# taz.de -- Liebe zu Kinofilmen: Hier geht's zur großen Liebe
       
       > Filme spiegeln die Sehnsüchte, Vorlieben und Ängste ihrer Zuschauer.
       > Deshalb sind sie für Singles der perfekte Partnerschaftstest. Ich
       > probiere es aus.
       
 (IMG) Bild: Die Antwort hierauf gibt es bestimmt – auf DVD und BluRay.
       
       Die große, wahre Liebe ist nur einen Filmabend entfernt. Das weiß ich, seit
       ich „Schlaflos in Seattle“ gesehen habe. Und das Beste daran: Um den
       passenden Menschen zu finden, muss niemand wie Meg Ryan eine nächtliche
       Radiosendung hören, in der einer wie Tom Hanks zögerlich von seiner
       verstorbenen Frau erzählt. Wer hätte gedacht, dass man beim Suchen und
       Finden der Liebe auch bequem sitzen und Popcorn essen kann? Aber der Reihe
       nach.
       
       Vordergründig geht es in der romantischen Komödie ja um die Frage, ob Hanks
       und Ryan zueinanderfinden – entgegen aller Wahrscheinlichkeit und über
       Tausende Kilometer hinweg. Aber jeder gute Film ist mehr als die Summe
       seiner Drehbucheinfälle und Schauspielleistungen. Ein Meisterwerk bringt
       etwas in Menschen zum Schwingen, von dem sie oft selbst nicht wissen, was
       es ist. Es lässt sie ahnen, was sie fürchten und wünschen. So war es auch
       bei mir, als ich neulich „Schlaflos in Seattle“ guckte.
       
       Es war später Abend, ich sah allein fern. Mehr brauche ich wohl kaum zu
       sagen, um klarzumachen, dass ich schlechte Laune hatte. Meine Freundin und
       ich hatten uns kurz zuvor getrennt. Im Fernsehen war gerade zu sehen, wie
       Sam (Hanks) nach dem Krebstod seiner Frau versucht, ins Leben
       zurückzufinden. In diesem Moment kommt Annie (Ryan). Sie will zu Filmbeginn
       ihren netten, aber langweiligen Freund heiraten. Annie redet sich ein, als
       Frau in den Dreißigern müsse sie ihre Träume von der großen Liebe aufgeben.
       
       „Schicksal“, sagt Annie ihrer Mutter, „ist etwas, das wir erfunden haben,
       weil wir den Gedanken nicht ertragen können, dass alles, was passiert,
       reiner Zufall ist.“
       
       ## Dingdong, die Liebe ist da
       
       Ich legte die Fernbedienung aus der Hand. Genau, dachte ich, so ist es! Wir
       können nicht erwarten, dass der perfekte Mensch an der Tür klingelt nach
       dem Motto: „Dingdong, du hattest die große Liebe bestellt. Hier bin ich.
       Oh, du guckst ’Schlaflos in Seattle‘. Hast du noch Platz auf der Couch? Ich
       hab auch Choco Crossies.“
       
       Wer die große Liebe finden will, muss etwas dafür tun. Aber was? Ich
       schaute auf die DVD-Hülle. Darauf stand: „Stell dir vor, jemand, den du nie
       getroffen hast, den du nie gesehen hast, den du nie kennengelernt hast, ist
       die Liebe deines Lebens.“(Okay, ich geb’s zu: Ich habe den Film nicht
       zufällig im Fernsehen gesehen, ich habe die DVD in der Videothek
       ausgeliehen. Bitte nicht meinen männlichen Freunden erzählen.)
       
       Mir wurde klar, dass tief in mir große Unruhe herrschen musste, wenn eine
       romantische Komödie es schafft, mich so zu berühren. Die perfekte Frau für
       mich mochte da draußen sein, und ich saß zu Hause und hatte nicht mal Choco
       Crossies. Dann kam diese unscheinbare Filmszene:
       
       Annie eilt zu ihrem Bruder. Sie ist verwirrt, ihr geht die Stimme aus der
       nächtlichen Radiosendung nicht aus dem Kopf: die Stimme des Witwers Sam.
       
       ## Verliebte Neurosen
       
       Annie fragt ihren Bruder, ob es sein könne, dass sie verliebt ist in einen
       Mann, den sie gar nicht kennt. Ruhig antwortet er: „Wenn du dich zu
       jemandem hingezogen fühlst, heißt das nur, dass dein Unterbewusstsein sich
       von dem anderen Unterbewusstsein angezogen fühlt – unterbewusst. Also ist
       das, was wir Schicksal nennen, das Bewusstsein zweier Neurosen, dass sie
       perfekt zusammenpassen.“
       
       Etwas in mir wusste: Das ist die Lösung der Probleme bei der Partnersuche.
       Dass ich nicht früher darauf gekommen bin! Dabei hatte ich die Antwort die
       ganze Zeit direkt vor meinen Augen.
       
