# taz.de -- Die Wahrheit: Baum am Abhang
       
       > Die Roulade ist der Inbegriff der deutschen Essensnation und die einzig
       > passende Antwort auf die vegetarischen Initiativen der Grünen.
       
 (IMG) Bild: Spiel mit dem Wurstfeuer
       
       Der Deutsche ist eine Roulade. Wie sich Hund und Herrchen äußerlich
       anpassen, so ähneln sich immer mehr der Esser und seine Mahlzeit. Wo immer
       ich auch hinkam, es gab Rouladen, bei Muttern, bei Tanten, bei Freunden.
       Manchmal zweimal am Tag. Dass wir sie nicht schon gefrühstückt haben, war
       alles.
       
       Das ganze Land hat auf die berüchtigte Veggie-Day-Initiative der Grünen im
       letzten Bundestagswahlkampf mit der einzig möglichen Antwort reagiert – mit
       guter deutscher Hausmannskost. Seit die Grünen uns ans Gulasch wollten,
       ging ein Ruck durch die Republik – und am stärksten ruckte es zum
       Jahresende. Zwischen Weihnachten und Neujahr gab es keinen Tag ohne
       Rouladen, die Gänse brieten im eigenen Schmalz, China-Restaurants nahmen
       Ente süß-sauer von der Karte, denn die Deutschen sorgten für einen
       Lieferengpass. Aber die Königin des Winters ist die Rindsroulade.
       
       Rouladen sind ein hochkomplexes deutsches Faszinosum, und zwar in allen
       Phasen, von Zubereitung bis Verzehr. Im Land des Hightechs, der
       Feinstmechanik, der Hochfinanz, der Weltchemie, führend im Automobilsektor
       – in diesem Lande der Dichter, Denker und Erfinder stellen sich immer
       wieder neue Generationen der Königsdisziplin – dem Rouladenwickeln. Und
       zwar in beiden Kategorien, bei Kohlrouladen und Fleischrouladen. Und jeder
       schwört auf andere Wickeltechniken.
       
       Die einen umwickeln die Roulade mit Nähgarn, fesseln das Fleisch regelrecht
       und versuchen dabei, das aufgerollte Restgarn nicht zu bekleckern. Dann
       fixiert man das „Rindertau“ mit Knoten. Segler nutzen Kreuzknoten auf Slip.
       Diese Wickeltechniken werden in Fachkreisen auch als „Bondage-Style“
       bezeichnet. Das Entwickeln birgt für unbedarfte Esser das Risiko breiter
       Soßenschneisen auf Tischdecken und Feiertagshemden, wenn die Roulade sich
       durch den hochgezogenen Faden dreht wie der gefällte Baumstamm am Abhang.
       
       Andere nehmen Zahnstocher, die sie dem toten Rind durchs Fleisch und den
       eingedrehten Schinkenspeck treiben. Amateure verletzen die Gurke. Manche
       nehmen wiederverwertbare Metallstäbe, die „Rouladennadeln“. Die aber
       genauso heiß sind wie Soße und Kruste – also sehr heiß! Um sie
       herauszuziehen, braucht es eine ausgefeilte Einfädeltechnik: mit dem
       Außenzinken der Gabel in die Ringöffnung der Rouladennadel und dann die
       Ruhe großer Yogis, um nicht in zu schneller Bewegung die Nadel
       herauszurupfen, was katapultartige Wirkung haben kann. Die so
       herausgeschleuderte Nadel hat oft schon zu schweren Verletzungen bei den
       Tischnachbarn geführt.
       
       Bei Nadeln und Stochern zeigt sich der wahre Rouladenmeister darin, nur
       einen dieser „Piekser“ zu benötigen, zwei oder drei sind aber fast die
       Regel, ab vier wird der Amateur erkennbar. Ab sechs Rouladennadeln steigt
       wieder die Verletzungsgefahr, da man dann einer Art Ministachelschwein auf
       die Schwarte rückt.
       
       Ansonsten gilt für alle fleischfressenden Kulinariker auch im Jahr 2014 das
       Wort des großen Frankfurter Philosophen Michael Herl: „Du musst dem Leben
       immer ein Hackbrötchen voraus sein!“
       
       6 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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