# taz.de -- Andrea Nahles: Die Ministrable
       
       > Laut, direkt und glänzend vernetzt – so war ihr Image als
       > SPD-Generalsekretärin. Als Arbeitsministerin darf sie jetzt aufräumen,
       > was ihre Partei verbockt hat.
       
 (IMG) Bild: Rente mit 63, Mindestlohn, Befristung von Leiharbeit: Andrea Nahles hat viel zu tun
       
       BERLIN taz | Es gibt da dieses Foto. Andrea Nahles hat es am 17. Dezember
       auf ihre [1][Facebook-Seite] hochgeladen. Sie sitzt in einem Auto und
       präsentiert ihre gerade ausgehändigte Ernennungsurkunde. „Bundesministerin
       für Arbeit und Soziales“ steht da, gedruckt auf schwerem Papier, gehalten
       von einer schwarz-rot-goldenen Kordel, unterzeichnet vom Bundespräsidenten.
       
       Andrea Nahles lächelt ihr breitestes Nahles-Lächeln in die Kamera. Ihre
       dunklen Augen blitzen hinter der Brille, den rot geschminkten Mund hält sie
       geschlossen, fehlt nur noch, dass sie vor Freude prustet. Sie ist
       hochzufrieden in diesem Augenblick. Sie, die Andrea aus der Eifel, hat es
       geschafft. Ab heute ist sie Ministerin.
       
       Die Frage ist, ob sie das tatsächlich kann: ministrabel sein. Auf ihr
       Freudenfoto bei Facebook hat sie Hunderte Kommentare bekommen. Genossen
       gratulierten, andere schrieben fiese Kommentare. „Den Bock zum Gärtner
       gemacht.“ „Hauptsache, ein Pöstchen!“ Oder nur: „Bah!“
       
       Womöglich war es doch keine gute Idee von Andrea Nahles, ihren persönlichen
       Moment des Triumphes öffentlich zu machen. Man goutiert derlei nicht in
       diesem Land. Und man weiß es schon gar nicht zu schätzen, wenn eine
       mitunter schrille Person wie Andrea Nahles sich so freut. Noch dazu eine
       Spitzenvertreterin dieser Agenda-2010-SPD. Wenn Parteichef Sigmar Gabriel
       bei der Bekanntgabe des Mitgliedervotums Tränen in den Augen stehen,
       menschelt es. Aber Nahles? Zu laut, zu direkt.
       
       ## Rollenwechsel mit Maria
       
       Tatsächlich muss Andrea Nahles spätestens ab jetzt einen Imagewandel
       hinkriegen. Als Generalsekretärin der Sozialdemokratischen Partei
       Deutschlands gehörte es quasi zu ihrer Stellenbeschreibung, immer mal
       wieder hemdsärmelig oder pathetisch rüberzukommen. Den politischen Gegner
       attackieren, die Basis streicheln, den Parteiapparat mobilisieren.
       
       Aber nun ist sie Bundesministerin in einer Großen Koalition, Nachfolgerin
       der schmalen Ursula von der Leyen, der Frau mit den weit aufgerissenen
       blauen Augen, der blonden Bauschfrisur und den stets frisch gestärkten
       Hemden. Das macht schon habituell einen Unterschied.
       
       Nahles’ neuer Arbeitsplatz, das Ministerium in der Berliner Wilhelmstraße
       mit seinem gigantischen 126-Milliarden-Haushalt, ist nicht nur für soziale
       Segnungen wie die von der SPD widerstrebend akzeptierte Mütterrente
       zuständig, sondern auch für die Arbeitsmarktpolitik dieses Landes. Deren
       Erfolg oder Misserfolg drückt sich Monat für Monat in der Bekanntgabe der
       aktuellen Arbeitsmarktzahlen aus. Verkündet werden sie von der aktuellen
       Ministerin. Und die heißt neuerdings Andrea Maria Nahles.
       
