# taz.de -- Landtagswahl in Hessen: Endlich mal was Neues wagen
       
       > Welche Bündnisse sind nach dieser Hessen-Wahl vorstellbar? Warum soll
       > Wandel nicht möglich sein? Hessische Verhältnisse fordern neue Lösungen.
       
 (IMG) Bild: Da geht noch was: Landtag in Hessen
       
       FRANKFURT/MAIN taz | Wer jetzt wieder bedauernd von „hessischen
       Verhältnissen“ spricht, hat diese Verhältnisse nicht verstanden – und
       spielt dem bürgerlichen Lager in die Hände. Der Begriff impliziert, die
       Lage wäre unklar, der Wille der Wählerinnen und Wähler so „ungünstig“
       verteilt, dass sich leider keine stabile Mehrheit finden ließe. Dabei ist
       schon das „stabil“ in „stabile Mehrheit“ ein tendenziöser Kampfbegriff.
       Eine Mehrheit ist eine Mehrheit und so lange stabil, wie sie eben eine
       Mehrheit ist.
       
       Das gilt auch für den Landtag in Wiesbaden, wo sich die CDU einen neuen
       Partner suchen muss. Wenn es um Stabilität im Sinne einer berechenbaren
       Politik geht, dann müssten alle Verhandlungen in den nächsten Wochen auf
       eine Große Koalition hinauslaufen.
       
       Alles bliebe beim Alten, also bei Volker Bouffier und seiner CDU, während
       im Schatten ein paar SPD-Minister die Arbeit erledigten. Für die hessische
       Sozialdemokratie wäre die Option einer Regierungsbeteiligung zwar
       verführerisch, aber vergiftet. Als politische Kleinaktionärin hätte die
       Partei mit ihrem nicht eben machtlosen linken Flügel auf lange Sicht
       praktisch nichts zu gewinnen, ideologisch aber alles zu verlieren. Torsten
       Schäfer-Gümbel, der die SPD eben erst wieder geeint hat, wird das wissen.
       Hier genügt ein Blick auf die FDP, die in der letzten Legislaturperiode
       drei Minister stellte und dafür nun förmlich niedergemetzelt wurde.
       
       Alles andere als stabil wäre auch die Möglichkeit, die der vermutlich
       scheidende FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn noch in der Wahlnacht ins Spiel brachte.
       Demnach bliebe die CDU geschäftsführend im Amt, ohnehin bis Januar 2014,
       bevor dann mangels Mehrheiten wieder einmal neu gewählt würde.
       
       ## Die SPD muss die CDU vor sich hintreiben
       
       Dieses Szenario gab es in Hessen schon einmal. 2008 war der damalige
       CDU-Ministerpräsident Roland Koch faktisch abgewählt worden, seine
       SPD-Herausforderin Andrea Ypsilanti aber mit der Bildung einer Regierung
       unter Duldung der Linken an Abweichlern aus den eigenen Reihen gescheitert.
       Koch blieb so lange ohne eigene Mehrheit „in der Verantwortung“, bis er bei
       einer Neuwahl dann doch wieder alles klarmachen konnte für seine Partei.
       
       Bei diesem machtpolitisch durchaus wahrscheinlichen Szenario müsste es
       Schäfer-Gümbel darum gehen, um jeden Preis seinen Reihen fest geschlossen
       zu halten, um als starker Oppositionsführer den Konkurrenten weiter vor
       sich herzutreiben.
       
       Es wäre riskantes Spiel auf Zeit mit der sicheren Aussicht auf Stillstand.
       Wobei die hohe Beteiligung zeigt, dass genau dies eben nicht im Interesse
       der Wählerinnen und Wähler liegen kann. Auch sollte man die Hessen nicht so
       oft wählen lassen, bis das Ergebnis den Herrschaften in Wiesbaden ins
       politische Kalkül passt.
       
       Rein rechnerisch wäre auch eine Ampel möglich. Glücklicherweise aber
       scheint der Graben zwischen den Grünen und den Liberalen unüberbrückbar zu
       sein – zumal sich die FDP per Parteitagsbeschluss an die CDU gekettet hat.
       
       ## Zwei Optionen
       
       So bleiben nur zwei realistische Optionen: Die erste wäre Rot-Grün unter
       Hinzunahme oder wenigstens Duldung durch die Linkspartei. Hierzu hatte
       Schäfer-Gümbel vor der Wahl verkündet, die Zusammenarbeit mit den Linken
       sei „formal“ möglich, „politisch“ aber ausgeschlossen.
       
       Nun ist „politisch“ das, was in den Gremien und Ausschüssen passiert, und
       nicht ausgeschlossen, dass auch die Linkspartei für ein solches Bündnis
       ihre Maximalforderungen ein wenig mäßigen könnte, etwa im Hinblick auf den
       Frankfurter Flughafen. Hier wäre Schäfer-Gümbel allerdings in exakt der
       verzwickten Lage, die Andrea Ypsilanti 2008 Ruf und Amt gekostet hatte.
       Mehr als fraglich, ob seine eigene Koalition – von der Bundespartei ganz zu
       schweigen – diesen Linksschwenk mittragen würde.
       
       Die zweite Möglichkeit: eine Koalition aus CDU und Grünen. Es spricht
       einiges dafür, dass Volker Bouffier und Tarek Al-Wazir ihre Animositäten
       beilegen könnten. Al-Wazir hat inzwischen 14 Jahre seines politischen
       Lebens in der Opposition verbracht und wäre gewiss kein schlechter
       Minister. Auch gibt es inhaltliche Übereinstimmungen, etwa in der
       Bildungspolitik. Überdies erscheint es nach dem Debakel im Bund für die
       Grünen taktisch sinnvoll, wieder mehr in die Mitte zu rücken – also
       dorthin, wo sie vor dem Linksruck im Wahlkampf ihre besten Ergebnisse
       eingefahren haben.
       
       ## Andere Konsequenzen ziehen
       
       Auf der anderen Seite könnte sich der ehemalige „Schwarze Sheriff“ Volker
       Bouffier nicht nur als präsidialer Landesvater verkaufen, sondern sich auch
       einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern – als der Politiker, der den
       Grünen dabei half, ihre gesellschaftliche Mission zu vollenden. Ein
       gefahrloses Experiment, zumal er seine Partei im Griff hat und aus einer
       gönnerhaften Umarmung des kleineren Koalitionspartners notfalls auch
       schnell ein Schwitzkasten werden könnte.
       
       Der Witz an den „hessischen Verhältnissen“ ist nicht, dass die Bevölkerung
       offenbar genau diese Verhältnisse wünscht. Der Witz ist, dass daraus andere
       Konsequenzen zu ziehen wären als der übliche Ruf nach Neuwahlen oder einer
       Großen Koalition.
       
       Das Ergebnis sollte deshalb als Aufforderung gelesen werden, endlich etwas
       Neues zu wagen. Es gibt Mehrheiten jenseits der eingespielten
       Tanzpartnerschaften. Jetzt käme es darauf an, diese Mehrheiten endlich
       einmal einer Belastbarkeitsprüfung zu unterziehen. Jetzt. Wann sonst?
       
       24 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Arno Frank
       
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