# taz.de -- Indisches Queer-Magazin: Die eigenen Geschichten
       
       > Indien hat trotz Kriminalisierung eine selbstbewusst auftretende
       > Queer-Szene. Das „Gaysi Zine“ gibt ihr seit November eine Stimme.
       
 (IMG) Bild: Sie sind laut: Indische LGBT-Aktivisten im Dezember in Delhi
       
       Demonstranten ziehen Fahnen schwenkend durch die Straßen Delhis. Da ist
       sie, die Queer-Szene Indiens, laut und sichtbar. Mit Trommeln, Tanz und
       Gesang gegen die Diskriminierung – und gegen ein Gesetz, das Homosexualität
       erneut kriminalisiert.
       
       Es ist Ende November. Noch ist der Paragraf 377 des Strafgesetzbuches außer
       Kraft. So wie es 2009 ein Gericht in Delhi entschieden hatte. Doch in nicht
       einmal zwei Wochen wird der Supreme Court entscheiden, dass das alte Gesetz
       gilt und gleichgeschlechtlicher Sex in Indien somit mit bis zu zehn Jahren
       Haft geahndet werden kann. Eine Entscheidung zugunsten konservativer
       politischer und religiöser Gruppen und gegen die Queer-Szene in Indien.
       Dabei ist die längst unübersehbar – wie etwa durch das Magazin Gaysi Zine.
       
       Dessen zweite Ausgabe erschien fast zeitgleich mit den großen Protesten
       gegen das alte Gesetz. Entstanden ist das Gaysi Zine aus einer
       Gemeinschaft, die sich 2008 online formierte und den [1][Gaysi-Blog] ins
       Leben rief – ein „sicherer Raum“ für alle Homosexuellen, die sich outen
       oder von ihren Erfahrungen erzählen wollten. Der Name „Gaysi“ setzt sich
       zusammen aus „Gay“ und „Desi“, einer Sanskrit-Bezeichnung für die Menschen
       und die Kultur des indischen Subkontinents und Südostasiens.
       
       Die Herausgeberin des Magazins, Pryia Gangwani, ist seit 2009 an dem Blog
       beteiligt, dem Jahr, in dem der Delhi High Court Homosexualität
       entkriminalisierte. Und die Gaisy-Community vergrößerte ihr Repertoire: Im
       Laufe der Zeit wurde der Blog zu einer Sammlung von fiktionalen Texten,
       Poesie, Interviews und Illustrationen. Mittlerweile ist die zweite Ausgabe
       in Buchläden erhältlich, Ende November wurde es auch im Goethe-Institut in
       Delhi vorgestellt.
       
       ## Frei nach Toni Morrison
       
       „Das Gaysi Zine ist ein kleiner Schritt, die Queer-Literaturlandschaft in
       unserem Land umzugestalten und eine kleine Geschichte von uns selbst zu
       schreiben“, heißt es im Vorwort, frei nach Literaturnobelpreisträgerin Toni
       Morrison: Wenn es ein Buch gibt, das du gern lesen willst, das aber noch
       nicht geschrieben wurde, schreib es selbst.
       
       Dass das Magazin 130 Rupien (etwa 1,50 Euro) kostet und auf Englisch
       erscheint, wird in indischen Zeitungen und Blogs allerdings kritisch
       diskutiert. Weite Teile der Bevölkerung erreicht das Gaysi Zine also gar
       nicht, Homo- und Transsexuelle außerhalb der urbanen Mittel- und
       Oberschicht bleiben ausgeschlossen. Das soll sich aber ändern: Die nächste
       Ausgabe des zweimal jährlich erscheinenden Magazins soll verstärkt
       Queer-Stimmen aus den provinzielleren, kleinstädtischen Teilen Indiens
       repräsentieren.
       
       Denn das Gaysi Zine soll möglichst vielen Indern zugänglich sein,
       schließlich hat es einen impliziten Bildungsauftrag. „Es gibt da eine
       gewisse Engstirnigkeit, von der die konservative indische Seele besessen
       ist“, erklärte Pryia Gangwani der Hindustan Times, „die versuchen wir
       einzufangen. Aber es geht nur darum, Erfahrungen zu teilen, wir sind keine
       Aktivisten.“
       
       Das heißt nicht, dass es keine Seitenhiebe und satirischen Pointen gegen
       das radikalkonservative Lager gäbe. So ist ein Auszug aus dem noch nicht
       erschienenen Buch „Gaysia“ von Benjamin Law abgedruckt, in dem der Autor
       einen Yogakurs bei „Babaji“ besucht, der ihn von seiner Homosexualität
       „heilen“ soll – gemeint ist der Guru Baba Ramdev, der zu den führenden
       Konservativen zählte, die vor dem Supreme Court gegen die Legalisierung von
       Homosexualität geklagt hatten.
       