       Als sie am Dienstagvormittag vor die Presse tritt, ist der Triumph von vor
       drei Wochen einer neuen Sachlichkeit gewichen. Nahles – sorgfältig frisiert
       und geschminkt, gekleidet in einen nachtblauen Anzug – trägt gewissenhaft
       vor, was zu sagen ist. Das übliche Vokabular erfüllt den Raum. Doch wer
       Nahles kennt, spürt, wie sehr das Neue sie fordert, wie unvertraut sie mit
       ihrer Rolle noch ist. Sie spricht langsamer als sonst, immer wieder sucht
       ihr Blick das Manuskript; ihre Hände, mit denen sie im Willy-Brandt-Haus
       das Gesagte ausschweifend untermalte, bleiben hier auf dem Rednerpult.
       
       ## Routine für SPD-Essentials
       
       Nahles verklickert die Prozente und Tendenzen, die Werte und Prognosen. Es
       sind Zahlen, die Auskunft darüber geben, wie es bestellt ist um das
       Wohlbefinden der Wählerinnen und Wähler, um den sozialen Frieden in diesem
       Land.
       
       Dabei sind diese Arbeitsmarktdaten lediglich eine Fingerübung für jene
       Politikerin, der die wichtigsten Prestigeprojekte der SPD an die Hand
       gegeben wurden. Die abschlagsfreie Rente mit 63 für jene, die 45 Jahre
       Beitrag gezahlt haben. Der flächendeckende Mindestlohn von 8,50 Euro pro
       Stunde. Befristung von Leiharbeit. Stärkung der Tarifbindung.
       
       Für all das haben sich die Sozis drei Monate lang am Verhandlungstisch stur
       gestellt und mit der puren Wucht der Masse die Union unter Druck gesetzt.
       Ohne diese SPD-Essentials, das hatten sie ihren Mitgliedern versprochen,
       wird es keine Große Koalition geben. Eine Koalition übrigens, die Andrea
       Nahles selbst vehement abgelehnt hatte. Genau ein Jahr vor ihrer Ernennung
       zur Ministerin hatte sie der taz gesagt, ja, Opposition „ist Mist, aber
       Große Koalition ist großer Mist“.
       
       ## Skepsis – ausgemerzt
       
       Den Sinneswandel von der Rot-Grün-Befürworterin zur Großkoalitionärin hat
       Andrea Nahles nicht nur selbst vollzogen. Sie hat auch mit dafür gesorgt,
       dass die Genossen, die mächtig grummelnde Basis, umdenken. Bei den
       Koalitionsverhandlungen waren Nahles und CDU-Frau von der Leyen die
       Verhandlungsführerinnen für Arbeit und Soziales. Von der Leyens Strategie
       des beherzten Wegargumentierens zog bei Nahles einfach nicht; beiden war
       klar, dass hier Amtsinhaberin und Nachfolgerin am Tisch saßen.
       
       Nahles kann so was: zäh sein, sich unbeliebt machen und dabei lächeln.
       Anders hätte sie den Job der Generalsekretärin nicht hingekriegt. Im
       Willy-Brandt-Haus hat sie jahrelang dem unsteten Parteivorsitzenden Sigmar
       Gabriel hinterhergeräumt. Der liebte es, dem Mitarbeiterstab Beine zu
       machen, sich dann aber kaum für die Arbeitsergebnisse zu interessieren.
       
       Die sowohl in der Parteizentrale als auch in der Fraktion glänzend
       vernetzte Nahles passte auf, dass der Apparat trotzdem lief. Sie umgab sich
       mit einem engen Mitarbeiterstab. So eng, sagt ein Vertrauter, „dass sie
       manchmal taub für andere war“. Letztlich hat sie in diesen vier Jahren
       nicht nur die Generalsekretärin gegeben, sondern auch gleich noch den Job
       einer – nach wie vor fehlenden – Bundesgeschäftsführerin erledigt.
       
       ## Erst die Rente, dann der Mindestlohn
       
       Nun also Bundesministerin. Dass Nahles bei der großkoalitionären
       Postenverteilung ausgerechnet das Arbeitsministerium bekommen hat, ist für
       die 43-Jährige eine riesige Genugtuung. Nun kann sie eigenhändig die von
       der SPD durchgesetzte und von ihr stets abgelehnte Rente mit 67 rückgängig
       machen.
       
