# taz.de -- Kommunale Finanzen in Thüringen: Eine Stadt in der Falle
       
       > Einen Tag lang blieben die Museen und Bibliotheken in Gera geschlossen.
       > Aber auch das Ordnungsamt. Ein Haushaltspoker – fast wie in den USA.
       
 (IMG) Bild: Bleibt erstmal geschlossen: die Geraer Kunstsammlung samt Otto-Dix-Haus.
       
       GERA taz | Hier gab es wirklich einmal blühende Landschaften. Mitte des 19.
       Jahrhunderts zählte Gera dank seiner florierenden Tuch- und Textilindustrie
       zu den reichsten deutschen Städten, später wurde aus der einstigen
       Hauptstadt des Fürstentums Reuß eine DDR-Bezirkshauptstadt, wo Werkzeug-
       und Textilmaschinenbau ansässig waren und die Einwohnerzahl auf stolze
       135.000 stieg. Im Vorland der Stadt schürfte die Staatsfirma Wismut nach
       Uranerz.
       
       Auf den Halden, die sie hinterließ, aber blühte im Jahre 2007 tatsächlich
       die Bundesgartenschau. Als „Neue Landschaft Ronneburg“ sind die touristisch
       kaum nachgenutzten Reste dieser kurzen Blütezeit noch zu sehen. In der
       Stadt erinnert der ausgedehnte Hofwiesenpark an diesen vorübergehenden
       Aufschwung Ost.
       
       Aus eigener Kraft hätte sich die Stadt dieses Schmuckstück nie leisten
       können. Im BuGa-Jahr 2007 wies der CDU-Fraktionsvorsitzende Hans-Jörg
       Dannenberg bereits auf ein finanzielles Risiko in Höhe von 69 Millionen
       Euro für Gera hin. „Finanziell k. o.“ titelte die Ostthüringer Zeitung. Der
       damalige Oberbürgermeister Norbert Vornehm (SPD) musste auf Geheiß der
       Kommunalaufsicht eine Haushaltsperre verhängen. Heute trifft man im Rathaus
       einen resignierten Dannenberg. Gera habe ihn krank gemacht, meint der
       Sachse, den die Liebe nach Ostthüringen verschlug. Nicht die anheimelnde
       Lage dieser grünen Stadt zwischen Hügeln, ihre locker bebaute, noch von
       historischen Türmen dominierte Innenstadt, ihr reiches Kulturangebot. Es
       ist der schleichende Niedergang Geras, der vielen Bürgern aufs Gemüt und
       manchmal auf die Gesundheit schlägt.
       
       ## Probe für den Worst Case
       
       Am Mittwoch der vergangenen Woche war Gera plötzlich bundesweit eine
       Nachricht wert. Die parteilose Oberbürgermeisterin Viola Hahn hatte über
       Nacht einen unbefristeten Ausgabenstopp für alle freiwilligen Leistungen
       verhängt. Ein Warnschuss. Wie üblich traf es mit den Museen und der
       Regionalbibliothek die Kultur zuerst, aber auch das Ordnungsamt blieb
       geschlossen. Für einen Tag Verhältnisse wie beim US-amerikanischen
       Haushaltspoker. Nur für einen Tag. Noch zwei Tage später ist vor der
       Bibliothek die Verärgerung spürbar. „Das ist eine Bildungseinrichtung, die
       muss immer geöffnet sein“, sagt eine Schülerin empört. Eine Zwölfjährige
       berichtet von der geplatzten Klassenexkursion ins geschlossene
       Naturkundemuseum.
       
       „Viele Bürger unterstützen den Sparkurs“, behauptet Oberbürgermeisterin
       Hahn in ihrem Büro im Rathaus. Doch fragt man Bürger auf der Straße oder in
       öffentlichen Einrichtungen, ist wenig Zustimmung zu spüren. Ja, es müsse
       irgendwie gespart werden, das wissen die meisten, aber bitte nicht auf
       ihrem Rücken. Seit zwei Jahren gibt es in Gera wieder Montagsdemos wie im
       Revolutionsherbst 1989. „Das war ein Warnschuss der Stadtverwaltung an
       uns“, sagen sie. Spüren lassen, was passiert, wenn Nachtragshaushalt und
       Konsolidierungskonzept im Stadtrat nicht durchkommen. Und eine
       Demonstration gegenüber dem Thüringer Finanzministerium.
       