       ## Yoga gegen Homosexualität
       
       Baba Ramdev hält Homosexualität für eine Krankheit, die er durch Yoga und
       Meditation innerhalb von nur sechs Monaten heilen könne. Benjamin Law
       beschreibt „Babaji“ als „lächerlich reichen“ Asketen, der im Besitz eines
       25 Millionen Dollar schweren Imperiums von Yoga-Camps, Ayurveda-Drogen und
       Fruchtsäften sei. Seine Heilungskurse erinnern Law mal an die Hitlerjugend,
       mal an ein U2-Konzert, bei dem der Guru wie Bono auf riesigen Leinwänden
       erscheint.
       
       Im Gaysi Zine kommen auch Autoren zu Wort, die sich in Indien bereits einen
       Namen gemacht haben, zum Beispiel die lesbische Schriftstellerin Parvati
       Sharma, die in ihrer Kurzgeschichte „Family Planning“ zwei Frauen über ihre
       Hochzeit sprechen lässt. Sie erschafft einen imaginären Raum, in dem
       patriarchale Normen fragwürdig und gleichgeschlechtliche Ehen über
       Kastengrenzen hinweg möglich werden.
       
       Mashuq Deen, ein südasiatisch-amerikanischer Dramatiker und Transsexueller,
       beschreibt in „A letter to my cock“ das kompliziertes Verhältnis zu seinem
       Penis. „Es gab Jahre, da wollte ich kein Mann mit einem Schwanz sein, denn
       Männer mit Schwänzen vergewaltigten Leute, die ich kannte“, so Deen, der
       schließlich einsehen muss, „dass ich immer einen Schwanz hatte, einen, der
       sich wie amputiert anfühlte, unsichtbar“.
       
       Es ist diese imaginative, subversive und satirische Kraft, die in den
       Texten des Magazins und unter den Demonstrierenden Delhis pulsiert, eine
       Kraft, die die Zukunft des Landes nicht der Engstirnigkeit
       Radikalkonservativer wie Baba Ramdev überlassen will.
       
       17 Jan 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://gaysifamily.com/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Thorsten Glotzmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Indien
 (DIR) Magazin
 (DIR) Queer
 (DIR) Schwerpunkt LGBTQIA
 (DIR) Indien
 (DIR) Schwerpunkt LGBTQIA
 (DIR) Indien
 (DIR) Indien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Gerichtsurteil zu Homosexualität in Indien: Das Ende der Angst
       
       Das Oberste Gericht in Indien legalisiert nach über hundert Jahren
       gleichgeschlechtliche Handlungen. Es ist ein bahnbrechendes Urteil.
       
 (DIR) Oberstes Gericht in Indien: Homosexualität ist nicht mehr strafbar
       
       Das Oberste Gericht in Indien hat entschieden, dass gleichgeschlechtliche
       Handlungen künftig keine Straftat mehr sind – nach 157 Jahren.
       
 (DIR) Drittes Geschlecht in Indien: Transgender gesetzlich anerkannt
       
       In Indien können sich Menschen künftig offiziell als transgender ausweisen.
       Transgender-Gemeinschaften sollen wie auch niedere Kasten staatliche Hilfen
       erhalten.
       
 (DIR) Homosexualität in Indien wieder strafbar: Zurück in die Kolonialzeit
       
       Homosexualität steht in Indien nun wieder unter Strafe – das Oberste
       Gericht hat ein uraltes Gesetz wiederbelebt. Menschenrechtler sind
       überrascht und entsetzt.
       
 (DIR) Neues Schwulen-Magazin "Horst": Glieder, die die Welt braucht
       
       Mit mutigen Bildern und einem zeitgemäßen Layout buhlt "Horst" um Schwule,
       denen die Zentralorgane der Szene zu spießig sind. Doch es fehlt an
       progressiven Inhalten.
       
 (DIR) Huffington-Post-Ableger "Gay Voices": Mehr als nur Cha Cha Cha
       
       Die "Huffington Post" startet "Gay Voices" als einen von mehreren
       Special-Interest-Ablegern – nicht zuletzt für mehr Leserbindung und bessere
       Anzeigenvermarktung.
       
 (DIR) Homosexualität in Indien: Die Lust an der Provokation
       
       Obwohl in Indien immer wieder religiöse Fanatiker gegen jegliche Form von
       Modernisierung wüten, behauptet sich schwullesbisches Leben immer mehr. Man
       sieht das an Menschen wie R Raj Rao.
       
 (DIR) "Siegessäule" wird 25 Jahre alt: Das gemachte Bett
       
       Aus der Schwulenzeitschrift "Siegessäule" ist in 25 Jahren ein auch von
       Heteros gelesenes, professionelles Heft für das queere Berliner Leben
       geworden. Eine Liebeserklärung zum Jubiläum.