# taz.de -- Bremer Fotografin über Kambodscha: „Alles, was ich erwartet habe, war falsch“
       
       > Doris Böttcher kam als Bibliothekarin über einen
       > Senioren-Experten-Service nach Phnom Penh und kehrt als Fotografin nach
       > Bremen zurück. Jetzt bereitet sie eine Ausstellung über Kambodscha vor.
       
 (IMG) Bild: Nicht in der Ausstellung: Bilder von den aktuellen Unruhen
       
       taz: Frau Böttcher, Sie wollen Phnom Penh demnächst wieder verlassen? 
       
       Doris Böttcher: Ich gehe davon aus, dass ich mich nach neun Jahren jetzt so
       allmählich aus dem Land schleiche – ganz unabhängig von der politischen
       Situation.
       
       Was hatte Sie überhaupt dorthin verschlagen? 
       
       Ich bin immer viel gereist, gerade im asiatischen Raum. Und als ich in den
       Ruhestand kam, hatte ich das Bedürfnis, in einem der Länder, die ich
       bereist hatte, mal länger zu bleiben.
       
       Sie waren in Bremen als Bibliothekarin tätig gewesen … 
       
       Ja, in der Stadtbücherei. Und der Senioren-Experten-Service hat mich in die
       Nationalbibliothek hier in Phnom Penh vermittelt, in eine ehrenamtliche
       Stelle.
       
       Mittlerweile arbeiten Sie als freie Fotografin und betreiben eine Galerie,
       sind also richtig heimisch geworden … 
       
       Ich sehe mich schon noch als eine Fremde in einer anderen Kultur. Man wird
       zwar höflich in aufgenommen, etwa wenn man zusammen arbeitet …
       
       … aber? 
       
       Es bleiben Vorbehalte. Als ich kürzlich noch einmal in der
       Nationalbibliothek war, habe ich mit einem Khmer gesprochen, mit dem ich da
       gearbeitet hatte: „Na, wie geht’s denn so?“, und er: „Jetzt bin ich mein
       eigener Boss“ – auch um zu betonen, er braucht niemanden vom Ausland, der
       ihm sagt, wo’s langgeht.
       
       Es klingt trotzdem ganz schön schroff … 
       
       Ich habe mich noch nie so deutsch gefühlt wie da. Meine ganze
       Herangehensweise, alles was ich erwartet habe, war vollkommen falsch.
       
       Falsch? 
       
       Ja, vollkommen falsch. Mir war nicht bewusst gewesen, dass die Schulbildung
       hier sehr gering ist, und die Büroarbeit einen anderen Stellenwert hat,
       einfach, weil der Gedanke viel wichtiger ist, wie bekomme ich heute Abend
       etwas zu essen auf den Tisch? Die Mehrheit der Bevölkerung muss hier noch
       immer zusehen, dass sie überhaupt überleben kann.
       
       Diesem fremden Alltag haben Sie sich fotografisch genähert? 
       
       Ich habe mich immer geweigert, die Armut zu fotografieren: Die Menschen
       hier sind sehr stolz. Sie zeigen ihre Armut nicht, auch wenn sie groß ist.
       Aber Alltag, das stimmt: Die Ausstellung, die ich für die Bremer
       Stadtbibliothek vorbereitet habe, wird deshalb „Impressionen mit dem Blick
       einer Europäerin“ heißen. Denn es ist ja ein europäischer Blick, etwas
       zeigen zu wollen, was hier normal ist.
       
       Also keine Bilder von den aktuellen Unruhen? 
       
       Die fotografiere ich auch – aber die würden in diese Ausstellung nicht
       passen: Für die politischen Bilder suche ich noch nach einer Möglichkeit,
       sie zu zeigen. Die Ausstellung in der Bücherei soll Teile des Landes
       zeigen, die ich während meiner Zeit hier kennengelernt habe.
       
       Sprich: Es sind Landschaftsaufnahmen? 
       
       Man kann Landschaft und Menschen nicht voneinander trennen: Drei Viertel
       der Menschen leben in Kambodscha auf dem Land. Und die Landbevölkerung ist
       geprägt durch die zwei Jahreszeiten, die Regenzeit und die Trockenzeit.
       Davon hängt ja alles ab – und vor allem, wie der Reis gelingt, also ob man
       zu essen hat, und natürlich die Fischerei …
       
       Die ist auch von den Jahreszeiten geprägt? 
       
       Natürlich: Wenn es zu viel regnet ist der Wasserstand zu hoch und die
       Strömung der Flüsse zu stark, um rauszufahren. Und wenn die austrocknen,
       lässt sich auch nichts mehr drin fangen.
       
       Und wie bricht in diese rurale Gesellschaft dann plötzlich das Politische
       ein? 
       
       Das hängt zusammen mit der Landverteilung: Letztlich teilen die Clans vom
       Ministerpräsidenten Hun Sen und seiner Volkspartei das Land unter sich auf.
       
       So ganz willkürlich? 
       
       Ohne jede Rechtsprechung: Die Kataster werden überarbeitet und dabei wird
       es einfach abgezweigt, sodass oft die Menschen in den Dörfern nicht mehr
       genügend Fläche haben, um ihren Reis anzubauen.
       
       Was passiert mit den Feldern? 
       
