# taz.de -- Klimaforschungsstadt Potsdam: Dem Aufbruch abschwören
       
       > Potsdam ist Zentrum der Klimaforschung. Trotzdem schert sich die Stadt
       > bei der Rekonstrukltion des Stadtschlosses keinen Deut um nachhaltiges
       > Bauen.
       
 (IMG) Bild: Nahezu komplett zeigt sich das wiederaufgebaute Stadtschloss in Potsdam Ende August im Licht der Morgensonne.
       
       POTSDAM taz | Das Kupferdach des neuen Potsdamer Landtags glänzt im
       Herbstregen, die rosa Fassade ist von Sandsteinornamenten unterbrochen. Die
       kurzsichtige Passantin könnte meinen, das von Georg Wenzeslaus von
       Knobelsdorff entworfene Barockschloss am Alten Markt stehe da seit 1756,
       und doch ist es ganz neu. Im Krieg beschädigt, danach gesprengt, wurde es
       in den vergangenen drei Jahren wieder aufgebaut. Anfang nächsten Jahres
       soll der brandenburgische Landtag einziehen.
       
       Jetzt hat Potsdam also noch ein Schloss mehr. Jahrelang ist über dessen
       Wiederaufbau gestritten worden, der verwaiste Schlossplatz geriet zum
       Kristallisationspunkt städtischer Selbstfindung. Die Debatten fanden ihre
       Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit der Stadt als Preußenresidenz und
       Garnisonstadt ebenso wie als Verwaltungssitz des Bezirks Potsdam in der DDR
       mit seinem architektonischen Erbe. Ein Thema tauchte in der öffentlichen
       Rede über den neuen Landtagssitz erstaunlicherweise jedoch nie auf.
       
       Ist das neue Gebäude im Zentrum der Stadt ein Energieplushaus, klimaneutral
       oder aus nachwachsenden Rohstoffen? Am anderen Ende der Telefonleitung, in
       der Potsdamer Stadtverwaltung, herrscht erst Schweigen. Dann Gelächter.
       Absurde Frage. Der Bauherr, das brandenburgische Finanzministerium,
       verweist in einer Stellungnahme zum Energiekonzept des Gebäudes darauf hin,
       dass man sich bei der Ausschreibung an die gesetzlichen Vorgaben gehalten
       habe .
       
       So wird das Barockschloss zum Symbol einer Gesellschaft, die den Aufbruch
       in eine neue Klimakultur nicht wagt – und zum Menetekel der nächsten
       Klimakonferenz in Warschau, die nächsten Montag beginnt. Elf Tage lang
       werden über 190 Staaten in der polnischen Hauptstadt auf der 19.
       Klimakonferenz der Vereinten Nationen versuchen, einen neuen Klimavertrag
       als Anschluss an das Kioto-Protokoll auf den Weg zu bringen.
       
       ## Wer blinzelt zuerst?
       
       Etablierte Industrienationen und aufstrebende Schwellenländer stehen sich
       dabei bislang bewegungslos gegenüber. Während die Weltmeere sich erwärmen,
       die Gletscher schmelzen und je nach Region Dürren oder Unwetter zunehmen,
       warten beide Blöcke, wer als Erster blinzelt. Laut UNO stößt die Menschheit
       derzeit 50 Milliarden Tonnen Treibhausgase aus, Tendenz steigend.
       
       Die größten Zuwächse verzeichnen dabei sich entwickelnde Ökonomien wie
       China. Aber sowohl die Verantwortung als auch die Möglichkeiten,
       Alternativen zu ressourcenintensivem Wachstum zu entwickeln, liegen in den
       reichen Industrienationen. Hier gibt es nur wenige Städte, die noch
       wachsen. Das kleine Potsdam mit seinen nunmehr 160.000 Einwohnern gehört
       dazu.
       
       Ganze Stadtviertel werden neu gebaut. Genau wie die Landesregierung beim
       wiederaufgebauten Stadtschloss ist die Potsdamer Stadtverwaltung dabei mit
       der Einhaltung von Bundesgesetzen zufrieden und verweist auf das
       umweltfreundliche Gas- und Dampfturbinen-Heizkraftwerk von 1996. Autofreie
       Stadtviertel? Eine ambitionierte Förderung erneuerbarer Energien für
       Neubauten?
       
       Fehlanzeige. Und mit dem Ziel, gegenüber dem Vergleichsjahr 2005 im Jahr
       2020 zwanzig Prozent weniger CO2 auszustoßen, fällt die Stadt sogar hinter
       die Kompromisswerte der EU-Kommission zurück (die als Referenzjahr 1990
       festlegt). Die örtlichen Grünen präsentieren sich als politischer Arm der
       Denkmalschutzbehörde und diskutieren hingebungsvoll den Erhalt historischer
       Pflastersteine.
       
       ## Zentrum der weltweiten Klimaforschung
       
       Und das in einer Stadt, die sich im vergangenen Jahrzehnt zu einem Zentrum
       der weltweiten Klimaforschung entwickelt hat. Auf dem Telegraphenberg im
       Südwesten residieren das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, das
       durch zahlreiche Mitarbeiter im Expertenrat des IPCC vertreten ist; das
       Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) und das
       Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ).
       
       Kaum zwei Kilometer Luftlinie entfernt sitzt das Institute for Advanced
       Sustainability Studies (IASS) mit seinem prominenten Chef und Gründer Klaus
       Töpfer. Sie alle arbeiten zum Thema Klimawandel – und bleiben in der
       öffentlichen Auseinandersetzung über die Entwicklung Potsdams stumm.
       
       „Wenn es eine Debatte über die zukunftsfähige Stadt geben würde, würden wir
       uns schon einbringen“, sagt ein Sprecher des GFZ, „aber die gibt es in
       Potsdam ja nicht.“ Das AWI, mit einem Wissenschaftler vom Standort
       Bremerhaven ebenfalls am aktuellen IPCC-Bericht beteiligt, teilt mit, man
       nehme gerne „zur Polar- und Meeresforschung Stellung“, beteilige sich aber
       nicht an „baupolitischen Debatten in Potsdam“.
       
       Wie notwendig wäre aber genau das. Wir werden ressourcenextensiver bauen,
       wohnen und uns bewegen müssen, wenn wir den Klimawandel wirklich steuerbar
       halten wollen. Über das Wissen darüber verfügen wir längst. Der
       Klimawissenschaftler Mojib Latif sieht „kein Erkenntnis-, sondern ein
       Umsetzungsproblem“. Zu besichtigen ist das in Potsdam, das mit seinem
       nagelneuen Landtag jedem Aufbruch abschwört und sich stattdessen ein
       Postkartenmotiv gebaut hat, inmitten der Stadt. Was für ein Signal.
       
       11 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Heike Holdinghausen
       
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