# taz.de -- Festival Club Transmediale Berlin: Zwischen Ekstase und Exaktheit
       
       > Black Manual, die Kollaboration von Jan St. Werner mit drei
       > brasilianischen Trommlern, lässt Candomblé-Elemente auf elektroakustische
       > Musik prallen.
       
 (IMG) Bild: Der helle Wahnsinn: Black Manual live in Paris, Oktober 2013.
       
       Prasseln, Fiepen, Zwitschern, den Ton halten. Den elektronisch erzeugten
       Ton extrem lang halten. Ihn auch halten, wenn er abzuschmieren droht. Dann
       stürzt der Ton schließlich doch ab, mit einem infernalischen Wumms. Das
       war’s jetzt, denkt man. Aber nein, der Ton beschreitet eine weitere
       Sinuskurve, baut sich mit der gleichen Intensität wieder auf.
       
       Ein Höllenlärm, diesmal entfesselt von Fasstrommeln, die normalerweise bei
       den synkretistischen Zeremonien des brasilianischen Candomblé zum Einsatz
       kommen, durchkreuzt ihn schließlich und bringt ihn zum Schweigen.
       
       Wuchtige Schläge sind das, mit langem Nachhall, in raffinierten Clustern
       gespielt. Candomblé-Trommeln sollen Wesenheiten sein, mit magischen und
       okkulten Anteilen. Man glaubt diese Gemengelage nun zu hören. Allerdings
       dürfen ihre sakralen Klangmuster nicht einfach in einem weltlichen Kontext
       genutzt werden.
       
       Ist das also nur ein fernes Echo, das hier erklingt? Fiebriger Lärm,
       unheimliche Stille. Göttliche Unordnung aus digitalen Soundschlieren,
       Sample-Fetzen und aufgaloppierender Percussion: Auf dem Album „Mordendo“
       von Black Manual bricht sich all das Bahn, als stetes Aufbäumen von Musik
       und Geräuschen, als basale Formation von Rhythmusfiguren, mystischen
       Anmutungen und Performance-Elementen. Ein reinigendes Klanggewitter, das
       man in dieser Konstellation garantiert noch nicht gehört hat.
       
       ## Routinen sabotieren
       
       „Man spielt auch mal gegeneinander“, räumt Jan St. Werner ein, der Black
       Manual zusammen mit den brasilianischen Musikern Valdir Vieira dos Santos,
       Juninho Ronaldo Ales da Silva und Leandro Antonio da Silva ins Leben
       gerufen hat. Bei den Aufnahmen sei es auch darum gegangen, Routinen der
       Kollaboration zu sabotieren. Zur Einstimmung hat St. Werner den
       brasilianischen Kollegen eine Aufnahme des griechischen Komponisten Iannis
       Xenakis gegeben. Zu dessen Stück „Polytope de Cluny Docu“ entschlossen sich
       die Brasilianer die Töne exakt nachzusingen und dann auf diesem
       Gesangsmuster zu improvisieren.
       
       Im Transitraum, irgendwo zwischen Exaktheit und Ekstase, liegt auch das
       Geheimnis von Black Manual begründet. Wer wann welche Rolle einnimmt,
       bleibt offen. Juninho da Silva erläutert die Arbeitsweise. „Wir bestimmen
       das Tempo immer selbst. Nachdem wir die Töne von Jan St. Werner entziffert
       haben, bauen wir einen Rhythmus. Wenn er komplett ist, entsteht Ekstase,
       von ihr sind wir geleitet, sie gibt uns eine Richtung.“
       
       Wie das klingt: Die Trommeln von Black Manual sprechen zu einem gar nicht
       in erster Linie in ihrer rhythmischen Komplexität, sondern eher in ihrer
       klanglichen Fülle und räumlichen Ausbreitung. Und dann explodieren die
       Sinne. „Vielleicht sind wir ein Künstlerkollektiv und malen ein klangliches
       Bild“, sagt St. Werner.
       
       ## Hirnhälfte ausgeschaltet
       
       Berühmt geworden ist er als eine Hirnhälfte des Elektronik-Duos Mouse on
       Mars. Dieser Pedigree bleibt im Zusammenhang mit Black Manual allerdings
       ausgeschaltet. „Ob jemand Erfahrung hat oder unerfahren ist, zählt beim
       Musikmachen erst mal nicht. Nur in der gemeinsamen Arbeit kann Gleichklang
       entstehen, und der funktioniert dann wie ein Verstärker“, erklärt Valdir
       Vieira dos Santos. Vielleicht liegt es auch an ihren Drumsticks, im
       Candomblé sind sie heilig. „Spiritualität bedeutet mir alles“, erklärt dos
       Santos. „Sie steckt in meiner Musik, sie spendet mir Energie und sie sorgt
       allgemein für menschliche Wärme.“
       
       Wie die anderen beiden Percussionisten stammt er aus Recife, der Hauptstadt
       des Bundesstaats Pernambuco im Norden des Landes. Dort liegt die Wiege der
       reichhaltigen brasilianischen Musikkultur, von dort aus haben Beats wie der
       Frevo oder Maracatu ihren Siegeszug um die Welt begonnen. Wie die Musiker
       im Gespräch erklären, sei Musik in Recife Ausdruck von Freiheit, sie wird
       auch hauptsächlich im Freien gespielt. Wer ist draußen, wer drinnen. Für
       Jan St. Werner kommt die Musik auf „Mordendo“ einem Erkenntnisspiel gleich,
       außen und innen sollen zum Kippen gebracht werden.
       
