# taz.de -- Urteil im Ruanda-Völkermordprozess: Ein grenzwertiges Urteil
       
       > Das Frankfurter Gericht verurteilt den ehemaligen ruandischen
       > Bürgermeister Onesphore Rwabukombe wegen „Beihilfe“ zum Völkermord zu 14
       > Jahren.
       
 (IMG) Bild: Der Angeklagte Onesphore Rwabukombe (vorne, sitzend) wartet auf sein Urteil.
       
       FRANKFURT AM MAIN taz | Am pünktlichsten war der Angeklagte. In schwarzem
       Anzug mit schwarzer Weste, als schreite er zur Beerdigung, betrat Onesphore
       Rwabukombe kurz nach 10 Uhr den Gerichtssaal E im Oberlandesgericht
       Frankfurt, um seine Verurteilung wegen Völkermordes in Ruanda
       entgegenzunehmen. Sein Gesicht erstarrte, als der Vorsitzende Richter
       Sagebiel wenige Minuten später verkündete: 14 Jahre, abzüglich sechs
       Monate. Wegen „Beihilfe“ zum Völkermord.
       
       Besonders zufrieden wirkten nach Abschluss der Urteilsbegründung gute zwei
       Stunden später weder die Anklage, die lebenslange Haft beantragt hatte,
       noch die Verteidigung, die auf Freispruch plädierte.
       
       Rwabukombe war angeklagt, als Bürgermeister der ruandischen Gemeinde
       Muvumba mitverantwortlich zu sein für ein Massaker, dem am 11. April 1994
       auf dem Gelände der Kirche von Kiziguro mindestens 400 Tutsi zum Opfer
       fielen, vermutlich weit mehr.
       
       Hutu-Milizionäre, Gendarmen, Polizisten, Soldaten und mit Macheten
       bewaffnete Zivilisten hatten das Kirchengelände umzingelt, als sich nach
       dem Beginn der organisierten landesweiten Massaker an Tutsi in Ruanda in
       der Nacht zum 7. April immer mehr Tutsi dorthin geflüchtet hatten.
       
       Gemeinsam mit dem bereits vom UN-Ruanda-Tribunal deswegen verurteilten
       ehemaligen Bürgermeisterkollegen Jean-Baptiste Gatete und anderen
       Autoritätspersonen habe Rwabukombe an Treffen teilgenommen, auf denen die
       Ermordung dieser Tutsi geplant wurde, bestätigten die Richter das
       Tatgeschehen. Sie wollten diese loswerden, bevor die anrückende
       Tutsi-Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) den Ort erobern würde.
       
       ## „Macht eure Arbeit“
       
       Am 11. April ging Rwabukombe „wie geplant“ mit seinen Kollegen zu dem
       Gelände, und sie „gaben durch ihre bloße Anwesenheit und Worte wie 'Macht
       eure Arbeit' den Gemeindepolizisten zu verstehen, sie sollten anfangen“, so
       der Richter in seiner Urteilsbegründung.
       
       Die bewaffneten Zivilisten umstellten das Gelände. Die Gendarmen gingen in
       den Innenhof. Die Soldaten gingen in die Kirche und trieben die Tutsi auf
       den Hof. Dort wurden erst die Männer vor den Augen der Frauen und Kinder
       getötet, dann auch letztere. Das Massaker dauerte Stunden und wurde auf
       „extrem bestialische Weise“ verübt, so der Richter.
       
       „Nach einiger Zeit stellten die Angreifer fest, dass die Zahl der getöteten
       und noch zu tötenden Tutsi zu hoch war“, so der Richter weiter. Einzelne
       Tutsi mussten dann Leichen zu einem 28 Meter tiefen, trockenen Brunnen
       unweit der Kirche tragen und sie hineinwerfen. Dann tötete man auch sie und
       warf sie hinein. Einige waren da noch am Leben, manche sprangen hinein und
       stellten sich tot und kletterten auf den neuen Leichen nach oben. Sie
       wurden Tage später gerettet, als die RPF Kiziguro eroberte.
       
       ## Vom Wahrheitsgehalt überzeugt
       
       Einige dieser Überlebenden traten in Frankfurt als Zeugen auf in dem
       Verfahren, das im Januar 2011 eröffnet worden war. Ausdrücklich betont der
       Senat, er sei vom Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen überzeugt – die
       Verteidigung hatte das systematisch in Zweifel gezogen, weil ihrer Meinung
       nach Zeugen aus Ruanda vom Staat manipuliert werden können. Das aber, so
       die Richter, könne der Senat „mit einer zur Verurteilung ausreichenden
       Sicherheit ausschließen“.
       
