# taz.de -- Kunstraub und Kunsthandel: Wandlungen eines Kunstsinnigen
       
       > Hildebrand Gurlitt kämpfte in der sächsischen Provinz für die Moderne.
       > Später verscherbelte er sie für die Nationalsozialisten.
       
 (IMG) Bild: Entnazifiert und wieder in Amt und Würden: Hildebrand Gurlitt (2.v.l.) bei einer Veranstaltung des Düsseldorfer Kunstvereins 1949
       
       ZWICKAU/ DRESDEN taz | Die Kaitzer Straße in Dresden zieht sich
       schnurgerade durch die Südvorstadt, die Fassaden der Altneubauten leuchten
       gelb, die Dächer rot, der Rasen ist saftig. Bis 1945 säumten Villen die
       Straße. Standesgemäße Lage für Beamte, Unternehmer, Professoren. Auf dem
       Grundstück Nummer 26 stand die Villa der Familie Gurlitt. Hier ist der
       spätere Kunsthändler Hildebrand Gurlitt aufgewachsen.
       
       Die Villa sei im Februar 1945 wie fast alle Villen in der Straße durch
       Bomben und Feuersturm zerstört worden, mit allem, was sich darin befand,
       Möbel, Wertgegenstände, Kunstwerke. So behauptete es nach dem Krieg
       Hildebrand Gurlitt. Die Südvorstadt gehörte zu den am schwersten
       getroffenen Gebieten der Stadt. Wer dort seine Haut retten konnte, musste
       kaum Nachfragen nach Hab und Gut befürchten. Eine perfekte Legende, um
       Spuren verwischen.
       
       „Es ist verbürgt, dass Marie Gurlitt nach dem Angriff im Kellergeschoss
       gelebt hat“, sagt Matthias Lienert. Zumindest das Kellergeschoss blieb also
       unversehrt. Lienert leitet das Archiv der Technischen Universität Dresden
       und hat zur Familie Gurlitt geforscht.
       
       Der Vater Cornelius Gurlitt, ein angesehener Dresdner Gelehrter, war der
       Patriarch, mit Orden und Meriten versehen, ein Universalgelehrter,
       Organisator, Kommunikationstalent, dazu ein cleverer Charakter, der ohne
       Abitur und Studienabschluss eine außergewöhnliche Karriere hinlegte. Und
       ein unermüdlicher Arbeiter. Lienert kommt bei Cornelius Gurlitt schnell ins
       Schwärmen.
       
       ## Vaters Beziehungen
       
       Sohn Hildebrand dürfte einige Talente geerbt haben? Lienert nickt. Dessen
       Studium an der Sächsischen Technischen Hochschule zu Dresden war allerdings
       weniger strebsam. Lienert öffnet die vergilbte Mappe mit den
       Studienunterlagen. Hildebrand schrieb sich in der allgemeinen Abteilung
       ein, einer Art Studium generale, belegte Vorlesungen über Impressionismus,
       Logik, Richard Wagner, europäische Geschichte, Johann Sebastian Bach.
       Formenlehre, Städtebau und Geschichte der Baukunst hörte er bei seinem
       Vater.
       
       Gurlitt, Jahrgang 1895, ist ab Herbst 1914 allerdings mehr im Fronteinsatz
       als im Hörsaal, wird nach eigenen Angaben dreimal verwundet. Die Leitung
       der Hochschule gratuliert ihm 1915 zum Eisernen Kreuz. Der Studienabschluss
       ist weniger glorreich. Lienert zückt ein Papier. „Die Ausstellung eines
       Abgangszeugnisses wird nicht beantragt.“ Dresden, den 7. 1. 1920.
       
       Gurlitt schreibt sich danach in Berlin und Frankfurt ein, promoviert. 1923
       heiratet er und wird Assistent der Sammlung für Baukunst an der Technischen
       Hochschule Dresden. Mithilfe seines Vaters, wie Matthias Lienert vermutet.
       Und zumindest indirekt hat Cornelius Gurlitt einen Anteil daran, dass
       Hildebrand seine erste standesgemäße Anstellung erhält.
       
