# taz.de -- Braunkohletagebau in der Oberlausitz: Die Spinner
       
       > 1.500 Menschen wären von Nochten II betroffen. „Wir wollen nicht
       > weggebaggert werden“, sagen die Gegner. Die Mehrheit schweigt.
       
 (IMG) Bild: 2027 könnte die Braunkohle von Nochten I zu Ende gehen. Die sächsische Landesregierung plant die Erweiterung des Reviers.
       
       NEUSTADT / ROHNE taz | In einer perfekten Welt hätte das junge Paar alles
       richtig gemacht. Mitten im Grünen leben Friederike Böttcher und Adrian
       Rinnert ihren Traum. Stein für Stein, Schaufel für Schaufel verwandeln sie
       die Ruinen einer Spinnerei in ein Heim für sich und ihre Freunde.
       
       Ein 3.000 Quadratmeter großer Traum vom ökologischen Leben, mit recycelter
       Schnuckenwolle und Außenklo. Aber die beiden Endzwanziger leben nicht in
       einer perfekten Welt, sondern in Neustadt/ Spree. Und das ist das Problem.
       
       Hinter den alten Fenstern regnet es. Im Kachelofen knackt Feuerholz, nur
       mühsam verdrängt Wärme die Kälte aus dem Zimmer. Doch Adrian Rinnert
       genügen Wollsocken. Seit dreieinhalb Jahren lebt der 28-Jährige auf dem
       Gelände einer alten Holzwollspinnerei. „Das Land war Befreiung“, sagt er.
       
       Der hochgewachsene Mann ist in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Rinnert
       berichtet von Gewalt an seiner alten Schule, von der aggressiven Stimmung
       auf der Straße. Das Studium der Tiermedizin brach er ab, er wollte weg. Mit
       seiner Lebenspartnerin Friederike Böttcher und einem befreundeten Paar
       kaufte er das verfallene Gelände für 12.500 Euro. Nach und nach zogen sie
       her, nannten ihre neue Heimat doppeldeutig „eine Spinnerei“. Es sollte ein
       Neuanfang sein. Dann kamen die Explosionen.
       
       ## Explodierende Briefkästen
       
       Dreimal jagten Unbekannte im vergangenen Jahr den Briefkasten der Spinnerei
       in die Luft. Schwarzpulver, selbst vom Pfosten blieb wenig übrig. Beim
       dritten Mal, Ende November, zerstörten Unbekannte in derselben Nacht ein
       großes Protestplakat ein paar Kilometer weiter. Damit hatte die
       Bürgerinitiative „Strukturwandel jetzt“ gegen die Bewilligung eines
       weiteren Braunkohletagebaus namens Nochten II protestiert. Rinnert und
       Böttcher sind die Sprecher der Initiative. Jetzt ermittelt der
       Staatsschutz.
       
       Friederike Böttcher kommt ins kühle Zimmer. Unter dem Wollpulli wölbt sich
       ihr Bauch. Die gelernte Lehrerin ist hochschwanger. „Seit der letzten
       Explosion ist ständig einer von uns auf dem Gelände“, sagt sie. Ihr Traum
       vom ökologischen Leben auf dem Land ist in Gefahr. Rinnert sagt: „Wir
       fragten uns: Wie weit würden die gehen?“
       
       Wer „die“ sind, daran gibt es für ihn keinen Zweifel: die lokalen
       Bürgermeister, Behörden und Medien. Prüfer des Landratsamts untersagten im
       Sommer 2013 Veranstaltungen auf dem Spinnerei-Gelände – wegen
       Sicherheitsmängeln. Zudem sollen die neuen Besitzer beim Einzug nicht alle
       Genehmigungen eingeholt haben, seither werden sie hier nur geduldet.
       
