# taz.de -- Essay Liberalismus in Deutschland: Die wandelbare Idee der Freiheit
       
       > Die FDP war schon vieles: Umfallerpartei, Königsmacherin,
       > Bürgerrechtspartei. Jetzt muss sie sich neu erfinden und hat Luft für die
       > Frage: Was ist Freiheit?
       
 (IMG) Bild: Die Parteivorsitzenden Willy Brandt (SPD), Helmut Kohl (CDU), Hans-Dietrich Genscher (FDP) – und per Zuschaltung Franz Josef Strauß (CSU) – diskutieren 1976 die Wahl
       
       Wer hätte gedacht, dass prominente Grüne eine so hohe Meinung von der FDP
       haben? „Der Platz der FDP als Freiheits- und Bürgerrechtspartei im
       Bundestag ist frei“, erklärte die ehemalige grüne Spitzenkandidatin Katrin
       Göring-Eckardt. Und der Rechtspolitiker Volker Beck, langjähriger
       Parlamentarischer Geschäftsführer, begründete seine Rückkehr in die
       Fachpolitik unter anderem damit, dass nach dem Verschwinden der FDP aus dem
       Bundestag das Feld der Bürgerrechte nun allein den Grünen überlassen sei.
       
       Oha. Die FDP ist also nicht etwa die Partei der Hotelbesitzer, sondern
       Gralshüter der individuellen Freiheit. Es hätte die glücklosen Rivalen
       sicher gefreut, wenn die Grünen diese verblüffende Einschätzung bereits
       während des Wahlkampfs verlautbart hätten – vielleicht hätte es ja dann
       sogar zum Sprung über die Fünfprozenthürde gereicht.
       
       Allerdings ist davon auszugehen, dass Göring-Eckardt und Beck behaupten
       würden, ihre Äußerungen völlig anders gemeint zu haben. Nämlich lediglich
       als Hinweis darauf, wie wichtig eine liberale Bürgerrechtspartei in
       Deutschland sei. Interessant nur, dass ihnen in diesem Zusammenhang die FDP
       eingefallen ist. Zu Recht? Das ist eine Frage des Blickwinkels.
       
       Parteien werden zur Identifizierung stets auf Stichworte reduziert und
       behalten diese Zuschreibung oft noch lange nach einem Kurswechsel – auch
       deshalb, weil Journalisten stets für Synonyme dankbar sind.
       
       ## In der Tradition des Vormärz
       
       So wurden die Grünen selbst nach dem Kosovokrieg gelegentlich noch als
       „pazifistisch“ bezeichnet, und die FDP wurde seit ihrer Gründung „liberal“
       genannt, ohne dass damit zwangsläufig eine inhaltliche Wertung verbunden
       war. Die Parteigranden hatten dagegen allerdings zu keiner Zeit etwas
       einzuwenden. Während sich nämlich manche CDU-Politiker inzwischen mit
       Händen und Füßen gegen ihr Stichwort – „konservativ“ – wehren, war die FDP
       zu allen Zeiten mit der Zuschreibung „liberal“ zufrieden. Verstand sie sich
       doch stets als Partei, die in der Tradition des Vormärz stand, also gegen
       autoritäre Übergriffe des Staates und für die Freiheitsrechte der Einzelnen
       kämpfte.
       
       Zu manchen Zeiten dürften die Gründerväter des Liberalismus angesichts
       dieser Selbstbeschreibung im Grabe rotiert haben. In den 50er Jahren war
       die FDP ein Sammelbecken alter Nazis und Nationalisten.
       
       In den 60er Jahren wurden die sogenannten Liberalen erstmals zur
       Funktionspartei – also zu einer Gruppe, die nicht wegen eigener Inhalte,
       sondern lediglich als Mehrheitsbeschafferin für eine der Großen gebraucht
       wurde: 1961 bildete sie eine Koalition mit der CDU, obwohl sie sich vor den
       Wahlen darauf festgelegt hatte, keinesfalls mit einem Bundeskanzler Konrad
       Adenauer an einem Kabinettstisch sitzen zu wollen. Das böse Wort von der
       „Umfallerpartei“ im Hinblick auf die FDP, seither immer wieder gern und zu
       Recht recycelt, wurde damals erstmals benutzt.
       