       Mehrmals im Verlauf des Albums ist ein brasilianischer Schauspieler zu
       hören, zunächst in sonorem Ton sprechend, beschreibt er ausschnittsweise
       eine Candomblé-Zeremonie, und was dabei mit ihm geschieht. Bis er
       urplötzlich besessen scheint, ins „Estado de Santo“, ins Stadium des
       Heiligen gerät und in Zungen spricht.
       
       ## Körper öffnen
       
       „Es war mir wichtig, die Idee des Candomblé zu transzendieren, aber eben
       nicht durch nüchterne Beschreibung, dadurch würde sie ja der Kraft des
       Irrealen beraubt werden. Also übertreiben wir und sagen, die Außenwelt
       gehört mit dazu. Der Raum wird umgestoßen“, erklärt St. Werner. In der
       musikalischen Zusammenarbeit gelingt das auf dem Album „Mordendo“ fast
       durchgehend. Eine dichte Atmosphäre entsteht, Räume werden geöffnet, weil
       die Klangkörper der Trommeln, erweitert um ihr Obertonspektrum, ins
       Schwingen kommen.
       
       Candomblé ist die bekannteste der afrobrasilianischen Naturreligionen.
       Verehrt wird dabei Shango oder Xangô, ein „Orixá“, eine sehr starke
       Personifikation göttlicher Macht. Xangô ist der Gott des Donners, und so
       erklärt sich auch die brachiale Lautstärke auf dem Album, obwohl die
       Trommler versichern, Xangô könne auch leise sein.
       
       Die synkretistische Candomblé-Religion hat auch den Hamburger
       Schriftsteller Hubert Fichte in den Bann gezogen. In den frühen siebziger
       Jahren weilte er in Brasilien und erforschte dort anhand der religiösen
       Praktiken das Heilige im Alltag für seine ethnografische Schrift „Xango“.
       Damals stand das Land unter der Knute einer Militärdiktatur, und Fichte
       interpretierte Candomblé als Befreiung von den elenden Umständen.
       
       ## Anerkannte Religion
       
       Inzwischen ist Candomblé in Brasilien offiziell als Religion anerkannt und
       gilt als Ausdruck des afrobrasilianischen Selbstverständnisses. Die Musiker
       von Black Manual drehen die Perspektive um, wie Leandro da Silva erläutert:
       „Unsere Ahnen kamen ursprünglich aus Afrika und waren dort wichtige
       Personen. Der Legende nach war Xangô ein König der Yoruba, bevor er zum
       Gott wurde. Vielleicht hat Fichte Candomblé mit Armut assoziiert, weil die
       Sklaven mittellos waren, aber die Praktiken unserer Religion waren
       immaterieller Reichtum.“ Candomblé ist eine der wenigen matriarchalischen
       Religionen. Davon war Fichte fasziniert.
       
       Anders als Anfang der Siebziger lebt die afrobrasilianische Diaspora
       inzwischen in der ganzen Welt verteilt und hat auch die Candomblé-Religion
       mitgenommen. Jan St. Werner hat etwa in Berlin zum ersten Mal einer
       Candomblé-Zeremonie beigewohnt und war überwältigt. „Das Geschehen war
       sexuell ungeheuer aufgeladen, es hatte eine Energie, die für mich sehr
       anarchisch ist. Und der Umgang damit war sehr elegant. Musik ist dabei sehr
       wichtig.“
       
       Trommeln stehen im Zentrum der Zeremonie, man sagt ihnen sogar libidinöse
       Kraft nach, und die Trommler erzeugen mit ihnen eine Kreisbewegung.
       Gläubige verbeugen sich vor den Trommeln und schenken ihnen rituelle
       Nahrung. „Frauen und Männer sind dabei von ihren Geschlechterrollen
       befreit. Alles fließt. Es ist eine sehr moderne Gesellschaft, die sich
       archaisch gebärdet. Mir kommt sie vor wie das Raumschiff Enterprise,“ sagt
       St. Werner. „Mordendo“ bedeutet „gebissen werden“, „in etwas hineinbeißen“,
       „ätzend sein“. Der Sound von Black Manual frisst sich durch etwas durch.
       „Wie ein Tier, das vor dir steht, und du weißt, jetzt schnappt es zu.“
       
       24 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Julian Weber
       
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