# taz.de -- Die Wahrheit: Gerüstbauer! Gerüstbauer!!
       
       > Es kann der Ruhigste nicht in Frieden schlafen, wenn es den
       > Trapezkünstlern des Handwerks gefällt, ihren traditionellen Lärm zu
       > verbreiten.
       
 (IMG) Bild: Bald wird von der Leyen selbst Hand anlegen müssen, denn dem Heer laufen die Frauen in Scharen davon
       
       Mein erster Morgen seit Wochen im eigenen Bett! Ich will ausschlafen. Das
       geht nicht, denn ich höre Stimmen. Durch die geschlossenen Lider dringt
       Lärm. Der Lärm hängt in der Luft. Der Lärm steht auf Höhe meines dritten
       Stockwerks. Ich linse zur Uhr. 7.27 Uhr. An meinem ersten freien Tag!
       
       Streiten draußen Engel? Dröhnen dort Drohnen? Ich linse aus dem Fenster.
       Gerüstbauer! G-e-r-ü-s-t-b-a-u-e-r! Grundsätzlich bewundere ich diese
       schwindelfreien Gesellen. So hoch oben ist die Luft dünn und die Statik
       wackelig. Ich weiß das.
       
       Am zweiten Tag meiner Lehre als Zimmermann wurde ich auf ein Gerüst
       geschickt. Gerüste waren damals noch aus Holz und nicht mit dem Haus
       verbunden, sondern zitterten vor sich hin. Ich sollte einen Giebel
       verschalen. Drittes Gerüst-Stockwerk. Jedes Brett wollte eingepasst, dazu
       vermessen, angezeichnet, auf Maß gesägt und angenagelt werden. Meine Knie
       zitterten. Das gesamte Gerüst bebte. Es vibrierte im Rhythmus meiner
       wackelnden Knie. Hat schon mal jemand bei Wellengang fünf bis sechs gesägt?
       Ein Wunder, dass man sich nicht gleich die ganze Hand absägt.
       
       Das Grundprinzip der Zimmerei, das lernte ich später, ist ein
       unverschiebbares Dreieck. Hier hatte man es bei verschiebbaren Vierecken
       belassen, die sich schnell vom Quadrat zur Raute schieben konnten.
       Mindestens! Am Boden werkelte mein Geselle. „Ey!“, rief ich runter, „das
       wackelt ganz schön!“ Er bölkte zurück: „Was wackelt, kippt nicht!“ Das
       erste Zimmermannsgesetz!
       
       Gerüstbauer ist inzwischen ein eigener Beruf. Statistisch der gefährlichste
       aller Berufe. Kein Wunder. Stellt man sich doch als Gerüstbauer in sieben
       Meter Höhe in die Luft und bekommt dort die ersten Gerüstteile zugeworfen,
       die man dann in der Luft zusammenbaut und langsam nach unten verlängert,
       bis sie Bodenberührung haben. Am Ende wird alles in der Außenwand
       verdübelt, über Eck gestellt, verkeilt und verschraubt. Nichts wackelt. Es
       gibt heute Fangnetze in den oberen Etagen! Sogar Leitern zwischen den
       Stockwerken werden montiert, wo wir früher zwischen den Stockwerken
       kletterten wie Tarzan im Dschungel.
       
       Gerüstbauer sind Helden. Eigentlich die Trapezkünstler des Handwerks. Aber
       Artisten schwingen leise! In meinem Schlafzimmer widerhallen jetzt Töne,
       die man nur von Kasernenhöfen oder Achtersteuermännern kennt. Schreihälse,
       die von Etage zu Etage Kommandos blöken, die durch die Straßen brüllen wie
       Löwen durch die Savanne. Sie sind eine fast hierarchiefreie Gesellschaft,
       darum will keiner auf den anderen hören, und jedes Stockwerk handelt
       autonom. Schreiaffen in Südamerika kann man bis zu fünf Kilometer weit
       hören. Die sind nicht lauter als meine Gerüstbauer.
       
       Heute sind Gerüste aus Metall, ein Stecksystem, als hätte Fischertechnik
       sich das Ganze ausgedacht. Wenn es fertig ist. Bis dahin gilt: „It might
       get loud!“
       
       Das ist Tradition geblieben. Die Lautstärke. Und das Tempo. Mein Geselle
       schrie mir schnell das zweite Zimmermannsgesetz zu: „Mach hin, das wird
       kein Wohnzimmerschrank!“
       
       29 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Bernd Gieseking
       
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