# taz.de -- Die Wahrheit: Nie wieder Lied!
       
       > Kein Scherz! Für den nächsten Bundesparteitag der Linken gibt es einen
       > Antrag, „Die Internationale“ nicht mehr zu singen.
       
 (IMG) Bild: In China wird „Die Internationale“ noch vorbildlich intoniert
       
       Eine markante Zäsur in der Geschichte der sozialistischen Bewegung
       verspricht der 4. Bundesparteitag der Linken am 15. Februar 2014 in Hamburg
       zu setzen. Hoffnung darauf weckt der jetzt bekannt gewordene Antrag „P.6“,
       verfasst von Horst Schmitt aus Detmold. Denn der Delegierte des
       Kreisverbands Lippe empfiehlt darin tatsächlich der Partei, die „Aussetzung
       der akustischen oder gesanglich musikalischen Intonierung des Liedes ’Die
       Internationale‘“ – am besten für immer: Nie wieder Lied!
       
       Schmitt nämlich hat entdeckt, dass die Melodie der „Internationalen“ ein
       verbrämtes Symbol des Kapitalismus ist. Wie dieser, so ist auch das alte
       Liedgut „militaristisch, gewalt- und kriegsverherrlichend“. Und unterlässt
       die Linke nicht künftig die gesangliche Intonierung dieses problematischen
       Heiligtums, wäre „der Schritt nicht weit, generell Militäreinsätze zu
       akzeptieren. Die Aussage in unserem Parteiprogramm, dass wir eine
       Friedenspartei sind, wäre dann nur eine Farce.“ (Orthografie und
       Interpunktion des Antragstextes wurden stillschweigend den Regeln
       angepasst, Anm. d. Red.)
       
       Es geht also um nichts Geringeres als die Identität der Partei. Und
       Schmitt, einst im Kulturausschuss der Stadt Detmold als stellvertretend
       sachkundiger Bürger aktiv, hat diesen Vorstoß nicht aus einer bloßen Laune
       heraus unternommen. Und es handelt sich nicht um einen Scherz! Das erhellt
       seine auf den Seiten 34 bis 35 des offiziellen Antragshefts niedergelegte
       musiksoziologische Analyse. „Musik“, das ist das Basistheorem, „ist und
       wirkt IMMER auch politisch“. Zudem sei sie „der unverwechselbare
       Fingerprint eines jeden Liedes“.
       
       Daraus ergibt sich: Bei „Liedern, Text mit Musik, beträgt der politische
       Anteil allein durch die Musik immer mindestens 50 Prozent“, ja sie zeigt
       sich als eigentlicher Träger der politischen Botschaft: „Texte von Liedern
       sind nur … ergänzende Elemente, unabhängig vom Inhalt“, so Schmitt. Umso
       wichtiger also, ein Kriterium zu entwickeln, anhand dessen die Tendenz
       dieses „unverwechselbaren Fingerprints“ zu bestimmen ist.
       
       ## Rechts gleich rhythmisch
       
       Und Schmitt hat dieses Kriterium gefunden: „Musik“, erläutert er,
       „unterteilt sich politisch in 3 Richtungen, [die] der linken Musik, des
       Mainstream und der rechten Musik.“ Dabei sei „Charakter linkspolitischer
       Musik … der melodisch bis stark melodische Bereich. Den Mainstream oder
       neutrale Musik kennzeichnen eine Mischung aus beiden, und rechtspolitische
       Musik ist stark rhythmisch bis monoton rhythmisch.“
       
       So weit, so klar, so überzeugend. Allerdings empfiehlt Schmitt, genau
       hinzuhören. Zwar ist es im Falle der Militärmusik offenkundig, dass hier
       der blanke Faschismus und seine Vormarschierer klingen. Und auch „die
       Musikrichtung Techno“ ist in dieser Hinsicht erfreulich verräterisch: Ihre
       „technologische Zählweise 01 01 01 01 …“ ist in ihrer Monotonie bloß „eine
       moderne Interpretationsform des Militarismus“, weshalb auch „die Besucher
       von sogenannten Techno-Loveparades vorwiegend aus dem konservativen bis
       rechtspolitischen Spektrum kommen“, wie Schmitt beobachtet haben will:
       „Nicht ohne Grund haben“, erläutert er, „auch Rechte Gruppierungen in
       Duisburg nach dem katastrophalen Vorfall mit 21 Toten für die Abwahl des
       Oberbürgermeisters plädiert.“
       
       Doch mitunter drohen Verwechslungen. Als besonders infames Beispiel zitiert
       Schmitt die Vortäuschung von Melodik im Volkslied „Hoch auf dem Gelben
       Wagen“. Das wurde „seinerzeit von dem ehemaligen Bundespräsidenten Scheel,
       Angehöriger der FDP, gesungen.“ Wer die einschlägigen Aufnahmen kennt,
       ahnte schon immer, dass hier von einer harmlosen Entgleisung nicht die Rede
       sein kann.
       
       ## „Kriegseuphorische Gewaltbereitschaft“
       
       Schmitt deckt nun endlich auf, warum: „Dieses Lied wurde gezielt
       eingesetzt, da es mit einem unbedeutenden Text, aber von der musikalischen
       Grundintention monoton rhythmisch, damit militaristisch,
       kriegsverherrlichend und Symbol der Nationalisten wie Rechten ist, um
       rechtspolitische Wählerschichten verdeckt anzuspielen und zu gewinnen.“
       Denn: „Musik ist immer das politisch psychologische Einwirken auf Massen.“
       
       Hier nun finden wir auch zurück zur fortwährenden Intonierung der
       „Internationale“. Endlich lässt sich die historische Schuld ermessen, die
       linke Parteien durch dieses Praxis auf sich geladen haben. Denn sie erzeugt
       genau jene „kriegseuphorische Gewaltbereitschaft“, die dazu führte, „dass
       die Sozialdemokraten 1914 enthusiastisch mit in den 1. Weltkrieg eingezogen
       sind“.
       
       Exakt 100 Jahre später hat, dank Horst Schmitt aus Detmold wenigstens die
       Linke die Gelegenheit, mit dieser verhängnisvollen Tradition zu brechen.
       Mit einem mutigen Beschluss kann der Parteitag nun die bislang „mangelhafte
       und kritiklose Auseinandersetzung mit dem Kulturprodukt Musik“ beenden und
       Pierre Degeyters unselige Melodie zum Verstummen bringen, die seit 1888 die
       Proletarier aller Länder auf Abwege führt.
       
       20 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Benno Schirrmeister
 (DIR) Benno Schirrmeister
       
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