       Filme sind mächtig, weil sie uns Bilder einprägen können. Das gelingt ihnen
       aber nur, wenn sie dabei an etwas rühren, was bereits in uns schlummert.
       „Im Laufe eines Tages sind wir mehrmals in das Entstehen und Vergehen
       kompletter Seelenwelten einbezogen“, schreibt der Medienpsychologe Dirk
       Blothner.
       
       Auch in alltäglichen Situationen geraten wir ständig „in die Dramatik von
       Gelingen und Verfehlen, von Sieg und Niederlage, Ordnung und Chaos, Treue
       und Verrat“. Im Büro gibt es Streit, jemand nimmt uns die Vorfahrt, der
       Blick eines Menschen auf der Straße irritiert uns. An das meiste erinnern
       wir uns bald nicht mehr. Das Unbewusste aber vergisst nicht, es kennt weder
       Vergangenheit noch Zukunft.
       
       ## Grenzen kennenlernen
       
       „Im Kino haben wir die dramatische Lebenswirklichkeit noch einmal vor
       Augen“, schreibt Blothner. „Wir möchten im freieren Raum der fiktionalen
       Unterhaltung ausprobieren, was wir uns im realen Leben nicht (zu)trauen.
       Wir benutzen das Kino, um zu erfahren, was uns lieb und teuer ist, und um
       unsere Grenzen kennenzulernen.“ Hier kommt „Schlaflos in Seattle" ins
       Spiel.
       
       Annies Bruder Dennis sagt: „Was wir Schicksal nennen, ist das Bewusstsein
       zweier Neurosen, dass sie perfekt zusammenpassen“ – unbewusst. Beim
       Sichverlieben verstehen zwei Menschen also gar nicht, was sie am Gegenüber
       so anziehend finden. Etwas in ihnen aber weiß es genau. Bekanntlich
       erweisen sich Beziehungen als besonders stabil, die auf Gemeinsamkeiten,
       nicht Unterschieden beruhen.
       
       Wie aber lässt sich herausfinden, welche Neurosen, Ängste, Sehnsüchte und
       Vorlieben ein Mensch hat und ob sie zu meinen passen, ohne viel Geld fürs
       Bestechen seines Psychotherapeuten auszugeben? Jemanden direkt zu fragen
       nützt häufig wenig. Schließlich kennen die meisten Menschen sich selbst
       schlechter, als sie glauben. Und gegenüber anderen malen sie von sich oft
       ein Bild, das zu charmant ist, um wahr zu sein. Jetzt aber habe ich die
       perfekte Abkürzung zum Glück gefunden.
       
       Meine Idee: Der effizienteste und kurzweiligste Partnerschaftstest, den es
       gibt, ist ein gemeinsamer Kino- oder DVD-Abend. Nichts verrät so untrüglich
       wie ein beiläufiger Blick in die Augen des Sitznachbarn, was diesen
       Menschen im Innersten bewegt. Lächelt er oder sie unwillkürlich im selben
       Moment wie ich? Oder gähnt da etwa jemand während meiner Lieblingsszene?
       Hält mein Date meinen Leinwandhelden für einen Trottel? Ein Kichern und ein
       Seufzen an der richtigen oder falschen Stelle sagen eine Menge aus. Auch
       ein Plausch über Filme verrät viel.
       
       ## Ein Lügendetektortest zum dabei aufs Klo gehen
       
       Ein Spielfilm ist wie ein Lügendetektor. Wir können ihn nicht überlisten,
       weil wir oft nicht mal ahnen, was das Leinwandgeschehen in unserem
       Unbewussten berührt. Ein Filmabend ist ein Lügendetektortest, bei dem man
       zwischendurch aufs Klo gehen kann.
       
       Ich drückte auf die Stopptaste der Fernbedienung, auf dem Fernseher gefror
       das Bild des einsamen Tom Hanks, der nachts vor seinem Hausboot in einem
       Stuhl hockt. Anders als die Filmfigur stand ich auf. Ich warte nicht mehr
       aufs Schicksal. Das ist doch bloß etwas, was wir erfunden haben, weil wir
       den Gedanken nicht ertragen können, dass alles, was passiert, reiner Zufall
       ist.
       
       Ich mache mich auf, die Frau fürs Leben zu finden. Ich werde gezielt Frauen
       kennenlernen und mit ihnen über Filme plaudern. Ich werde sie zum Kino-
       oder DVD-Abend einladen. Und ich werde schneller denn je verstehen, ob eine
       von ihnen wirklich zu mir passt. Wer die unbewusste Wirkung von Filmen
       begreift, der begreift auch die Charaktere derer, die sie schauen. Das
       Verständnis von Lieblingsfilmen ist der Königsweg zum Herzen moderner
       Menschen – Frauen wie Männer.
       
       Womöglich ist die Liebe meines Lebens jemand, den ich nie getroffen habe,
       den ich nie gesehen habe, den ich nie kennengelernt habe. Doch Liebe
       überwindet derlei Kleinigkeiten. Hab ich im Kino gesehen.
       
       22 Aug 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Matthias Lohre
       
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