# taz.de -- Grüne Europawahl-Kampfabstimmung: Zu wenig für den Putsch
       
       > Rebecca Harms musste um ihre dritte Spitzenkandidatur kämpfen. Im Duell
       > mit der 25 Jahre jüngeren Ska Keller gab sie alles – und gewann
       > überraschend klar.
       
 (IMG) Bild: Die eine klatscht, die andere genießt still: Ska Keller (links) und Rebecca Harms
       
       DRESDEN taz | Den wichtigsten Satz hat sich Rebecca Harms bis zum Ende
       ihrer Bewerbungsrede aufgehoben. „Mir ist sehr bewusst, dass ich weit über
       30 bin“, ruft die Anti-Atom-Veteranin den Delegierten in der Dresdener
       Messehalle zu. „Aber ich bin immer noch die Gorleben-Aktivistin und ich
       will immer noch die Welt verändern.“ Da springen die ersten Grünen aus den
       Sitzen. Denn alle wissen, was gemeint ist.
       
       Jung gegen Alt – um nicht viel mehr ging es schließlich im Kern bei dieser
       Kampfkandidatur um Platz eins auf der Europaliste, der die Grünen seit
       Tagen entgegengefiebert hatten. Die 32-jährige Europa-Abgeordnete Ska
       Keller, Gewinnerin der Online-Vorwahl „Green Primary“ und seither grüne
       EU-Spitzenkandidatin, forderte die 25 Jahre ältere Fraktionschefin im
       Europaparlament heraus.
       
       Inhaltliche Unterschiede zwischen Harms und Keller waren kaum auszumachen.
       Je näher die Abstimmung rückte, desto zögerlicher wurden Partei-Promis mit
       Prognosen, welche der beiden Kandidatinnen die Kampfabstimmung für sich
       entscheiden dürfte. Wann hatte es das zuletzt gegeben bei den Grünen?
       
       Der Parteivorstand verständigte sich vorsorglich auf die Formulierung, mit
       allen möglichen Spitzentandems einen großartigen Wahlkampf führen zu
       können. Na, klar. Statt von einem Alt-gegen-Jung-Gefecht war höflich von
       „Erfahrung“ und „Erneuerung“ die Rede.
       
       ## Ein Warnschuss für Bütikofer
       
       Gemessen an so viel Nervenkitzel fiel das Ergebnis überraschend deutlich
       aus: 65 Prozent der Delegierten machten Rebecca Harms nach 2004 und 2009
       ein drittes Mal zur Europa-Spitzenkandidatin, nur 33 Prozent votierten für
       Ska Keller. Ein klares Signal, was sie von dem Online-Experiment halten.
       Ein Warnschuss auch für den Chef der Europäischen Grünen, Reinhard
       Bütikofer, der die Primary vorangetrieben hatte.
       
       Ska Keller, die offiziell Franziska heißt, war 2009 mit dem Wahlkampfslogan
       „Nicht nur Opa für Europa“ ins EU-Parlament eingezogen. Seither spielte sie
       ihre Jugendlichkeit gekonnt als Trumpf aus. Eine kleine, zierliche Person
       mit dunkler Kurzhaarfrisur, gebürtige Brandenburgerin, studierte
       Islamwissenschaftlerin, versiert in sechs Sprachen, verheiratet mit einem
       Finnen, permanent im Pendelverkehr zwischen Straßburg, Brüssel, Berlin,
       ihrem Heimatort Guben und dem Bürgerbüro in Halle. Sie gehört zu jenen
       grünen Nachwuchs-Akademikerinnen, für die Europa auch als Karrieretrampolin
       dient.
       
       Sie wolle David McAllister, den 43 Jahre alten CDU-Spitzenmann für die
       Europawahl, „alt aussehen lassen“, versprach die 32-Jährige in ihrer
       Bewerbungsrede. Doch tatsächlich ließ die 57 Jahre alte gestandene
       Europa-Politikerin Harms ihre Gegenspielerin als blasse Anfängerin
       dastehen. Ska Keller war zwar rhetorisch sicher, aber mitnichten glänzend.
       Zu wenig für den Putsch.
       