       Die „Freiburger Thesen“ in den 70er Jahren standen für den Versuch,
       individuelle Freiheitsrechte mit dem Thema sozialer Gerechtigkeit zu
       verknüpfen. Kritiker des wirtschaftsliberalen Kurses seit der
       Jahrtausendwende, der vor allem mit dem Namen Guido Westerwelle verknüpft
       wird, beziehen sich oft auf diesen Teil der Parteigeschichte, wenn sie
       begründen wollen, dass die FDP ihre Tradition und ihre Inhalte verraten
       habe. Aber das ist nicht gerecht.
       
       ## Nie eine homogene Bewegung
       
       Der Liberalismus war nie eine homogene Bewegung – und auch die FDP war nie
       ohne Richtungs-und Grabenkämpfe denkbar. In den Gründerjahren der
       Bundesrepublik war sie die einzige Partei, die schon damals für die
       Marktwirtschaft eintrat, alle anderen, übrigens auch die CDU, vertraten
       damals noch ein Modell der staatsgelenkten Wirtschaft.
       
       Insofern kann sich auch der Marktradikalismus durchaus zu Recht auf einen
       Traditionsstrang der „Liberalen“ berufen. Vielleicht ist das unvermeidlich
       bei einer Partei, die das Recht des Individuums auf freie Selbstentfaltung
       als das höchste aller Güter betrachtet. Individuen neigen eher zu Streit
       als festgefügte Gruppierungen.
       
       Aber was genau ist „Selbstentfaltung“? Das hängt – vermutlich stärker als
       jeder andere politische Begriff – vom Zeitgeist und vom Entwicklungsstand
       einer Gesellschaft ab. Den Vormärzkämpfern war die Gleichberechtigung der
       Frau kein Anliegen, die Grünen hatten in ihren Gründerjahren mit
       Datenschutz sehr viel weniger am Hut als heute, schließlich gab es
       seinerzeit noch nicht einmal das Internet.
       
       Die Frage, welche Rechte ein Individuum hat und wo diese Rechte ihre
       Grenzen finden, ist heute vermutlich noch komplizierter als zu Zeiten von
       John Locke, einem Begründer des Liberalismus. Er hatte Leben, Freiheit und
       Eigentum als unveräußerliche Rechte definiert. Sehr schön. Aber wie
       brauchbar ist diese Definition heute? Was ist Freiheit?
       
       ## Eine Feststellung, kein sarkastischer Seitenhieb
       
       Die FDP hat nun etwas Luft gewonnen, um diese Frage zu erörtern. Das ist
       eine Feststellung, kein sarkastischer Seitenhieb. Da „die Liberalen“ nach
       wie vor in zahlreichen Landesparlamenten vertreten sind, werden sie sich
       öffentlich Gehör verschaffen können. Ob das, was die FDP programmatisch
       entwickelt, in vier Jahren mehr als 5 Prozent der Bevölkerung attraktiv
       finden: Das ist offen.
       
       Manche Leitartikel lesen sich in diesen Tagen so, als sei mit dem Abschied
       der FDP aus dem Bundestag der Tod eines nahen Verwandten zu beklagen. Den
       man zwar nicht leiden konnte, über den man jetzt aber auch nichts allzu
       Böses sagen möchte. Das trifft die Situation nicht.
       
       Auch andere kleine Parteien wie Grüne und PDS sind schon einmal an der
       Fünfprozenthürde gescheitert – und dennoch ins Parlament zurückgekehrt. Es
       gibt keinen Verfassungsgrundsatz, der da lautet: „Die Parteien wirken bei
       der politischen Willensbildung des Volkes mit. Die FDP muss immer im
       Bundestag sitzen. Sonst ist sie für immer weg.“
       
       Nein, die FDP kann abgewählt werden, und sie kann auch erneut in den
       Bundestag gewählt werden. Ob ihr das gelingt, liegt bei ihr. Dass es einen
       Bedarf an einer liberalen Partei in Deutschland gibt: Davon zeugen die
       Äußerungen der grünen Führungsspitze. Ob es den Grünen gelingt, die FDP
       überflüssig zu machen, liegt hingegen bei ihnen. Dieser Wettkampf wird noch
       interessant – und liegt im Interesse freiheitsliebender Bürgerinnen und
       Bürger.
       
       25 Sep 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bettina Gaus
       
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