# taz.de -- Debatte Flüchtlingspolitik: Studienplätze statt Bootsplätze
       
       > Schluss mit dem Elend: Die Tore sollten für Afrikas Elite von morgen
       > offen sein. Wer in Europa studieren darf, kann danach seine Heimat
       > verändern.
       
 (IMG) Bild: Sollten, statt am Rand des Wohlstands zu verharren, lieber in die Hörsäle: Bootsflüchtlinge vor der sizilianischen Küste.
       
       Europas Einwanderungspolitik lockt hoffnungsvolle junge Afrikaner in den
       Tod. Rund 17.000 sind im Mittelmeer ertrunken. Aber wenn eine Politik
       beschlossen werden soll, die zugleich realistisch und menschlich ist, muss
       sich die Einwanderungsdebatte von polarisierten Emotionen hin zu
       vernünftiger Analyse bewegen. Deshalb habe ich mein Buch „Exodus“
       geschrieben.
       
       Die meisten jungen Afrikaner, die jüngst vor der Küste von Lampedusa
       ertrunken sind, waren Eritreer. Sie hatten die gefährliche und kostspielige
       Reise an die Küste Nordafrikas auf sich genommen, dann Plätze auf von der
       organisierten Kriminalität betriebenen Booten gekauft, im Wissen, dass vor
       ihnen Tausende von Menschen auf diese Weise gestorben sind.
       
       Das sagt uns zunächst eines: Eritrea ist gegenwärtig ein schrecklicher Ort.
       Es ist eine Diktatur, die die Menschen erstickt und die Jugendlichen in die
       Armee einzieht, um Protest zu unterdrücken. Es sagt uns aber auch noch
       etwas: Die Menschen, die Eritrea verlassen, gehören vermutlich nicht zu den
       Ärmsten. Die große Mehrheit der Armen kann sich Auswanderung einfach nicht
       leisten.
       
       Eritreas Regierung hat ebenso wie die Regierungen vieler andere Länder
       darin versagt, ihrer Jugend Hoffnung zu bieten. Es gibt weder Arbeit noch
       Gerechtigkeit. Veränderung wird durch innere Auseinandersetzungen zwischen
       der verzweifelten Jugend und den eingebunkerten Interessen und Ideologien
       eintreten. Als Außenstehende können wir in diese Auseinandersetzungen nicht
       direkt eingreifen: Diktatoren sind darin versiert, ihr Eigeninteresse als
       Verteidigung der Nation gegen äußeren Druck zu darzustellen.
       
       Glücklicherweise gibt es viele Regierungen, wenngleich nicht die in
       Eritrea, die jetzt ernsthaft versuchen, etwas zu verändern. In diesen
       Ländern kann unsere Hilfe das Aufkommen von Chancen beschleunigen und
       dadurch den Migrationsdruck senken.
       
       ## Die richtige Art von Migration
       
       Massenauswanderung kann nicht die Lösung für die Hoffnungen der jungen
       Afrikaner sein. Ganz abgesehen von der Frage, ob Europa Millionen junge
       Afrikaner als Zuwanderer in unseren Gesellschaften akzeptieren würde,
       können sich die Probleme der zurückgelassenen armen Mehrheit vertiefen,
       wenn die unternehmungslustigen Jungen gehen.
       
       Gemessen an seiner Bevölkerungsgröße hat Eritrea bereits mehr Auswanderer
       als fast jede andere Gesellschaft in Afrika. Unter der ruinösen Politik
       Präsident Mugabes in Simbabwe verließen über eine Million junge Simbabwer
       ihr Land. Die Ausreise der Tatkräftigen und Unzufriedenen hat es Präsident
       Mugabe soeben ermöglicht, eine Wahl zu gewinnen; und sie hilft vermutlich
       Eritreas Präsident Afeworki, die Kontrolle zu wahren.
       