       Ob sie sich eingeklemmt fühle zwischen Stadtrat und Kommunalaufsicht? Die
       Oberbürgermeisterin, äußerlich eine respektheischende Erscheinung, nickt
       nur schweigend.
       
       ## Stadtrat bleibt hart
       
       Am vergangenen Dienstag hatte der Stadtrat mit 25 zu 19 Stimmen dem
       Nachtragshaushalt und dem damit verbundenen Konsolidierungskonzept seine
       Zustimmung verweigert. Dessen Liste der Grausamkeiten liest sich für die
       Mehrheit allzu erschreckend. Anhebung der Grund- und Gewerbesteuer, höhere
       Eintrittspreise für Museen, Zoo und Hofwiesenbad, Kürzungen bei den
       Kita-Zuschüssen, beim Winterdienst, bei der Straßenbeleuchtung – das
       übliche Programm in Fällen drohender kommunaler Insolvenz. Empfohlen vom
       bestellten externen Wirtschaftsprüfer Stefan Freyer.
       
       In den kommenden zehn Jahren sollen insgesamt 112 Millionen Euro gespart
       werden. Einen Nachtragshaushalt genehmigt das Landesverwaltungsamt nur im
       Paket mit diesem Sparkonzept. Erst dann darf die Stadt zumindest noch einen
       Kredit von viereinhalb Millionen Euro aufnehmen, um wenigstens drei Schulen
       fertigzusanieren. So, wie man die vergangenen Jahre schon von
       Kassenkrediten, also praktisch vom Dispo lebte. An diesem Donnerstag soll
       der Stadtrat erneut abstimmen.
       
       „Aus welchem Grund sollten wir uns diesmal anders entscheiden?“, fragt
       Margit Jung, Vorsitzende der mit 14 Stadträten stärksten Linksfraktion.
       
       Was geschieht, wenn die Mehrheit erneut ablehnt? „Dann habe ich ein
       Riesenproblem“, lässt sich Oberbürgermeisterin Hahn in ihren Stuhl
       zurückfallen.
       
       ## Deindustrialisierte Zone
       
       Dieses Riesenproblem aber hat eine Geschichte. Seine Verursacher saßen
       sowohl im Geraer Rathaus als auch in Erfurt. In der Schilderung, wie sich
       eine eigentlich positive Entwicklung ins Gegenteil verkehrte, wie nämlich
       Gera nach der Währungsunion 1990 unter das Rad der Geschichte kam, sind
       sich Linke und CDU auffallend einig. Radikal hatte die von der Treuhand
       forcierte Deindustrialisierung die Region erwischt.
       
       „Von heute 6.000 Unternehmen in Gera haben 95 Prozent weniger als fünf
       Mitarbeiter“, beschreibt Linken-Fraktionsgeschäftsführer Wolfgang Neudert
       die heutige Wirtschaftsstruktur. Bei einem städtischen Haushalt von etwa
       220 Millionen Euro betragen die Gewerbesteuereinnahmen weniger als 20
       Millionen. Tendenz rückläufig. So, wie das Sinken der Einwohnerzahl auf
       ungefähr 98.000 die Schlüsselzuweisungen im kommunalen Finanzausgleich
       verringert. Von Landesentwicklung kann in Ostthüringen keine Rede sein.
       „Für Gera fällt nichts ab“, konstatiert Hans-Jörg Dannenberg von der CDU.
       Man hatte hier halt keinen Lothar Späth, Exministerpräsident von
       Baden-Württemberg, der 1991 im 30 Kilometer entfernten Jena riesige
       Investitionen in die „Jenoptik“ anschob.
       
       Zumindest auf der Ausgabenseite imitierte Exoberbürgermeister Vornehm die
       Großspurigkeit. S-Klasse bei den Verkehrsbetrieben, ein neues Museum
       mussten sein. Die Linke lobt heute noch seine „Visionen“. Dass zuvor mit
       dem Klinikum oder kommunalen Wohnungen das Tafelsilber der Stadt
       verscherbelt wurde, ist fast vergessen.
       
