# taz.de -- Lydia Lunch über Rebellion und Idioten: „The more they kill, the more I fuck“
       
       > Wut ist der Stoff, den Lydia Lunch in ihre Musik und Kunst packt. Wut auf
       > Frauenfeindlichkeit, Ungerechtigkeit, Angstmacherei und Heuchelei.
       
 (IMG) Bild: Lydia Lunch auf der Big-Noise-Sexy-Tour 2011 in Prag.
       
       taz: Frau Lunch, sind Sie schon in der Stimmung, über Frauen und Sex zu
       sprechen? 
       
       Lydia Lunch: Bin ich eigentlich immer.
       
       Haben Sie „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche gelesen? 
       
       Ich hab’s angefangen, bin aber nicht durchgekommen. Es ist okay, glaube
       ich, aber es wurde nicht für mich geschrieben.
       
       Sie haben bereits in den Neunzigern mit „Paradoxie“ und „Belastende
       Indizien“ Bücher über Frauen geschrieben, die selbstbestimmt ihre
       Sexualität ausleben. Wieso scheint es immer wieder eine Überraschung für
       die Öffentlichkeit zu sein, dass Frauen aktiv Sex wollen oder darüber
       schreiben? 
       
       Wenn ich das wüsste. Es scheint sich tatsächlich nicht viel zu ändern. Ich
       kämpfe seit Jahrzehnten den gleichen Kampf. Dazu kommt natürlich die Sache
       mit den Generationen – jede sucht sich eben die eigene Stimme.
       
       Heißt das, dass die Gesellschaft in Bezug auf Feminismus nichts lernt? 
       
       Wahrscheinlich! Andererseits: Ich habe gerade in Frankreich ein Stück für
       Virginie Despentes (Regisseurin von „Baise-moi“, Anm. J. Z.) geschrieben,
       sie hat eine Anthologie über Dominik Strauss-Kahn zusammengestellt. Nachdem
       ich das Stück in Los Angeles gelesen habe, hat der Hustler – Larry Flints
       Männermagazin – es gekauft. Sie drucken es nächsten Monat. Das könnte doch
       ein Hinweis für Veränderung sein! Mir kommt das zwar bizarr vor, aber
       immerhin. Und jetzt will Larry Flint, dass ich politische Kolumnen für den
       Hustler verfasse – ich schlug ihnen dafür den Titel „Cuntzilla vs the
       Cockocracy“ vor. Sie wollen, dass ich über die NSA und Edward Snowden
       schreibe. Dass ein Pornograf wie Flint so etwas gut findet, bedeutet ja
       nur, dass es im Ganzen nicht um Sex oder Pornografie geht. Sondern um
       Macht. Denn der Hustler war immer schon interessiert daran, politische
       Heuchelei aufzudecken.
       
       Dann gehen Sie also endlich in die Politik? 
       
       Ich rede und schreibe seit der Amtszeit von US-Präsident Ronald Reagan über
       Politik, aber vielleicht hat man meine Äußerungen zu wenig gelesen.
       
       Werden Sie nie müde? 
       
       The more they kill, the more I fuck. Ich kann nicht nachlassen, weil ich
       niemanden sehe, der in meine Fußstapfen tritt. Ich mache das seit 1977, ich
       bin 54, fühle mich aber nicht so. Für mich hat sich nichts geändert, man
       weiß nur heute durch das Internet mehr. Als ich anfing, das Reagan-Regime
       zu beschimpfen, warf man mir vor, ich würde übertreiben. Die gleichen Leute
       gaben mir später recht.
       
       Muss man nicht an Veränderung glauben, um ständig Wut auszuspucken? 
       
       Ich glaube nicht, dass ich Zustände ändern kann, höchstens Köpfe,
       Geisteshaltungen. Ich hoffe, ich kann Menschen mit meiner Kunst das Gefühl
       geben, nicht allein zu sein. Ich biete ihnen an, ihre Stimme zu sein. Mir
       geht es nicht darum, verstanden zu werden, sondern um Befruchtung.
       
       Prügeln Sie sich oft? 
       
