# taz.de -- Plädoyer im Ruanda-Völkermordprozess: „Es gab kein neutrales Verhalten“
       
       > Das Schlusswort der Vertretung Überlebender im Prozess gegen
       > Exbürgermeister Rwabukombe seziert die Dynamik des ruandischen
       > Völkermordes.
       
 (IMG) Bild: Exhumierte Schädel von Völkermordopfern in Ruanda.
       
       FRANKFURT taz | Mehrmals kämpft Dieter Magsam mit den Tränen, als er als
       Vertreter der Nebenklage im zu Ende gehenden Ruanda-Völkermordprozess in
       Frankfurt sein Plädoyer hält. Der Hamburger Anwalt, der früher selbst in
       Ruanda beim Aufbau des Justizsystems geholfen hat, vertritt im Prozess
       gegen den ruandischen Exbürgermeister Onesphore Rwabukombe wegen
       Völkermordes drei Überlebende. Einer hat ihn gebeten, während des
       Schlussworts die Namen seiner 32 getöteten Angehörigen vorzulesen. Er
       schafft es nicht.
       
       Die Emotionen der Aufarbeitung des ruandischen Genozids liegen im
       holzgetäfelten Gerichtssaal II des Gebäudes E im Frankfurter
       Oberlandesgericht zuweilen dicht unter der Oberfläche - noch dichter
       jedenfalls bei diesem zweiten Schlussplädoyer am 29. Januar als bei dem der
       Bundesanwaltschaft am Vortag.
       
       Magsam gibt sich nicht vorrangig mit der detaillierten Beweiswürdigung ab,
       die die Bundesanwälte ja bereits getätigt haben. Ihm geht es um die
       Einordnung und um die Dimension des Verbrechens.
       
       Die Nebenkläger verspüren „Genugtuung“, sagt Magsam - „mehr aber auch
       nicht. Es geht ihnen nicht um Rache, sondern um eine das Weiterleben
       erleichternde Vergewisserung“.
       
       Dieser Prozess zeige den ruandischen Überlebenden, dass der Völkermord in
       Ruanda „offensichtlich doch nicht als Lösung des Problems der
       Überbevölkerung oder als typisch afrikanischer Stammeskonflikt abgehakt
       wird“ - zwei Lesarten, die 1994 durchaus von deutschen Kommentatoren
       vertreten wurden - sondern dass er „die gesamte Menschheit betrifft“.
       
       ## „Kein 'Nie Wieder' bis zum nächsten Mal“
       
       Die Anklage wirft Onesphore Rwabukombe vor, als Bürgermeister am 11. April
       1994, wenige Tage nach Beginn der landesweiten Ermordung von Tutsi in
       Ruanda durch Armee und Milizen, ein Massaker an Tutsi auf dem
       Kirchengelände von Kiziguro befehligt zu haben, bei dem Hunderte Menschen
       getötet wurden. Seit drei Jahren steht der 59jährige, der seit 2002 als
       Flüchtling in Deutschland lebt, in Frankfurt vor Gericht. Die
       Beweisaufnahme ist abgeschlossen; nach den laufenden Plädoyers soll am 18.
       Februar das Urteil fallen.
       
       Immer wieder gelingen Magsam in seinem Plädoyer prägnante Formulierungen,
       die die Dimension des in Frankfurt verhandelten Geschehens auf den Punkt
       bringen. Völkermord „verhindert jede Relativierung, nach dem Motto: Das ist
       nur passiert, weil...“, sagt Magsam. Es dürfe kein „Nie Wieder bis zum
       nächsten Mal“ geben.
       
       ## Völkermord als „Verbrechen des Gehorsams“
       
       Es gehe um den „niederen Beweggrund der Vernichtung der Kakerlaken in
       Menschengestalt“, sagt Magsam in Zusammenfassung der Ideologie des
       Völkermordes, die die Tutsi Ruandas als auszurottende Schädlinge
       betrachtete. Eine zentrale vor Gericht zu klärende Frage sei angesichts der
       massenhaften Beteileigung der Hutu-Bevölkerung an der Ermordung der Tutsi
       auch der Völkermord als „Verbrechen des Gehorsams“ - das „Aufgehen in der
       Masse, die exkulpiert und höheren Segen gibt, um Hemmschwellen zu
       beseitigen“.
       