       Aber die richtige Art von Migration kann dazu beitragen, Veränderung in
       afrikanischen Gesellschaften zu beschleunigen. Junge Afrikaner, die zum
       Studieren nach Europa kommen und dann in ihre Heimatländer zurückgehen,
       nehmen sowohl die erlernten Fertigkeiten mit in die Heimat zurück als auch
       die Einstellungen, die sie absorbieren, wenn sie unter uns leben. Es gibt
       solide Belege dafür, dass zurückkehrende Migranten Veränderungsprozesse
       vorantreiben. Das sagt uns, welche Art von Migration wir fördern und welche
       Art wir vermeiden sollten.
       
       Gegenwärtig setzen Europas Einwanderungskontrollen der Anzahl der
       Studenten, die aus Afrika zum Studium herkommen können, enge Grenzen. Das
       ist in zweifacher Hinsicht schädlich. Es verzögert nicht nur Veränderung in
       Afrika, es ist auch kostspielig für uns. Europa kann Bildung; das kann eine
       unserer Exportbranchen des 21. Jahrhunderts sein. Und in dem Maße, wie
       Afrika sich entwickelt – es wächst jetzt viel schneller als Europa –,
       können die Bande, die in Europa geknüpft werden, europäischen Unternehmen
       in späteren Jahrzehnten Vorteile bringen, wenn diese Studenten die Eliten
       ihrer Gesellschaften geworden sind.
       
       ## Leichtfertiges Menschenrechtsgerede
       
       Also müssen wir unsere Tore für diejenigen Afrikaner, die zum Studium nach
       Europa kommen und dann zurückkehren wollen, viel weiter öffnen. Umwidmung
       von Hilfe in Stipendien könnte eine Reform der Einwanderungspolitik
       begleiten.
       
       Aber die illegale Migration auf Booten nach Lampedusa ist das Gegenteil von
       Studenteneinreise. Das Letzte, was illegale Einwanderer sich vorstellen,
       ist die Rückkehr in die Heimat. Da sie sich illegal aufhalten, ist
       Integration für sie schwer, und so verharren sie an den Rändern des
       europäischen Wohlstands. Während wir durch großzügige
       Studienmigrationsprogramme die Tore der Hoffnung für junge Afrikaner
       öffnen, müssen wir zugleich diese gefährlichen Bootsreisen abstellen.
       
       Es gibt dafür ein einfaches Mittel. Die Menschen bezahlen kriminelle Gangs
       für Plätze auf Booten unter Einsatz ihres Lebens. Denn wenn sie einmal
       einen Fuß auf den Strand von Lampedusa setzen können, überschüttet die
       europäische Gesetzgebung sie plötzlich mit Rechten. Die italienischen
       Behörden halten die langwierigen Rechtsverfahren, die zu ihrer Rückführung
       in ihre Heimatländer nötig sind, für zu teuer, und da Italiens Nordgrenzen
       offen sind, schicken sie die illegalen Migranten lieber auf den Weg nach
       Deutschland.
       
       Leichtfertiges Menschenrechtsgerede hat diese Situation hervorgerufen und
       hat unabsichtlich das fürchterliche unmenschliche Elend generiert, das
       hoffnungsvolle junge Afrikaner in den Tod lockt.
       
       Wir müssen die Gesetze ändern, damit ein junger Afrikaner nicht länger
       dadurch, dass er an einem Strand landet, von jemandem, dem Europa Hilfe
       verweigert, in jemanden verwandelt wird, den Europa widerwillig an den
       Rändern seiner Wirtschaft und Gesellschaft duldet. Hoffnung sollte dadurch
       entstehen, dass man in der Heimat bleibt und Studienplätze in Europa
       beantragt.
       
       Wir können und sollten nicht unsere Tore für alle öffnen, die kommen
       wollen. Wir müssen weiter denken als das kurzfristige Interesse des
       Ausreisers, und zwar müssen wir die Folgen für diejenigen mitbedenken, die
       in ihrer Talente und Energie beraubten Gesellschaften zurückbleiben. Wir
       müssen unsere Migrationsstrategie mit einer größeren Strategie verbinden,
       wie wir lange in Hoffnungslosigkeit gefangenen Gesellschaften Hoffnung
       bringen können.
       
       19 Oct 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Paul Collier
       
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