       Noch im Januar könnte sie ihre Pläne für das überaus komplexe Rentengesetz
       vorlegen, damit es am 1. Juli in Kraft treten kann. Ein Mammutprojekt, das
       die Sozis der Union abgetrotzt haben und das Andrea Nahles so schnell wie
       möglich durchziehen will.
       
       „Wir beginnen mit der Rente, und dann kommt der Mindestlohn“, sagt sie am
       Dienstag auf eine entsprechende Journalistenfrage. Schon die ersten drei
       Wochen haben klargemacht: In dieser Koalition wird kräftig gestritten und
       intrigiert. Da ist es ratsam, etwas gesellschaftspolitisch so Grundlegendes
       wie die Rente gleich zu Beginn der Legislatur durchzuziehen.
       
       ## Mutter mit Spitzenjob
       
       Nahles ist zwar eine erfahrene Sozialpolitikerin, das hat sie in den zwei
       Jahren gezeigt, in denen sie Sprecherin der Fraktionsarbeitsgruppe Arbeit
       und Soziales war. Aber für ihr Rentenprojekt braucht sie gute Berater.
       Einer davon ist Jörg Asmussen. Das einstige Direktoriumsmitglied der
       Europäischen Zentralbank ist neuerdings beamteter Staatssekretär in Nahles’
       Ministerium. Der 47-Jährige hatte seinen Wechsel nach Berlin unter anderem
       damit begründet, er wolle künftig mehr Zeit für seine Familie haben.
       
       So gesehen, wird es also wohl nicht nur fachlich zwischen dem
       Staatssekretär und seiner Ministerin klappen. Nahles hat eine kleine
       Tochter, das Kind lebt mit dem Vater in einem Dorf in Rheinland-Pfalz. Das
       Pendeln und Lavieren, das Sich-schuldig-Fühlen und Improvisieren einer
       Mutter in einem Spitzenjob ist Nahles seit drei Jahren vertraut.
       
       „Wenn ich mit dreißig ein Kind bekommen hätte“, erzählte sie einmal bei
       einer Wahlkampfveranstaltung für Frauen, „dann wäre ich nicht
       Generalsekretärin geworden.“ Mit vierzig Jahren wurde sie schließlich
       Mutter, und alles, was sie tun konnte, war, zu „experimentieren – was geht
       denn mit so einem Amt?“. Sie arbeite, erzählte sie bei dieser Gelegenheit
       in ihrem Eifeler Singsang, bis in die Nächte hinein, um am Ende der Woche
       wenigstens einen Heimarbeitstag zu haben, an dem sie ihre Tochter selbst
       ins Bett bringen kann. „Ich verstehe, wenn andere Frauen sagen: Dat will
       ich mir nicht antun.“
       
       ## Störungen in der Familienzeit
       
       Gleich am Tag ihrer Ernennung hat sie deshalb der Bild-Zeitung ein
       Interview gegeben. Als neue Arbeitsministerin, sagte sie da, wolle sie sich
       für familienfreundlichere Arbeitszeiten in Unternehmen einsetzen. „Wir
       müssen Vollzeit neu definieren“, tönte sie, „mit dem Anwesenheitswahn muss
       Schluss sein.“ Und das war es dann auch. Andrea Nahles verschwand in die
       Weihnachtspause zu Mann und Kind.
       
       Als dann zwischen den Jahren CSU-Chef Horst Seehofer das erste Fingerhakeln
       mit der SPD anfing und Ausnahmen vom Mindestlohn ankündigte, war Andrea
       Nahles nicht zu sehen. Sie hatte Familienzeit, die Pressestelle ihres
       Ministeriums gab eine Erklärung heraus. Aber Seehofer schäumte weiter und
       mit ihm wetterten die Industrie- und Arbeitgeberverbände.
       
       Die Kohlen aus dem Feuer holte schließlich der neue Vizekanzler Sigmar
       Gabriel, der empfahl, doch einfach mal gründlich den Koalitionsvertrag zu
       lesen. Auch Gabriel hat eine kleine Tochter, sie ist zwei Jahre alt. Und
       auch er war in der Weihnachtspause. Gut möglich, dass Andrea Nahles sich
       Störungen ihrer Familienzeit künftig weit öfter antun muss.
       
       7 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.facebook.com/andrea.nahles
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anja Maier
       
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