# taz.de -- Debatte Femen: Naiv und kontrolliert
       
       > Als hätte man's geahnt: Die barbusigen Aktivistinnen unterstanden einem
       > Mann. Was bleibt noch von ihren Aktionen gegen Prostitution?
       
 (IMG) Bild: Femen auf dem Filmfestival in Venedig, inklusive der neuen Chefin (Mitte).
       
       Tja, diese nackten Frauenkörper, tausend Mal gesehen und noch immer eine
       Provokation. Taucht irgendwo in der Öffentlichkeit ein entblösster Busen
       auf, ist Aufregung vorprogrammiert und auch die Polizei läßt nicht lange
       auf sich warten. Voyeurismus und Exhibitionismus – sie sterben zuletzt.
       
       Und sie sind zentraler Bestandteil einer Blickordnung, die das männliche
       Subjekt privilegiert und das weibliche zum Objekt herabwürdigt. Ein
       urfeministisches Thema. Femen setzte es erneut auf die Agenda. Die 2008 in
       der Ukraine gegründete Aktivistinnengruppe protestiert barbusig gegen
       „Prostitution, Patriarchat und Islamismus“ und sorgte mit ihren
       Störaktionen etwa bei Heidi Klums Topmodel Show für Medienwirbel.
       
       Allerdings ist für die Vorherrschaft des männlich-dominanten Blicks nicht
       nur ein maskuliner Herrschaftsanspruch vonnöten, sondern auch die
       Kollaboration der betrachteten Frauen. Erst wenn Frauen Freude daran haben,
       sich dem entwürdigenden Blick auszusetzen und mit ihm zu „spielen“,
       funktioniert die patriarchale Ordnung reibungslos. Ungewollt haben Femen
       auch dieses Prinzip bestätigt.
       
       Der auf dem Filmfestival in Venedig gezeigte Dokumentarfilm „Ukraine Is Not
       a Brothel. The Femen Story“ entzauberte sie nämlich als Mädchenkombo, in
       deren Hintergrund ein Mann bis vor kurzem die Fäden zog. Wiktor Swjatski
       wählte die Aktivistinnen alleine aus und legte Ort und Zeit der
       Interventionen fest. „Als er sich als Vater unseres neuen Feminismus
       präsentierte, haute mich diese mutige Erklärung um. (...) Da wir in einem
       Land geboren wurden, in dem Feminismus unbekannt war, akzeptierten wir in
       der besten patriarchalen Tradition, dass ein Mann die Kontrolle über uns
       übernahm.“ So erklärt die Aktivistin Inna Shevchenko im Guardian vom 5.
       September die Situation. Damit kann die Akte Femen geschlossen werden –
       oder warum sollte man weiter über die Pseudofeministinnen reden?
       
       Weil sie als Phänomen interessant bleiben. Femen macht sichtbar, wie
       schlicht die Mainstreammedien international auf feministische Parolen und
       weibliche Nacktheit nach wie vor reagieren: Nackter Busen = Schlagzeile.
       Nackter Busen in Verbindung mit Männerkritik auf öffentlichen Plätzen =
       rohe Polizeigewalt und noch mehr Schlagzeilen. Je naiver und politisch
       unterkomplex die Aussagen der Protagonistinnen desto besser. Auch das
       bedient den gängigen Antifeminismus und verhindert, dass man sich ernsthaft
       mit Prostitution und Frauenhandel beschäftigen muss.
       
       ## Krasse Geschichtsvergessenheit
       
       Darüber hinaus zeigt Femen, wie wichtig Geschichtsvergessenheit für den
       medialen Erfolg von „feministischen“ Aktionen ist. Interventionen im
       öffentlichen Raum mit vollem Körpereinsatz haben in der feministischen
       Bewegungen eine lange Tradition. Valie Export etwa, die Grande Dame der
       Performance- und Videokunst, machte mit ihren spektakulären Auftritten im
       öffentlichen Raum immer wieder die Verflechtung von Voyeurismus und
       Exhibitionismus, von Privat und Öffentlichkeit, Kapitalismus und Individuum
       zum Thema. Zum Beispiel mit ihrem „Tapp-und Tastkino“.
       
