# taz.de -- Sexuelle Vielfalt im Unterricht: Herr Stängle wittert Unfreiheit
       
       > In Baden-Württemberg soll Wissen über „sexuelle Vielfalt“ vermittelt
       > werden. Ein Lehrer führt die Protestbewegung dagegen an und erntet
       > Zuspruch.
       
 (IMG) Bild: Im Sommer 2013 auf dem CSD in Stuttgart. In den Schulen Baden-Württembergs soll sexuelle Vielfalt bald auf dem Lehrplan stehen
       
       STUTTGART taz | „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ sollen Kinder in
       Baden-Württemberg künftig in der Schule vermittelt bekommen. So steht es im
       Bildungsplan 2015, der momentan entwickelt wird. Gegen das Vorhaben ziehen
       konservative Kräfte ins Feld.
       
       Wortführer ist der Realschullehrer Gabriel Stängle aus dem Schwarzwald. Er
       fürchtet, dass Schule zum „Aktionsfeld von LSBTTIQ-Vertretern“ wird, und
       hat eine Onlinepetition gegen den Bildungsplan gestartet. „LSBTTIQ“ steht
       für „lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und
       queer“.
       
       40.000 Personen haben Stängles Petition bereits unterzeichnet. Das
       Kultusministerium hält die Erklärung für diskriminierend, und die
       Lehrergewerkschaft GEW bezeichnet die Befürworter als „Fundamentalisten“.
       
       Mit dem Leitprinzip „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im Bildungsplan geht das
       Land Baden-Württemberg einen eigenen Weg. In den Bildungsstandards der
       länderübergreifenden Kultusministerkonferenz war dies noch kein Thema. Man
       wolle Kinder darin bestärken, sich selbst und ihr Gegenüber mit
       Wertschätzung zu betrachten, heißt es aus dem Kultusministerium.
       
       ## Stängle erhält Zuspruch aus der rechten Szene
       
       In einer ersten Fassung der Petition war von einer „Umerziehung“ der
       Schüler die Rede, von einem „Nein zu LSBTTIQ-Indoktrinierungs- und
       -Missionierungsversuchen“ sowie davon, dass Lehrer von LSBTTIQ-Aktivisten
       „in politische Haft“ genommen würden. Weil der Text wegen diskriminierender
       Passagen nicht den Bedingungen des Portals [1][openpetition.de] entsprach,
       musste er entschärft werden.
       
       Gabriel Stängle ist im Realschullehrerverband Baden-Württemberg für das
       Referat Erziehung, Bildung, Schulpolitik zuständig. Privat ist der
       41-Jährige in einer christlichen Gemeinschaft aktiv, die bibelorientiert
       lebt. Seine Petition wurde von der rechtspopulistischen Website PI-News
       aufgegriffen und unterstützt. Auch aus evangelikalen Kreisen erhält sie
       Unterstützung.
       
       Aus Stängles Sicht gibt es im Bildungsplan 2015 ein Definitionsproblem.
       „Akzeptanz bedeutet, dass ich etwas gutheiße, billige und meine Haltung so
       ändere, wie es das Gegenüber wünscht“, schreibt er. Toleranz bedeute, „dass
       ich die Menschen mit unterschiedlichen Haltungen, Wertevorstellungen, etc.
       respektiere, aber ich meine Haltung beibehalten darf.“ Weiter schreibt er:
       „Ich sehe begründete Gefahr, dass die Akzeptanzforderung der Leitprinzipien
       den Bereich der Freiheit hin zur Unfreiheit überschreitet.“
       
       Die Petition im Internet hat zunächst keine Auswirkung. Sie wurde bislang
       nicht beim Petitionsausschuss des Landtags eingereicht. Gegen Stängle liegt
       inzwischen eine Dienstaufsichtsbeschwerde beim Regierungspräsidium
       Karlsruhe vor.
       
       ## Ängste vor LSBTTIQ-Lebensweisen
       
       Neben inhaltlicher Kritik erhebt Gabriel Stängle den Vorwurf, das
       Leitprinzip des Bildungsplans „Sexuelle Vielfalt“ sei am begleitenden
       Beirat vorbei entschieden worden. Das Gremium sei bis zur Übergabe eines
       Arbeitspapiers im November nicht über diese Schwerpunktsetzung informiert
       gewesen und habe deshalb keine Möglichkeit gehabt zu reagieren.
       
       Die grüne Landtagsfraktion hatte bereits im Mai ein befürwortendes
       Positionspapier zum Thema veröffentlicht. Um sexuelle Vielfalt solle es
       künftig eher im Ethik-, Sozialkunde- oder Sprachenunterricht als in
       naturwissenschaftlichen Fächern gehen, heißt es darin. Außerdem wird eine
       Studie der Humboldt-Universität Berlin zur Akzeptanz sexueller Vielfalt an
       Berliner Schulen vom August 2012 erwähnt. Darin heißt es, je öfter in
       verschiedenen Jahrgängen und Fächern Lesbisch- und Schwulsein thematisiert
       werde, desto positiver sei die Einstellung der Schüler dazu.
       
       Das Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg schreibt dazu: „Die Petition und vor
       allem die diesbezüglichen Kommentare machen sichtbar, in welchem Ausmaß
       homo- und transphobe Vorstellungen und Ängste vor LSBTTIQ-Lebensweisen noch
       immer in Teilen der Bevölkerung verbreitet sind.“
       
       2 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://openpetition.de
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Müssigmann
       
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