       ## Anhaltende Stadtflucht
       
       Unbeirrt führt ein Wegweisersystem zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Bei
       den Kunstsammlungen in der Orangerie wartet das Personal am Freitag
       vergeblich auf Besucher. Es habe sich wohl noch nicht herumgesprochen, dass
       wieder geöffnet sei, vermutet die Dame an der Kasse. „Ein fatales Signal“
       sei die kurzzeitige Schließung gewesen, sagt Leiter Holger Saupe. Mit
       Themenausstellungen wie „Muse und Modell“ versucht er auch überregional
       mitzuhalten. Wenn es ganz schlimm komme mit Schließungen, müsse man
       wenigstens die schönen Bestände irgendwie präsentieren, denkt er schon an
       übermorgen. An Zukunft denken auch die Halbwüchsigen draußen, die im
       Schatten des Museums nur mal heimlich eine rauchen wollen. Für sie steht
       fest, dass sie Gera „wegen der Ausbildungsplätze“ verlassen werden. Eine
       richtige Großstadt sollte es dann schon sein.
       
       Auch am etwas abgelegenen Geburtshaus des Malers Otto Dix wartet das
       Personal draußen auf Besucher. Dix zieht am ehesten noch auswärtige
       Besucher, zumal hier die verschiedensten von ihm durchlaufenen Stilepochen
       in einzigartiger Weise dokumentiert sind. Aber auch hier schimpft ein
       Wärter, mit der Industrie sei alles weggebrochen.
       
       ## Kongresszentrum vor der Schließung
       
       Etwas besser ist die Stimmung im prächtigen Jugendstil-Theater. Die
       gemeinsam von Gera und Altenburg, dem Landkreis und dem Freistaat Thüringen
       getragene Theater und Philharmonie Thüringen GmbH kann bis 2016 auf
       gesicherte Zuschüsse von 18 Millionen Euro jährlich vertrauen. Dank
       Haustarif ist der einzige Fünf-Sparten-Betrieb in Thüringen möglich, und im
       Ballettsaal probt das Thüringer Staatsballett. Das Viertel der Kosten, das
       Gera trägt, schluckt allerdings praktisch den gesamten freiwilligen
       Ausgabenspielraum der Stadt.
       
       Das Kultur- und Kongresszentrum hingegen, eine Inkunabel der Ostmoderne,
       steht bei einem Sanierungsbedarf von 20 Millionen Euro ebenso vor der
       Schließung wie andere Säle. Noch kommen Matthias Reim, Wladimir Kaminer
       oder „Lord of the Dance“, wie die Plakate verkünden, und unter den Reliefs
       von Nackten und Helden des sozialistischen Aufbaus bauen Modelleisenbahner
       ihre Anlagen auf. Wie lange noch? In der Innenstadt gibt es bereits einige
       mit Spanplatten vernagelte Geschäfte.
       
       Hilf dir selbst, dann hilft dir vielleicht das Land, so in etwa sieht es
       Thüringens Finanzminister Wolfgang Voß. „An einer Konsolidierung des
       Stadthaushalts führt kein Weg vorbei. Die Stadt spielt hier mit dem Feuer“,
       antwortet er auf taz-Anfrage.
       
       Wie aber soll Gera, das im nächsten Jahrzehnt praktisch keine Investitionen
       mehr tätigen dürfte, diesem Teufelskreis entkommen? Diese Frage könne auch
       ein Zwangsverwalter nicht beantworten, sagt Margit Jung von der Linken
       achselzuckend.
       
       Der DGB hat in letzter Minute für diese Woche zu einem runden Tisch
       eingeladen. Oberbürgermeisterin Hahn klammert sich an Gelder der
       Wirtschaftsförderung und setzt auf neu ausgewiesene Gewerbeflächen. Die
       Hoffnung stirbt zuletzt. „Kommen Sie bald wieder“, fleht sie fast zum
       Abschied.
       
       12 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
       
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