# taz.de -- Die Wahrheit: Die Duschbrille
       
       > Ich glaub, ich werde älter! Ich wurde wach, als ich heute morgen mit der
       > Brille unter der Dusche stand ...
       
 (IMG) Bild: Bald wird von der Leyen selbst Hand anlegen müssen, denn dem Heer laufen die Frauen in Scharen davon
       
       Ich wurde wach, als ich heute morgen mit der Brille unter der Dusche stand.
       Ich hatte bis dahin schon einiges erledigt, Zähne geputzt, in die Zeitung
       geschaut, und wohl deshalb war die Brille auf meinem Kopf. Langsam habe ich
       das Gefühl, sie ist mit mir verwachsen. Sie begleitet mich mittlerweile
       ständig. Aber noch nie in die Dusche. Dabei will ich in der Dusche gar
       nicht lesen. Außer wenn mir mein Bruder wieder das finnische Teershampoo
       schenkt, dessen Etikett ich dann vorsichtshalber lesen sollte, weil ich
       beim letzten Mal sofort diese „Teeren und Federn“-Assoziationen aus den
       „Lucky Luke“-Heften hatte.
       
       Ich habe zum letzten Geburtstag Gesichtscreme bekommen. Dabei bin ich ein
       Mann! Gesichtscreme. Als ob ich das brauchen würde! Was sind das für
       Freunde, die so etwas schenken!? Andererseits ist es eine Freundin gewesen,
       die mir die Dose mit dem Fett überreichte. Frauen verstehen von so was mehr
       als Männer. Hatte dieses Geschenk einen Subtext?
       
       Ich habe in meinem Leben nicht das Gefühl, zu altern. Dass ich nicht mehr
       so schnell und nicht mehr so weit jogge, liegt einzig an meinem miesen
       Trainingsstand. Und vielleicht an meinem Gewicht. Mein Gewicht ist ein
       Ergebnis meiner Genusssucht, von Pasta mit Soße, Rotwein und Haribo. Mit
       Alter hat das alles nichts zu tun. Gerade Haribo halte ich für ein Zeichen
       von Jugendlichkeit.
       
       Meine Eltern werden älter, meine Freunde und ich nicht. Ich trage immer
       noch Motorradstiefel und Lederjacke. Allgemein hält man mich für einen
       Harley-Davidson-Fahrer. Harley-Davidson fahren aber nur Herren, die älter
       sind. Also habe ich keine.
       
       Das Einzige, was sich bei mir verändert hat, ist die Buchstabengröße. Ich
       war wirklich irritiert, als die Zeitungszeilen verschwammen. Ich kaufte
       eine Lesebrille. Inzwischen sitze ich mit dem Ding vorm PC, ich lese Bücher
       damit und im Restaurant kann ich ohne Lesebrille nicht mehr bestellen. Als
       ein Kollege vor Jahrzehnten für Dialogtexte 16-Punkt-Schriftgröße als
       Ausdruck forderte, musste ich innerlich jugendlich-arrogant grinsen. In
       diesem Herbst druckte ich erstmals meine Manuskripte in 16 Punkt.
       
       Ich habe eine teure Lesebrille gekauft. Für mehrere hundert Euro. Die ist
       so exakt vermessen, dass sie bei 40 Zentimeter Abstand topscharf ist.
       Drüber und drunter allerdings nicht. Meine Zeitung halte ich aber weiter
       weg als mein Buch, und der Computer steht wieder anders. Außerdem habe ich
       dauernd Angst, dass der teuren Brille was passiert. Also lese ich seit
       Monaten mit Brillen für 3,95 Euro von Rossmann. Cool. Schwarz. Meine
       Freundin sagt: „Eher billig!“ Aber die Billigbrille lässt sich hervorragend
       auf die Stirn hochschieben. Man hat ja immer irgendetwas zu lesen, selbst
       um mein Navi einzustellen, brauche ich das Teil mittlerweile.
       
       Heute Morgen wollte ich mir dann den Kopf waschen. Selbstverständlich hatte
       ich es schon erlebt, dass ich meine Brille suchte und sie schließlich auf
       meinem Schädel fand. Der Klassiker. Aber nun, in der Dusche, auf meinem
       Kopf? Ich glaub, ich werde älter!
       
       20 Dec 2013
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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