       Lustig, dass Sie fragen – eigentlich seit ein paar Jahrzehnten nicht mehr.
       Aber neulich habe ich in Orlando, Florida, gespielt, und zwei Arschlöcher
       im Publikum hielten einfach nicht die Klappe. Ich fragte zuerst höflich,
       aber als das nichts nützte, haute ich erst dem einen und dann dem anderen
       in die Fresse. Der eine war der Sohn des Senators, dafür gab es viel
       Beifall.
       
       Was war Ihre Grundmotivation, hinaus in die Welt zu gehen und
       Frauenfeindlichkeit und Ungerechtigkeit anzuprangern? 
       
       Ich fing mit zwölf Jahren an, meine Stimme zu erheben. Ich war voller Hass.
       Das bin ich irgendwie immer noch, lasse aber nicht zu, dass der Hass mich
       auffrisst, ich dirigiere ihn auf die Bühne, in meinem Privatleben habe ich
       gar keine Zeit für Hass, denn mein Feind ist zu groß, den kann ich eh nicht
       besiegen. Meine Rebellion war von Anfang an Lust. Lust im Angesicht der
       Apokalypse, am Rande des Abgrunds. Wenn man sich die Lust nicht
       zurückerobert, dann haben sie gewonnen. Ich werde also weitermachen. Ich
       bin zufrieden, denke sogar, dass ich die erfolgreichste Künstlerin meiner
       Zeit bin.
       
       Das meinen Sie vermutlich nicht im finanziellen Sinne? 
       
       Nein, das hat nichts mit dem Stand meines Bankkontos zu tun, ich bin
       genauso viel oder wenig erfolgreich wie immer. Aber Wahrheit ist kein
       gefragtes Gut, aggressive Frauen sind es auch nicht, doch die Rolle von
       Frauen in der modernen Kultur ist so peinlich klein, dass ich gar nichts
       anderes tun kann, als weiterzumachen. Gegen die Miley Cyrusses, die
       Madonnas, diese ganzen Idioten in ihren Gymnastikanzügen, die kommerzielle
       Musik machen, um große Firmen zufriedenzustellen.
       
       Ich bin überhaupt kein Madonna-Fan, aber könnte man bei ihr nicht sagen,
       sie hat sich zumindest als Musikerin, die auch über weibliche Sexualität
       singt, ihren Teil vom Kuchen gesichert? 
       
       Ja, sie ist eine der reichsten Frauen der Welt, aber was macht sie mit
       ihren Scheißgeld? Sagen Sie mir eine gute Sache, die sie damit anstellt!
       
       Kabbala-Center renovieren …? 
       
       Ach, das sind doch Idioten. Und bei Lady Gaga greift die
       Dribble-Down-Theorie, die besagt, dass Arme sich die Krumen aus den Bärten
       der Reichen holen: Sie sammelt anderer Menschen Ideen und verkauft sie
       zurück an die Öffentlichkeit. Sie hat nichts wirklich Eigenständiges.
       
       Wer hat denn etwas? 
       
       Diamanda Galas, Wanda Coleman, Gudrun Gut, Adele Bertei, es gibt Tausende,
       Autorinnen, Ärzte, Architektinnen.
       
       Woran liegt es, dass diese Künstlerinnen und Frauen nicht im landläufigen
       Sinne bekannter sind? 
       
       An der alten Angst vor starken Frauen. Und außerdem war es immer schon so,
       dass gute Künstler nicht anerkannt wurden, das hat sich nicht geändert. Nur
       dass die Menschen sich heute für den Ruhm komplett verkaufen. MTV brachte
       uns bei, dass jeder Rockstar werden kann. Ich bin damals nicht auf die
       Bühne gegangen, um Star zu werden, sondern um Antagonistin zu sein. Es war
       reiner Protest.
       
       Kommt Ihr Protest denn bei den „Hustler“-Lesern richtig an? 
       
       Ich protestiere, wo ich gehe und stehe, so bin ich. Selbst wenn ich allein
       auf einer Bergspitze stehen würde, hätte ich ein Megafon dabei.
       
       24 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jenni Zylka
       
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