       ## Für Harms ging es um sehr viel
       
       Der dritte Listenplatz, auf dem sie schließlich sicher landete, war für Ska
       Keller keine Katastrophe. Bei Rebecca Harms wäre das anders gewesen. Für
       sie ging es am Samstag um sehr, sehr viel. Sie durchlebe „Gefühle wie auf
       der Achterbahn“, sagte Rebecca Harms im Vorfeld der Listenwahl. Sie sei
       schließlich „nicht aus Holz“. Was wäre aus ihrem Fraktionsvorsitz in
       Straßburg geworden bei einer Klatsche in Dresden oder auch einem nur dünnen
       Sieg?
       
       Ihr großes Problem, das war jene verkorkste Online-Urwahl, die der Chef der
       EU-Grünen, Reinhard Bütikofer, in 28 Ländern Europas initiiert hatte.
       Insgesamt ein ziemlicher Flop, denn von den vielen Millionen potenziellen
       Teilnehmern überall in Europa gaben nicht einmal 23.000 ihre Stimme ab.
       
       Und dann gewann bei der Online-Primary eben nicht die grüne europäische
       Spitzenfrau Harms. Auf dem europäischen Platz eins landete mit etwa 2.000
       Stimmen Vorsprung deren jüngere Konkurrentin Keller, gut beim
       Parteinachwuchs vernetzt - und zumindest bei Twitter und Facebook seither
       ein grüner Nachwuchsstar.
       
       Fortan stand die Frage im Raum: Welche Relevanz und Legitimität hat ein
       solches Ergebnis? Konnte man es einfach so wegwischen? Die unterlegene
       Teilnehmerin Harms erwiderte auf diese Frage frostig: „Die Primary hat sich
       selbst weggewischt.“ Die Delegierten gaben ihr am Samstag Recht.
       
       ## Sie kann auch Flüchtlingspolitik
       
       Der Konkurrenzdruck beflügelte Harms, selbst ihre Unterstützer räumten ein,
       sie lange nicht so stark und kämpferisch wie in Dresden erlebt zu haben.
       Sie führte den Delegierten vor, dass sie das Kernthema ihrer Mitbewerberin
       Ska Keller – die Flüchtlingspolitik – ebenso bedienen kann. „Mit jedem
       Flüchtling, der im Mittelmeer stirbt, stirbt auch ein Stück Europa“, rief
       sie in die Messehalle. Was sollte Ska Keller da noch hinzufügen?
       
       Der eigentliche Verlierer dieses Parteitags ist der frühere Grünen-Chef
       Reinhard Bütikofer, 61 Jahre, der sich noch vor kurzem selbst im Spitzenduo
       zur Europawahl sah. Unter Grünen kursieren viele Anekdoten, die sich um die
       Abneigung zwischen Bütikofer und Harms ranken. Eine zuletzt besonders
       beliebte lautete: Er habe mit dem Primary-Experiment gezielt seiner
       Gegenspielerin schaden wollen. Bütikofer hat das stets empört von sich
       gewiesen.
       
       Der durch die Online-Primary entstandene Verjüngungsdruck schadete am Ende
       vor allem Bütikofer selbst. Statt dem 61-jährigen steht auf Platz zwei der
       Liste jetzt sein 44-jähriger Herausforderer Sven Giegold. Der
       Quereinsteiger, ehemals Attac-Aktivist, erst 2008 überhaupt den Grünen
       beigetreten, seit 2009 als Finanzexperte im Europaparlament, holte sich den
       Spitzenplatz mit beachtlichen 91 Prozent der Stimmen.
       
       Einer Kampfkandidatur war Bütikofer durch einen Rückzieher zuvorgekommen.
       Mit schwachen 79 Prozent der Delegiertenstimmen landete er nur noch auf
       Platz vier der Liste, einen Platz hinter der europäischen Online-Siegerin
       Ska Keller.
       
       8 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Astrid Geisler
       
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