       ## Die alten Ölschinken rausgeschmissen
       
       Das Gebäude der heutigen Kunstsammlungen in Zwickau mit seiner
       grünspanbedeckten Rotunde und den beiden langgestreckten Flügeln strahlt
       auch nach fast einhundert Jahren den Anspruch der Zwickauer Bürger aus, es
       den kunstsinnigen Nachbarn in Dresden, Leipzig und Chemnitz gleichzutun. Am
       1. Juni 1925 tritt Hildebrand Gurlitt hier seine Stelle als Direktor des
       damaligen König-Albert-Museums an. Der Neubau war 1914 eröffnet worden, das
       vier Abteilungen umfassende Museum, eher der Heimatkunde verpflichtet als
       den großen Kunstströmungen seiner Zeit, wurde zuvor ehrenamtlich geleitet.
       Oberbürgermeister Holz spürte, dass auch inhaltlich ein Neuanfang nötig
       wäre.
       
       Unter den zwanzig Bewerbern setzt sich Gurlitt durch. Seine breit
       gefächerte Ausbildung, seine guten Beziehungen und nicht zuletzt seine
       untadelige Herkunft überzeugen den Stadtrat. Gurlitt verspricht die
       Vermehrung des Bestandes, er will Öffentlichkeits- und Pressearbeit,
       Museumspädagogik, das Mäzenatentum intensivieren.
       
       Zunächst lädt Gurlitt Hans Posse, den Direktor der Dresdner Gemäldegalerie
       ein, die Zwickauer Bestände zu begutachten. Posse stellt ein „vernichtendes
       Urteil“ aus, wie Gurlitt befriedigt vermerkt. Umgehend entfernt er alte
       Landschaftsbilder und lässt sie in Zwickauer Amtsstuben und Rathausgängen
       aufhängen. „Ich wünsche Ihnen Erfolg, auf dass auch in dieser Wüste eine
       Oase entstehen möge“, schreibt ihm erfreut der gebürtige Zwickauer Max
       Pechstein. Gurlitt will möglichst bald eine Pechstein-Ausstellung
       organisieren.
       
       ## Kandinsky trägt vor
       
       ## 
       
       Gurlitt lässt die Museumsräume vom Bauhaus gestalten, er korrespondiert mit
       Georg Grosz, Karl Schmidt-Rottluff. Wassily Kandinsky schreibt Gurlitt,
       dass er ihm zehn Arbeiten schicken werde. „Was aber den Vortrag anlangt, so
       weiß ich nicht, ob meine Bedingungen für Sie annehmbar sind“, gibt
       Kandinsky zu bedenken. Bahnreise, zwei Tage Aufenthalt für sich und seine
       Frau, sowie 150 Mark Honorar dürfte für die klamme Museumskasse eine große
       Belastung sein. Bald lädt ein Plakat zum Vortrag des bekannten Professors
       vom Dessauer Bauhaus ein, Thema: Die abstrakte Kunst.
       
       In der Kuppelhalle veranstaltet Gurlitt Konzerte, Uraufführungen. Er ist
       nicht nur Manager, auch Pädagoge, meist führt er selbst durch die
       Ausstellungen, neben die Bilder heftet er Zettel mit kleinen
       kunstgeschichtlichen Abhandlungen. Gurlitt erwirbt Aquarelle, Grafiken,
       Drucke – Kirchner, Kokoschka, Nolde, Lissitzky, Kandinsky, Barlach,
       Schmidt-Rottluff und immer wieder Pechstein. Das Gemälde „Die Frau auf dem
       Sofa“ von Pechstein kauft er für 700 Mark.
       
       ## NSDAP macht Gegenwind
       
       Mit dem Amtsantritt von Gurlitt verdoppeln sich die Besucherzahlen auf
       20.000. Gurlitt scheint wie entfesselt und bekräftigt im Januar 1928 noch
       einmal, dass er in Zwickau eine Sammlung aufbauen will, „die ihresgleichen
       in Deutschland nicht hat“. Da wiegen die Zwickauer Ratsherren schon
       bedenklich die Köpfe. Nicht nur dass der Stadt in der heraufziehenden
       Weltwirtschaftskrise das Geld knapp wird.
       
       Gurlitt hat Gegner. Alte, die den Landschaftsbildern nachweinen und
       Gurlitts Einkäufe als „Dutzenddingerchen“ schmähen. Und neue – die
       Zwickauer NSDAP und die Ortsgruppe des „Kampfbundes für die deutsche
       Kultur“. 1929 ist klar, dass dem Stadtrat der Neubau des Bahnhofs wichtiger
       ist als moderne Kunst. Gurlitts Tage sind gezählt. Die Leitung des Museums
       soll ab April 1930 erneut ehrenamtlich erfolgen.
       