       Es sei auch „kein Interesse der ruandischen Regierung erkennbar“, das
       Verfahren zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen. Der Senat betonte,
       dass die wichtigsten Belastungszeugen – nämlich Überlebende des Massakers –
       gar nicht während der deutschen Ermittlungen in Ruanda, sondern erst
       während der Hauptverhandlung selbst bekanntgeworden und aufgespürt worden
       seien. Hätte Ruandas Staat das Verfahren beeinflussen wollen, dann hätte er
       diese Zeugen sofort den deutschen Ermittlern zugeführt.
       
       ## Verstärkung für die Killer geholt
       
       Nicht ausreichend erwiesen allerdings sehen die Richter den Vorwurf der
       Anklage, Rwabukombe sei in Kiziguro „Mittäter“ gewesen. Es gebe zwar einen
       „ausdrücklichen Befehl des Angeklagten, mit dem Töten zu beginnen“.
       Rwabukombe fuhr auch zwischendurch weg und holte Verstärkung für die
       Killer.
       
       Er erkundigte sich nach dem Stand und half beim Abtransport der Toten. Aber
       „Tatherrschaft“ – im Sinne davon, dass die Milizionäre auf seinen Befehl
       angewiesen waren, um mit dem Morden zu beginnen – das sei nicht
       zweifelsfrei erwiesen. Das Massaker von Kiziguro sei nicht „mittels
       bürokratischen Befehls“ angeordnet worden, sondern es wurde „ein wilder Mob
       aufgehetzter Personen mittels Autoritäten zur Tötung gebracht“. Dass er
       Bürgermeister war, sei nicht wesentlich; es komme auf die „faktische
       Machtstellung an“.
       
       „Der Angeklagte hat persönlich keine Menschen getötet“, stellte der Richter
       außerdem fest. Außerdem sei Rwabukombe zugutezuhalten, dass er später Tutsi
       zur Flucht verhalf, dass er selbst mit seiner Familie bei der Flucht in den
       Kongo schreckliche Dinge erlebte, dass er sich seit seiner Ankunft in
       Deutschland 2002 straffrei verhalten habe.
       
       ## Grenzbereich zur Mittäterschaft erreicht
       
       Aber strafverschärfend sei die Anzahl der Toten und die Grausamkeit des
       Massakers zu werten. „In Kenntnis dieser Umstände trug er weit mehr bei als
       zur Erfüllung der Beihilfe erforderlich“ sei, so Sagebiel abschließend in
       einer kuriosen Pirouette. Es sei der „Grenzbereich zur Mittäterschaft
       erreicht“.
       
       Deswegen entscheidet sich der Senat für 14 Jahre Haft – bei Beihilfe sind
       zwischen 3 und 15 Jahren möglich. Sechs Monate gelten als verbüßt, wegen
       der langen Verfahrensdauer. Die Dauer der Untersuchungshaft, die im Juli
       2010 begann, wird angerechnet. Da bei guter Führung ein Drittel der Strafe
       sowieso erlassen werden kann, könnte Rwabukombe schon Ende 2019 wieder
       draußen sein.
       
       Vorher aber müssen sich alle Parteien überlegen, ob sie das Urteil
       annehmen. Die Verteidigung kündigte noch im Gerichtssaal gegenüber
       Journalisten an, sie werde in Revision gehen. Es sei „auffällig“, dass der
       Senat die allermeisten Belastungszeugen als glaubwürdig werte, die anderen
       aber nicht.
       
       Im Urteil hatte der Senat erklärt, die per Videovernehmung gemachten
       Aussagen von in Ruanda inhaftierten Völkermordtätern in der
       Hauptverhandlung, die Rwabukombe entlastet hatten, seien „unglaubhaft“,
       weil die Zeugen sich offensichtlich untereinander abgesprochen hätten.
       
       ## Revision wird erwogen
       
       Dieter Magsam, Anwalt der als Nebenkläger im Verfahren auftretenden
       Überlebenden von Kiziguro, sagte gegenüber der taz, auch seine Mandanten
       seien am Überlegen, ob sie in Revision gehen wollten. Der Senat habe die
       hervorgehobene Machtposition von Bürgermeistern im damaligen Ruanda auch
       beim Völkermord nicht ausreichend gewürdigt.
       
       Noch am zufriedensten, aber nur in Maßen, zeigten sich die drei
       Bundesanwälte im Gerichtssaal. „Der Senat ist unseren Argumenten gefolgt“,
       lobte Oberstaatsanwalt Christian Ritscher; es sei aber „überhaupt nicht
       angebracht, in Siegesgeheul auszubrechen“. Die Bundesanwaltschaft werde
       „sorgfältig prüfen“, ob sie sich dem Urteil anschließe.
       
       Man sei aber „zufrieden, dass gezeigt wurde, dass die deutsche Justiz in
       der Lage ist, ein solches Strafverfahren rechtsstaatlich durchzuführen und
       einen solchen Sachverhalt zu bewerten“.
       
       18 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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