       Aber: „Wer sich dorthin“ - zum mit verängstigten Tutsi gefüllten
       Kirchengelände von Kiziguro - „transportieren ließ, wusste, was geschehen
       würde. Es gab kein neutrales Verhalten an dem Tag.“ In Abgrenzung von
       manchen grotesken früheren deutschen Justizdebatten, wobei die bloße
       Anwesenheit eines KZ-Wärters im Vernichtungslager Auschwitz nicht
       ausreiche, um Schuld zu begründen, sagt Magsam: „Rumstehen auf der Rampe
       gab es in Kiziguro nicht.“ Das Kirchengelände von Kiziguro hatte an diesem
       11. April 1994 „nur eine Funktion: Schlachthof.“
       
       ## Die Autorität des Bürgermeisters
       
       Als Bürgermeister, darauf geht Magsam ebenso ausführlich ein wie am Tag
       zuvor die Bundesanwälte, verfügte Rwabukombe über eine „absolute
       Autoritätsstellung“, obwohl er aus seiner Gemeinde geflohen war und mit
       seiner Bevölkerung in ein Flüchtlingslager in einer anderen Gemeinde
       gezogen war. Wenn er in seinem Dienstfahrzeug, auf dem der Name seiner
       Gemeinde stand, zum Massakerort fuhr und dann dort zum Töten aufforderte,
       konnte die Bevölkerung davon ausgehen, dass das Massaker von oben gewollt
       war.
       
       „Dazu braucht es nicht einmal viele Worte“, so Magsam - weder vom
       Bürgermeister an das Volk noch von höheren Stellen an den Bürgermeister:
       „Dem Angeklagten musste nichts gesagt werden, es herrschte ohnehin
       Einvernehmen über die Ziele.“
       
       Magsam skizziert zwei Dimensionen der Organisation des Kirchenmassakers von
       Kiziguro. Die „vertikale Schichtung“ bestand darin, dass Rwabukombe als
       Bürgermeister im Dienstwagen vorfuhr und der Bevölkerung Anweisung zum
       Töten erteilte.
       
       Die „horizontale Schichtung“ bestand darin, dass Armee und die
       Hutu-Jugendmiliz Interahamwe zuvor das Gelände abgesperrt hatten und der
       Bürgermeister der Gemeinde, in der das Massaker stattfand, mit anwesend war
       und mit Rwabukombe zusammenarbeitete - es handelt sich um Jean-Baptiste
       Gatete, der unter anderem deswegen bereits vom Ruanda-Tribunal der UNO zu
       lebenslanger Haft verurteilt worden ist.
       
       ## Die Generation Rwabukombe
       
       Magsam analysiert auch die tiefere Motivationslage der
       Völkermordorganisatoren. Zumeist handele es sich um jene Generation von
       Hutu-Politikern, die bei Ruandas Unabhängigkeit 1962 und der vorherigen
       Abschaffung der Tutsi-Monarchie an die Macht kamen und um Bündnis mit der
       katholischen Kirche Ruanda danach als erzkonservatives Land regierten.
       
       „Diese Generation hatte 1994 viel zu verlieren“, sagt er: „nicht nur Posten
       und Geld, sondern ein ganzes Weltbild.“
       
       Eine Beteiligung der ruandischen Tutsi an der Macht hätte die ganze
       Ideologie, wonach die Hutu die einzigen wahren Ruander seien, ins Wanken
       gebracht - das „ideologische Fundament einer völkischen Politik“, die „den
       demokratischen Begriff der Mehrheit ethnizistisch definiert... Profiteur
       war die Kirche; die Hutu blieben arm, aber sie hatten alleinigne Zugang zu
       Bildung und Verwaltung“. Das sei die Generation von Rwabukombe, die 1994
       ihre Felle davonschwimmen sah.
       
       ## Völkermörder verstecken sich hinter dem Volk
       
       Das Argument der Völkermordleugner, wonach der ruandische Genozid an den
       Tutsi gewissermaßen ein spontanes Aufbäumen der Hutu-Bevölkerungsmehrheit
       war, fasst Magsam entlarvend zusammen: „Wir waren es nicht, das Volk war‘s.
       Man hat zwar tonnenweise Macheten gekauft und verteilt, aber das Volk war
       eigentlich nicht bewaffnet.“
       
       In Deutschland hätten sich die Täter hinter der Führung des Völkermords
       versteckt - in Ruanda verstecke sich die Führung des Völkermords hinter dem
       Volk.
       
       „Völkermord funktioniert aber, egal wo, nur arbeitsteilig, als
       Strukturverbrechen“, erklärt Magsam. „Dabei behindert die kollektive
       Struktur nicht die Feststellung individueller Schuld.“
       
       30 Jan 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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