# taz.de -- Gurlitt als Kunstsammler und Profiteur: Kunstraub und Kunstdienst
       
       > Das Schloss Schönhausen diente von 1938 bis 1942 als Zentrale für den
       > Verkauf „entarteter Kunst“. Christen bereiteten die Händlerware auf.
       
 (IMG) Bild: Adolf Hitler betrachtet am 13. Januar 1938 beschlagnahmte Kunstwerke im Depot in Berlin. Der große Ausverkauf hatte begonnen
       
       BERLIN taz | Schloss Schönhausen in Pankow wirkt im Nebel wie ein
       ockerfarbener Hügel, der sich schemenhaft hinter Lindenreihen erhebt. Ein
       Pflasterweg führt zum Portal. Jogger eilen vorbei, die drei hohen Glastüren
       sind verschlossen. Fernab der Berliner Innenstadt hält das Schloss
       Winterschlaf.
       
       Das herrschaftliche Haus mit der eleganten Rokokotreppe, das Friedrich II.
       seiner ungeliebten Gattin Elisabeth Christine als Sommerresidenz schenkte,
       nutzte ab 1934 der in Berlin ansässige Kunstdienst der Evangelischen
       Kirche, ein Verein zur Förderung der bildenden Künste in den evangelischen
       Gemeinden, er veranstaltete Ausstellungen und Konzerte. Zwischen 1938 und
       1942 wickelten die kunstsinnigen Protestanten auch einen Großauftrag der
       Reichsregierung ab: den Verkauf der „entarteten Kunst“, die ab August 1937
       in Museen und Galerien im Deutschen Reich beschlagnahmt wurde.
       
       Schloss Schönhausen war die größte Vitrine für die Verwertung eingezogener
       Kunstwerke der klassischen Moderne. Hier rollten die Lkws vor,
       Transportarbeiter luden Plastiken von Barlach und Lehmbruck aus, Gemälde
       von Nolde, Pechstein, Dix, Corinth, Aquarelle, stapelweise Druckgrafiken.
       Kunsthändler wie Hildebrand Gurlitt eilten die geschwungene Treppe hinauf
       in die Ausstellungsräume. Galten die Werke, die vor dem Schloss abgeladen
       wurden, doch als Filetstücke, die möglichst viele Dollar in die
       Staatshauptkasse spülen sollten.
       
       Die Arbeiten, die kaum oder gar keine Devisen bringen würden, harrten
       hingegen im Depot in der Köpenicker Straße 24 in Berlin-Kreuzberg ihres
       Schicksals. Insgesamt hatten Kommissionen über 20.000 Arbeiten
       beschlagnahmt.
       
       Heute hängen in den Sälen wieder preußische Prinzessinnen, feines Porzellan
       steht hinter Glas. Doch zumindest eine Vitrine erinnert an den Ausverkauf
       einer ganzen Epoche. Auf einer Fotografie ist van Goghs Selbstbildnis zu
       sehen, wie es auf einem Sims steht, andere Bilder lehnen dicht an dicht auf
       dem Boden, ganze Gemäldereihen schichten sich tief in den Raum hinein,
       Grafikmappen bilden Stapel. Trödelmärkte sehen so aus.
       
       ## Anstößiger Christus
       
       Auf einem Foto präsentieren zwei Arbeiter Emil Noldes „Kreuzigung“ aus dem
       Zyklus „Leben Christi“ vor dem Portal. Halb belustigt, halb interessiert
       betrachtet einer der beiden das großformatige Bild. Das „Leben Christi“
       präsentierten im Jahr 1937 die NS-Kunstwächter als ganz besonderen
       Blickfang bei der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München. Aus ihrer Sicht
       war diese „Verfallskunst“ beim evangelischen Kunstdienst in den richtigen
       Händen. Für die Protestanten mit ihrer „positiv-christlichen“
       Kunstauffassung war so ein Schmerzensmann anstößig.
       
       Wie der Gekreuzigte „artgemäß“ auszusehen hatte, präsentierte der
       Kunstdienst bereits 1935 in der Luther-Gedächtnis-Kirche in
       Berlin-Mariendorf, wo sich ein kerzengerader Jesus mit ausgebreiteten Armen
       hingibt für die Seinen, gerade so als würde er der Wehrmacht bereits
       vorausgehen. „Entartet“ wie Nolde war auch Ernst Barlach. Seine erschöpften
       Soldaten aus dem Magdeburger Dom schob die dortige Gemeinde 1934 nach
       Berlin in die Nationalgalerie ab, wo das Ehrenmal im Magazin verschwand –
       bis es in Schönhausen auftauchte.
       