       „Soll das alles wirklich wieder verwaisen?“, fragt das Zwickauer Volksblatt
       entsetzt. „Soll hier unten wieder eine Abladestatt für genagelte
       Hindenburgen, bestückt mit Vorderladern und bewehrt mit Spießen, sich
       wieder auftun?“ Tage später giftet die Zwickauer NSDAP gegen die
       „kulturelle Zersetzung“. Die Abberufung Gurlitts sei zu begrüßen.
       
       ## Die gute Kunst von morgen
       
       Doch zuvor eröffnet Gurlitt eine Ausstellung mit seinen Neuerwerbungen und
       hält ein flammendes Plädoyer für moderne Kunst. „Wir leben in einer Zeit
       der schlimmsten Kämpfe, um alle entscheidenden geistigen Fragen“, ruft er
       in den Kuppelsaal. Alles befinde sich im Umbruch. Die Kunst müsse helfen
       bei der Gestaltung einer neuen Welt. „Gute Kunst war immer von morgen und
       übermorgen.“ Die Sammlung enthalte nur Werke der wirklich bedeutenden
       Künstler der Gegenwart.
       
       Jedes neue Kunstwerk sei voller Problematik, unruhig und beängstigend.
       „Wenn deshalb den Besucher das eine oder andere Werk in dieser Sammlung
       erregen oder ärgern sollte, so beweist dies eigentlich erst den Sinn der
       Sammlung.“Gurlitt hat Unterstützer. Im Januar 1930 trifft sich der
       neugegründete „Kreis der Museumsfreunde Zwickau“, 450 Mitglieder, darunter
       Max Pechstein, protestieren gegen die Abberufung. Vergeblich. Am 1. April
       endet die Ära Gurlitt. Das Museum wird für drei Jahre geschlossen, danach
       präsentiert es Mineralien, Landschaftsbilder und Klöppelkunst.
       
       Hildebrand Gurlitt übernimmt nun in Hamburg die Leitung des Kunstvereins,
       wo er 1933 nach Hitlers Machtantritt entlassen wird. Zwickau ist überall.
       Umso mehr, da Gurlitts Großmutter Elisabeth Lewald aus einer jüdischen
       Familie stammte. Als im März 1938 Gurlitts Vater Cornelius stirbt, versagen
       die Stadt Dresden und der Freistaat Sachsen dem „Halbjuden“ jegliche
       Totenehrung.
       
       ## Einkäufe für das „Führermuseum“
       
       Gurlitt ist zu dieser Zeit bereits Kunsthändler, von den Nazis betraut mit
       der Veräußerung „entarteter Kunst“. Die „Gestaltung einer neuen Welt“ haben
       andere übernommen, und die „wahrhaft bedeutenden Künstler der Gegenwart“
       verwertet Gurlitt wie ein Abdecker. Einkäufe für das geplante
       „Führermuseum“ in Linz kommen ab 1943 hinzu. Dieses Projekt leitete bis
       1942 der Dresdner Hans Posse, jener Posse, der den jungen Gurlitt 1925 mit
       seiner Expertise unterstützte.
       
       Nach Kriegsende, nach erfolgreicher Entnazifizierung rechtfertigt er im
       November 1946 in einem Brief gegenüber Ernst Holzinger, Direktor des
       Frankfurter Städel-Museum, seinen Seitenwechsel – und sein Schweigen: „Wer
       zwangsweise seinen Beruf wechseln musste, und es dann noch in einer Art
       Trotz zu schwer erarbeiteten Erfolg brachte, […] wer all die Jahre in Angst
       und Sorge vor Denunziation, Zwangsarbeit und Mischlingsbataillone lebte –
       wirklich, der hat jetzt kaum noch die Kraft den Mund aufzumachen.“ Was
       seinen eigenen zweifelhaften Besitz anlangt, tut er den Mund wirklich nicht
       mehr auf. Dem Stolz auf den „schwer erarbeiteten Erfolg“ folgt eine dritte
       Karriere als Leiter des Kunstvereins in Düsseldorf.
       
       15 Nov 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Gerlach
       
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