       Export stellte sich 1968 in eine Fußgängerzone, ihre nackten Brüste
       verdeckte nur ein nach vorne geöffneter Pappkarton. Sie lud alle männliche
       Passanten ein, ihren Busen zu begrabschen. Viele griffen zu. Und bemerkten
       häufig erst während ihres Tuns, dass etwas anders passierte als etwa im
       Bordell. Denn nicht nur die Frau, auch sie als zupackende Männer wurden nun
       dem öffentlichen Blick ausgesetzt. Der Voyeur wird zum Angeschauten, das
       Objekt der Begierde zur Regisseurin – und auch wieder nicht. Es bleibt ein
       Zwischending.
       
       Die Aktion kann die Hierarchie nicht aushebeln, aber sie macht sie
       sichtbar. In der Psychologie wurde diese ausgestellte Ambivalenz als
       paradoxe Intervention bezeichnet: Man reproduziert das Kritisierte, verhält
       sich damit widersprüchlich zur kollektiven Erwartung und thematisiert so
       eingeschliffene, aber tabuisierte Machtstrukturen.
       
       ## Der feine, große Unterschied
       
       Der Unterschied vom „Tapp- und Tastkino“ von Valie Export und Femen ist:
       Exports Performances bedienen den chauvinistischen Voyeurismus nicht. Der
       Voyeur wird zum Angeschauten und Exports Brüste sind dem öffentlichen Blick
       entzogen, da von einem Karton umgeben. Bei den Aktionen von Femen indessen
       fehlte das Moment, das die Akteurinnen zu Regisseurinnen und die
       Öffentlichkeit zum Gegenstand der Diskussion macht. Die Aktivistinnen
       gerierten sich stattdessen als attraktiv, kratzbürstig und häufig als dumm,
       sie bedienten ein Frauenklischee mehr als dass sie es kritisierten. Und sie
       taten so, als wären sie die erste Frauengruppe, die sich gegen Prostitution
       wehrte. Auch diese Geschichtsvergessenheit folgt einer gängigen medialen,
       patriarchalen Logik.
       
       Seit den 90ern greift die Populärkultur, wie die Kulturwissenschaftlerin
       Angela McRobbie es zuspitzt, Geschlechterthemen auf, entkleidet sie jedoch
       ihres sozialen und auch historischen Zusammenhangs. Auf diese Weise werden
       insbesondere junge Frauen als Zeichen des sozialen Wandels gefeiert – und
       gleichzeitig die feministischen Bewegungen entsorgt: „Undoing Feminism“.
       Wurden die Protagonistinnen von Femen je ernsthaft danach gefragt, wie sie
       die Prostitution in der Ukraine erleben oder nach Zahlen oder
       Entwicklungen? Oder warum sie den Begriff des Patriarchats in ihren Slogans
       so roh verwenden, wo er doch seit den 80ern höchst umstritten, wenn nicht
       gänzlich diskreditiert ist?
       
       Nein, die Aufnahmen der Brüste waren den Medien und den
       MedienkonsumentInnen Aussage genug. Das einmal mehr gezeigt zu haben, ist
       das Verdienst von Femen. Dass sich die Gruppe jetzt auflöst, geht
       allerdings auch in Ordnung. Mehr als Fehler zu reinitiieren ist ihnen nicht
       gelungen, und das reicht nicht. Zumindest nicht, wenn es um mehr als
       Blitzlichtgewitter gehen soll, gar um Emanzipation.
       
       In den letzten hundert Jahren haben FeministInnen extrem viel Wissen
       produziert, ob in der Kunst oder in der Politik. Ein wesentlicher
       Mechanismus, um männliche Dominanz abzusichern besteht darin, dieses Wissen
       vergessen zu machen. Femen so wie viele anderen Postfeministinnen haben das
       leider noch nicht begriffen.
       
       14 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ines Kappert
       
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