# taz.de -- "Siegessäule" wird 25 Jahre alt: Das gemachte Bett
       
       > Aus der Schwulenzeitschrift "Siegessäule" ist in 25 Jahren ein auch von
       > Heteros gelesenes, professionelles Heft für das queere Berliner Leben
       > geworden. Eine Liebeserklärung zum Jubiläum.
       
 (IMG) Bild: Happy Birthday: Die Schwulenzeitschrift "Siegessäule" wird 25 Jahre alt.
       
       BERLIN taz Über eine Zeitschrift, die bei mir zu Hause entweder neben dem
       Bett oder im Badezimmer liegt, kann ich nur sehr persönlich schreiben. Die
       Siegessäule - Untertitel "queer Berlin" - ist mir ein intimer Begleiter -
       und zugleich die monatliche Fachpublikation für gleichgeschlechtliche
       Lebensweisen schlechthin, die größte ihrer Art in Deutschland.
       
       Gegründet wurde sie im Orwell-Jahr 1984 von mutigen Männern der Bewegung:
       16 Seiten für eine Mark; in einer Auflage von gerade mal 1.000 Stück. Im
       Orwell-Jahr war ich elf und lebte in einer Eifel-Kleinstadt. Dass es eine
       Zeitschrift von und für Schwule namens Siegessäule in Berlin gibt, konnte
       ich nicht wissen, ahnte aber seinerzeit durchaus, dass der zur gleichen
       Zeit erscheinende erste Spiegel-Titel zum Thema Aids - mit einem Foto von
       zwei Männern, die sich in mutueller Masturbation übten - eventuell
       irgendetwas mit mir zu tun haben könnte. Aber nur eventuell, denn wer
       möchte schon sterben, bloß weil er Sex hat. Doch während ich ohne Internet
       vor mich hin pubertierte und mich mit dem stets gleichen Rat von Dr. Sommer
       tröstete, dass dies alles "nur eine Phase" sei, hatten die "bekennenden
       Homosexuellen" bedingt durch Aids schlimmste Zeiten vor sich.
       
       Dr. Sommers "Phase" dauert bei mir jedenfalls bis heute an, und die
       Siegessäule war und ist immer mit dabei. Als ich Mitte der Neunziger in
       Berlin aufschlug, baute ich erst mal einen Unfall im Kreisverkehr rund um
       die wahrhaftige Siegessäule und hatte auch ansonsten von Tu(n)ten und
       Blasen keine Ahnung, weshalb mir die Siegessäule gerade recht kam. Heimlich
       zunächst entführte ich die überall in Cafés und Kneipen offen ausliegende
       Zeitschrift in die verklemmte Dunkelheit meines Heims, um darin zu
       blättern. Im Spiegel erschien zu jener Zeit ein Artikel über die Entdeckung
       der "Dreifachkombinationsprophylaxe" - das große Aids-Sterben war vorbei.
       Stattdessen wurde es in den Neunzigern plötzlich cool, schwul zu sein,
       weshalb mein Coming-out zunächst von Misstrauen begleitet war - ich, nur
       ein Trend-Gay?
       
       Es war die Siegessäule, die mich zu einer ersten lebensweltlichen Erkundung
       des dunklen Schattenreichs der Homosexuellen ermutigte. Zum einen durch die
       Woche für Woche aufgelisteten Veranstaltungen und Lokalitäten, zum anderen
       durch den redaktionellen Teil - mit einem Artikel über Darkrooms: "Das
       Kennenlernen anderer Menschen ohne herkömmliche Kommunikation kann eine
       Bereicherung sein." Meinen Lebensgefährten habe ich übrigens auch nicht in
       der Oper kennengelernt.
       
       Die Siegessäule hat sich im Laufe unseres gemeinsamen Wegs stetig
       verändert, wie ich auch, denn das "Coming-out" ist ein lebenslanger
       Prozess. Die Siegessäule war mal schwul, dann wurde sie schwullesbisch und
       heute ist sie queer. Über die Jahre wurde sie immer bunter, kleinteiliger
       und professioneller, während sich die Berliner Szene ausdifferenzierte und
       öffnete. Längst wird die Siegessäule auch von Heteros gelesen.
       
       Schwul ist heutzutage dennoch nicht mehr ganz so cool, und wenn ich die
       Siegessäule in der U-Bahn lese, achte ich in manchen Situationen darauf,
       dass man den Titel nicht sieht, damit ich nicht angepöbelt oder attackiert
       werde. Schwule sind in den letzten Jahren im Rahmen ihrer Emanzipation
       sichtbarer geworden - was sie gleichzeitig angreifbarer macht.
       
       Als ich 2007 meine erste Titelgeschichte für die Siegessäule geschrieben
       habe, war ich darauf sehr stolz. An die Stelle von Angst, Unsicherheit und
       Verklemmtheit waren längst Mut, Zuversicht und Selbstvertrauen getreten.
       
       Für mich und einen großen Teil der Berliner Schwulen und Lesben ist die
       Siegessäule das Special-Interest-Organ einer großen "Familie", zu der man
       gehört. Was - wie in Familien so üblich - nicht immer leicht ist. So ist es
       zum Beispiel schwierig, den Überblick zu behalten, wer bei den mutigen
       Männern der Bewegung, die Aids überlebt haben, warum nicht mehr mit wem
       spricht. Respekt gebührt ihnen allen und Dank für das gemachte Bett, in dem
       sich wir Jüngeren nun räkeln können. Die "Bewegung" ist heute, wenn es
       überhaupt noch eine gibt, eine andere, so wie die Siegessäule heute eine
       andere Zeitschrift ist als vor 25 Jahren. Nicht mehr das Sprachrohr einer
       hochpolitisierten Bewegung, sondern ein anzeigenfinanziertes, zum
       Jackwerth-Verlag gehörendes Monatsmagazin, das versuchen muss, die ganze
       Bandbreite der Schwulen und Lesben anzusprechen, vom Friseur bis zur
       Professorin für Gender-Studies - so wie die nachgewachsenen
       schwullesbischen Stadtmagazine von Hinnerk bis Box auch.
       
       Die Siegessäule bleibt jedoch trotz aller Veränderungen ein Teil der
       Bewegung und ihrer Geschichte. Und sie bleibt weiterhin wichtig,
       insbesondere für all die nachrückenden jungen Familienmitglieder, die erst
       herausfinden müssen, was es für sie bedeutet, schwul, lesbisch oder queer
       zu sein. Ganz egal, ob sie das nun im Darkroom ausprobieren wollen oder
       nicht.
       
       28 Mar 2009
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Reichert
       
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