       Darauf entstehen Großplantagen, beispielsweise für Bananen, oder in den
       Bergen und in den Waldgebieten wird alles abgeholzt, sodass ganze
       Landstriche schon völlig kahl sind und sich das lokale Klima ändert. Das
       hat zu einer großen Unzufriedenheit geführt auf dem Land. Und in der Stadt
       ist es die Jugend: Wer nicht aus der herrschenden Großfamilie kommt, der
       kann noch so viel studieren und einen noch so guten Abschluss gemacht haben
       – der bekommt einfach keine Arbeit. Und bei den Wahlen …
       
       … vergangenen Juli … 
       
       … da gab es so viele Ungereimtheiten wie nie zuvor.
       
       Was für Ungereimtheiten? 
       
       Zum Beispiel: Da war ein Dorf von 200 Leuten, in dem 400 Stimmen abgegeben
       worden sein sollen. Oder: Es haben Leute festgestellt, dass sie an zwei
       Orten als Wähler registriert sind. Oder: Andere kamen ins Wahllokal – und
       erfuhren, sie hätten bereits gewählt.
       
       Und die Regierungspartei triumphierte? 
       
       Eben nicht. Trotz der Wahlfälschungen hat die Opposition fast die Hälfte
       der Sitze gewonnen, das war auch für uns Ausländer eine große Überraschung.
       Deshalb war die Forderung der großen Demonstrationen der
       Oppositionsanhänger zuerst eine Überprüfung der Wahl …
       
       Das war im Dezember aber auch etwas spät, oder? 
       
       Es wird doch schon viel länger demonstriert! Das Ausland registriert das ja
       erst, seit sich die Textilarbeiterinnen dem Protest angeschlossen haben.
       Die erste von den Großdemos war aber schon Anfang September. Als die
       angekündigt war, war Phnom Penh ein Heerlager: Stacheldraht überall,
       Soldaten in der gesamten Stadt, alle Straßen abgesperrt und Panzer geparkt
       in Tempelanlagen.
       
       War das bei mehreren Demonstrationen so? 
       
       Das ging bis November dreimal so. Aus ganz Kambodscha kamen Tausende
       Menschen aus allen Provinzen. Das war so eine richtige Aufbruchsstimmung.
       Und dann kam dieser andere Zweig dazu, die Textilarbeiterinnen, die
       gewerkschaftlich gut organisiert sind, aber, weil die Fabriken eher am
       Stadtrand liegen, etwas isoliert.
       
       Wie kamen die zusammen? 
       
       Das war, als im November Soldaten eine unbeteiligte Frau – bei einem Streik
       – auf offener Straße erschossen hatten. Das ging wie ein Aufschrei durch
       die Bevölkerung – und da hat sich dann die Oppositionspartei mit den
       Textilarbeiterinnen zusammengeschlossen. Danach kam dann Ende Dezember die
       letzte große Demonstration, mit 50.000 Menschen. Mitten in der Stadt, im
       Friedenspark haben die Leute übernachtet. Ich habe da mit einer Bäuerin
       gesprochen, sie war am Vortag angekommen. Sie sagte: „Heute gehe ich
       demonstrieren, und morgen fahre ich wieder nach Hause zurück und ernte
       meinen Reis zu Ende.“
       
       Ändert sich durch den Protest das Verhalten der Menschen? 
       
       Wenn man vorher über Politik gesprochen hatte, war Schweigen die Antwort.
       Man hatte Angst. Jetzt fingen auf einmal die Nachbarn an, über die
       Demonstrationen zu sprechen, und sie zu unterstützen, auch wenn sie nicht
       hingehen konnten. Und überall wurden die Bilder über Facebook geteilt, die
       Bilder vom Aufstand.
       
       Für Sie muss sich dadurch der Blick aufs Land geändert haben? 
       
       Ich fand gut, dass die Menschen hier für ihre Interessen auf die Straßen
       gegangen sind. Wenn ich dann Fotos gemacht habe, waren das vor allem
       Detailaufnahmen von Menschen. Denn da ist so ein Strahlen in ihren Gesicht
       gewesen. Und als das dann von heute auf morgen vorbei war, bin ich wieder
       hin und habe die Militärpolizei fotografiert.
       
       Die wirkt erdrückend! 
       
       Was mich sehr bewegt, ist diese Unmenschlichkeit dieser Regierung. Sie
       interessiert sich nicht dafür, ob die Leute auf dem Land genügend zu essen
       haben, um zu überleben. Und die Brutalität, mit der sie diesen Protest hier
       niedergeschlagen hat: Leute, denen im Davonlaufen in die Beine geschossen
       wurde, Familien, die wochenlang nicht erfahren, wo ihre Angehörigen
       gefangengehalten werden. Inzwischen kursieren Bilder davon, wie Tote und
       Verletzte einfach weggeschleppt wurden. Es gab viele Szenen, bei denen
       viele Kambodschaner an die Pol-Pot-Zeit erinnert wurden.
       
       Und jetzt? 
       
       Das ist die große Frage: Nach den tödlichen Schüssen aus Militärgewehren
       wurde ein allgemeines Versammlungsverbot ausgesprochen. Aber es hat sich
       gezeigt, dass die Menschen sich nicht mehr einschüchtern lassen. Am
       Dienstag, ...
       
       … also am 14. Januar … 
       
       … da wurden die beiden Oppositionsführer zum Gericht bestellt – und da
       kamen tausende Demonstranten zum Gerichtsgebäude. So haben sie de facto das
       Versammlungsverbot wieder aufgehoben.
       
       19 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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