiläufig an, dass wir unser
       Zelt nicht mehr, wie all die Jahre zuvor, auf die Wiese stellen dürften.
       „Den Hafen und den Rastplatz hat die Gemeinde von den Kahnfährleuten
       übernommen“, sagt er. „Seither kostet alles Geld, und das Zelten ist
       verboten.“
       
       ## Zelten verboten
       
       Eine Hinweistafel am Regenunterstand bestätigt das Ganze auf Schlepziger
       Amtsdeutsch: „Für die Nutzung des Kahnhafens Schlepzig sind auf der
       Grundlage des Beschlusses der Gemeindevertretung Nr. 26-2013 vom 18. 7.
       2013 folgende Benutzungsentgelte zu entrichten: Nutzungsentgelt für
       Fremdabfahrten mit dem Kahn: 15 Euro je Abfahrt. Gewerbliches Einsetzen
       eines Paddelboots: 2 Euro je Boot.“ Daneben der „Hinweis“: „Auf dem
       Wasserwanderrastplatz sind keine Übernachtungen gestattet.“
       
       Auf der offiziellen Wasserwanderkarte des Biosphärenreservats unter
       [1][www.schlepzig.de] ist der Rastplatz aber als Biwakplatz eingezeichnet.
       Ein Schildbürgersteich aus dem Unterspreewald? „Es gab Probleme mit dem
       Müll“, wird dazu einige Tage später Amtsdirektor Jens-Herrmann Kleine vom
       Amt Unterspreewald sagen. „Außerdem können die Paddler ja auf die
       Biwakplätze in Petkamsberg und Groß Wasserburg ausweichen.“
       
       Ausgerechnet Schlepzig, die noch immer unentdeckte Schöne, will nun zur
       Perle werden. Im nächsten Jahr soll der Kahnhafen ausgebaut werden, und mit
       der „kleinen Kahnfahrt“ über die Schlepziger Dorfspree will man den
       Tagestourismus verstärken. „Der Wasserwanderrastplatz bleibt für Tagesgäste
       nutzbar“, beschwichtigt Kleine, der in der Arbeitsgemeinschaft
       Wassertourismusinitiative Brandenburg-Südost sitzt. Soll heißen: Die
       Wasserwanderer sind nicht mehr erwünscht.
       
       Gerade im Biosphärenreservat Spreewald, wo Übernachten im Freien
       strengstens verboten ist, wird also die Infrastruktur abgebaut. Seitdem
       auch der Rastplatz Leibsch für Zelte tabu ist, bleiben tatsächlich nur noch
       Petkamsberg und Groß Wasserburg. Weiter spreeabwärts dagegen buhlt jede
       Gemeinde und jede Kneipe um Wasserwanderer und stellt ihnen ihre Dorfwiese
       zur Verfügung. Geht es dem Unterspreewald zu gut?
       
       Kopfschüttelnd gehen wir in den Landgasthof, weil das Restaurant Zur Reuse
       am Sonntagabend schon geschlossen hat. Wir bereuen es nicht: Es gibt
       frische Pfifferlinge in Sahnesoße, dazu auf der Haut gebratenen Zander und
       Rosmarinkartoffeln. Gut, dass wir im wasserdichten Packsack auch noch
       zivile Klamotten hatten und nicht im Räuberlook auflaufen mussten.
       
       Aber vielleicht hätte uns Dieter Haas, der Chef des Landgasthofs, auch so
       eingelassen. „Uns sind die Paddler willkommen“, sagt er. Den Biwakplatz zu
       schließen hielt er für keine gute Idee. Aber nicht nur die Paddler haben
       unter der Verwaltung im Amt Unterspreewald zu leiden, deutet Haas an,
       sondern auch die Kahnfahrer. „Offenbar gibt es da an der ein oder anderen
       Stelle ein paar Kommunikationsschwierigkeiten.“
       
       Am nächsten Morgen machen wir vor der Abfahrt noch eine Ehrenrunde durch
       Schlepzig. Über die kleine Stadtschleuse und die Dorfspree lässt sich ein
       drei Kilometer langer Rundkurs fahren. Am Ende entdecken wir an einem
       kleinen Seitenarm das süße Café an der Spree. Wie im Landgasthof sind wir
       auch hier als Paddler willkommen. Und selbst das Dorffest war nach einer
       Flasche Wein am Kahnhafen erträglich geworden. Nachdem die DJs mit Roland
       Kaiser ihre Pflicht hinter sich gebracht haben, ging es gegen 22 Uhr an die
       Kür – Rock aus den Achtzigern mit Midnight Oil: „Out where the river broke
       / The bloodwood and the desert oak / Holden wrecks and boiling diesels /
       Steam in forty five degrees.“
       
       Nein, der Unterspreewald ist viel zu schön, um ihn sich apokalyptisch als
       Wüste zu denken, auch wenn das Juni-Hochwasser eher eine Ausnahme war und
       die Wasserstände des einzigartigen Binnendeltas immer weiter sinken. Und
       auch der Kioskbetreiber meinte: „Stellt euch doch einfach hin mit eurem
       Zelt, das stört sowieso keinen.“
       
       Am Ende der Tour in Groß Wasserburg wartet schon unser Kanuverleiher
       Wolfgang Müller. Neben ihm steht ein Kahnfahrer. „Ja“, schimpft der, „ich
       bin aus Schlepzig. Aber seit die Gemeinde den Hafen übernommen hat, fahren
       wir den nicht mehr an. 15 Euro pro Abfahrt, das ist doch eine Frechheit!“
       
       7 Aug 2013
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.schlepzig.de
       
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 (DIR) Uwe Rada
       
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