       Von Hildebrand Gurlitt gibt es kein Fotodokument als Kunsthändler mit
       „Verwertungsauftrag“ im Schloss Schönhausen. Gurlitt war 1930 als
       Museumsdirektor in Zwickau und 1933 als Leiter des Kunstvereins in Hamburg
       auf Druck der NSDAP und des „Kampfbundes für die deutsche Kultur“ entlassen
       worden, da er sich vehement für moderne Kunst einsetzte. Ab 1934 arbeitet
       er als Galerist und Händler mit Hauptsitz in Hamburg und einer Dependance
       in Dresden.
       
       ## Gurlitt stellt Beckmann noch nach 1933 aus
       
       Hildebrand Gurlitt macht zunächst weiter, wo er als Leiter des Hamburger
       Kunstvereins aufhören musste, stellt als einziger nach 1933 den verfemten
       Max Beckmann aus, bemüht sich immer wieder um Ernst Barlach. Er will den
       Künstler bewegen, einen Taufstein für die neu erbaute Johanneskirche in
       Hamm zu entwerfen, doch das Vorhaben geht über Entwürfe nicht hinaus. Im
       September 1937 schickt Barlach einen Brief an Gurlitt. „Wer, frage ich,
       kann mit einigem Vertrauen ein größeres oder auch bescheidenes Werk
       unternehmen, wenn durch schlichtes Dekret meine Holzarbeiten, Bronzen usw.
       aus Museen und Kirchen verwiesen werden?“, schreibt Barlach resigniert.
       
       Am 24. Oktober 1938 stirbt Ernst Barlach. Vier Tage später wird er in
       Ratzeburg beerdigt. Gurlitt trifft auf Karl Schmidt-Rottluff, Gerhard
       Marcks, Käthe Kollwitz – Künstler, die er von Berlin aus zu „verwerten“
       beginnt. Bei Barlach selbst kommt jedoch vor allem Kunsthändlerkollege und
       Barlach-Intimus Bernhard A. Böhmer zum Zug, der ebenfalls unter den
       Trauergästen ist.
       
       In Schloss Schönhausen regiert seit 1938 Gertrud Werneburg. Die 36-jährige
       Ausstellungsmacherin wird vom Kunstdienst zur Leiterin ernannt. Wie eine
       Marktfrau organisiert sie den Ausverkauf. Zunächst veräußert sie 175
       Ölbilder, doch bald geht die Zahl in die Tausende – Franz Marc, Christian
       Rohlfs, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Dix. „Es war eine schöne Tätigkeit“,
       bekennt Gertrud Werneburg noch Jahrzehnte später gegenüber Hans
       Prolingheuer. Der Kirchenhistoriker hat akribisch die Rolle des
       Kunstdienstes beleuchtet und Werneburg für sein Buch „Hitlers fromme
       Bilderstürmer“ mehrfach gesprochen. Prolingheuer klingt heute noch erstaunt
       über ihre Offenherzigkeit.
       
       ## Es gibt eine Bilderverbrennung
       
       Manchmal erscheint NS-Prominenz auf der Rokokotreppe des Schlosses
       Schönhausen. Karl Brandt, Hitlers Chirurg und verantwortlich für die Morde
       an geistig und körperlich Behinderten, bedient sich aus den Bilderstapeln.
       Aber auch Kunstdienst-Getreue halten sich schadlos. Warum sich noch
       genieren, wo doch im Depot Köpenicker Straße Tausende Kunstwerke als
       wertlos aussortiert werden? Penibel registriert Gertrud Werneburg diese
       Posten. Im März 1939 werden 4.800 Werke auf Geheiß von Goebbels abgefackelt
       – kein rituelles Autodafé wie 1933 bei den Büchern, eher eine
       Müllverbrennung.
       
       Die Devisenbringer bietet Gertrud Werneburg hingegen auch im Ausland an. Im
       Mai 1939 reist sie mit Hildebrand Gurlitt in die Schweiz, wo sie auf den
       eleganten Bernhard A. Böhmer aus Güstrow treffen. In Luzern und Zürich
       präsentieren sie 125 Kunstwerke aus Schloss Schönhausen. Das Geschick der
       Kunsthändler ist besonders bei Tauschgeschäften gefragt. Hitler konnte sich
       später rühmen, dass er „für ein verkrüppeltes Geklitsche fünf italienische
       Meisterbilder“ bekommen hat – auch dank Hildebrand Gurlitt.
       
       Im Jahr 1942 ist der Großauftrag beendet. Im Schloss eröffnet der
       Kunstdienst wieder Publikumsausstellungen wie die „Niederschlesische
       Kunst“. Hildebrand Gurlitt zieht nach Dresden. Seit März 1943 ist Hermann
       Voss Direktor der Dresdner Gemäldegalerie und Sonderbeauftragter für das
       geplante „Führermuseum“ in Linz – und Gurlitt einer seiner Favoriten. Hatte
       Gurlitt bei der „entarteten Kunst“ schon gut verdient, schnellen seine
       Einkünfte nun in die Höhe. Gurlitt wird vor allem auf dem französischen
       Markt aktiv. Das Reichswirtschaftsministerium stattet ihn großzügig mit
       Devisen aus. Gurlitt kauft und kauft – Italiener, Niederländer, Franzosen,
       Stadtlandschaften, Stillleben, Porträts –, je weiter die Alliierten
       vorrücken, desto eifriger. Im Frühjahr 1944 verkauft er binnen zweier
       Monate 53 Gemälde, dazu Zeichnungen, Miniaturen und einen Gobelin für 1,7
       Millionen Reichsmark an das „Führermuseum“.
       
       Ende 1944 kommt das Geschäft zum Erliegen. Nach den Bombenangriffen auf
       Dresden flüchtet Gurlitt in das Dörfchen Aschbach bei Bamberg, wo er im
       Forsthaus der Familie von Pölnitz unterkommt. Nach und nach schafft er sein
       Hab und Gut dorthin. Gurlitt ist nur einer von vielen im Ort. Prägender ist
       für die Dorfbewohner, dass die Amerikaner auf dem Gelände des Schlosses ein
       Camp für etwa hundert polnische Juden einrichten.
       
       ## Vorträge im Pfarrhaus
       
       Gurlitt, unter den NS-Rassegesetzen ein „Mischling zweiten Grades“, hatte
       Haut, Familie und Kunstsammlung gerettet. Nein, bescheidet die Dame am
       Telefon, die Familie von Pölnitz könne zu Gurlitts Aufenthalt nichts
       berichten. Im Dorf erinnere sich keiner mehr an Hildebrand Gurlitt,
       bedauert auch der Konditor und ehrenamtliche Ortschronist. Es gibt nichts
       über Hildebrand Gurlitt. Fast nichts. Anfang 1946 verwandelt sich Gurlitt,
       als wäre er nie etwas anderes gewesen, wieder in den rührigen
       Kunstpädagogen, lädt ins Pfarrhaus zu Vorträgen ein – über Albrecht Dürer,
       über Kunst und Kitsch, über Ernst Barlach. Zwei Jahre später setzt er seine
       Arbeit in Düsseldorf fort und wird Leiter des Kunstvereins.
       
       Auch für Gertrud Werneburg vom Evangelischen Kunstdienst geht das Leben
       weiter. Bis zum achtzigsten Lebensjahr lebte sie, ohne Renten- und
       Krankenversicherung zu zahlen, von ihren ergatterten Bildern. Sie habe sie
       „alle aufgegessen“, versicherte sie Hans Prolingheuer kurz vor ihrem Tod.
       Cornelius Gurlitt, dem Sohn Hildebrand Gurlitts, nicht unähnlich.
       
       Nur Bernhard A. Böhmer verpasst den Absprung. Anfang Mai 1945 steckt er
       mitsamt Kunstsammlung in Güstrow fest. Als die Rote Armee einmarschiert,
       nehmen sich Böhmer und seine Frau das Leben.
       
       Über den schweren Teppich der Rokokotreppe von Schloss Schönhausen spaziert
       bald Wilhelm Pieck, erster und einziger Präsident der DDR. An den Wänden
       hängt sozialistische Kunst, Proletarier mit kräftigen Unterarmen. Auf einem
       Bild an der Treppe schwingt ein Bagger seinen Greifer. Heute gehört das
       Schloss zur Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Bald, versichert
       Mitarbeiter Jörg Kirschstein, soll es mehr Platz geben für die
       verhängnisvolle Periode, in der das Schloss die größte Ansammlung der
       klassischen Moderne beherbergte. Hildebrand Gurlitt dürfte dann wieder
       dabei sein.
       
       2 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thomas Gerlach
       
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 (DIR) Der Kunstfund Gurlitt: Anwälte fordern Werke zurück
       
       Nur bei drei Prozent der 1.280 Werke handele es sich um Nazi-Raubkunst,
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 (DIR) Stiftung „Zurückgeben“ über Nazierbe: „Unser Appell zielt auf Freiwilligkeit“
       
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       Fehler gemacht worden. Sie wünsche sich jetzt eine einvernehmliche Lösung.
       
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       Für einen Matisse der Sammlung Gurlitt steht der rechtmäßige Vorbesitzer
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 (DIR) Kulturstiftungs-Direktorin zu Gurlitt-Fund: „Aktionismus ist hier fehl am Platz“
       
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 (DIR) Kunstraub und Kunsthandel: Wandlungen eines Kunstsinnigen
       
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