       ## 18 Millionen Tonnen Kohle
       
       Hier in der Oberlausitz wird seit fast hundert Jahren Braunkohle abgebaut.
       Ganze Dörfer mussten den Tagebauen weichen. Nochten I liefert seit Ende der
       60er Jahre Braunkohle für das nahe gelegene Kraftwerk Boxberg. Rund 18
       Millionen Tonnen Kohle werden hier jedes Jahr gefördert. Nicht genug, um
       das Kraftwerk mindestens noch bis 2050 mit Rohbraunkohle zu versorgen.
       
       Der schwedische Energiekonzern Vattenfall hat beim Potsdamer Professor
       Georg Erdmann ein Gutachten bestellt, das den beabsichtigten Weiterfraß des
       Tagebaus nach Norden rechtfertigen soll. Ja, sagt Erdmann, Kohle bleibe
       Hauptenergiestütze und Nochten II unverzichtbar, wenn der jetzige Tagebau
       2027 ausgeschöpft sei. Studien des DIW und von Professor Martin Maslaton an
       der Bergakademie Freiberg kommen hingegen zu dem Schluss, dass der Bau
       neuer Kohlekraftwerke und Aufschluss weiterer Tagebaue nicht lohne.
       
       Im vergangenen Oktober entschied sich der Regionale Planungsverband dennoch
       für die Ausweitung des Nochtener Tagebaus. Kohleideologen aus DDR-Zeiten
       hätten dort das Sagen, meinen Adrian Rinnert und Friederike Böttcher. Die
       beiden starteten eine Onlinepetition gegen Nochten II, mehr als 3.000
       Bürger unterschrieben. Mit ihr muss sich das sächsische Innenministerium
       befassen. Dort steht der Braunkohleplan nun zur endgültigen Genehmigung an.
       Bis Ende März fällt die Entscheidung, an einem Ja zur Abbaggerung zweifelt
       kaum jemand. Die Umsiedlung von 1.500 weiteren Bewohnern wäre damit
       besiegelt.
       
       ## Urteil vom Bundesverfassungsgericht
       
       Für die „Spinner“ von Neustadt wäre der Widerstand auch dann nicht
       aussichtslos. Ebenso wie die Grünen und die Linken im Landtag setzen sie
       auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Braunkohletagebau
       Garzweiler. Im vergangenen Dezember stärkten die Richter die Rechte derer,
       die von einer Enteignung oder Umsiedlung betroffen sind. Böttcher und
       Rinnert wollen klagen.
       
       Für die Aktivisten hat der Bürgermeister der Gemeinde Spreetal, zu der
       Neustadt gehört, nur Spott übrig. „Ich war auch mal jung und ein bisschen
       verrückt“, äußerte Manfred Heine in einem Interview. „Aber spätestens wenn
       man Kinder hat, muss man auch den Verstand aktivieren.“
       
       Andere sehen in den Spinnerei-Bewohnern clevere, langfristig denkende
       Köpfe, die im Auftrag von Umweltverbänden gekommen sind. Rinnert schüttelt
       den Kopf. „Wir sind nicht hergezogen wegen des Bergbaus, und wir kriegen
       keinen Pfennig von Greenpeace. Aber das können diese Leute nicht glauben.“
       Was sagt es über eine Region aus, wenn sich ihre Bewohner nicht vorstellen
       können, dass jemand freiwillig dorthin zieht?
       
       In der Oberlausitz zeigt sich der Irrwitz der Energiewende. Einerseits soll
       der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch steigen. Andererseits
       produzierten die klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke im Land 2013 mehr
       Energie als je seit 1990. Braunkohle ist wieder in. Mit Folgen fürs
       Weltklima – und die Bewohner der Oberlausitz.
       
       ## Der Vattenfall-Turm
       
       Nur 15 Autominuten entfernt von Neustadt/ Spree liegt das Dörfchen Rohne.
       Entlang der Straße liegen flaches Land und ähnlich flache Häuser. Auf dem
       Weg geht es vorbei an Nochten I.
       
       Auf den ersten Blick laden die abzweigenden glatten Straßen zu einer
       Erkundungsfahrt ein. Aber sehr bald stehen Verbotsschilder, die nur
       Betriebsangehörigen die Weiterfahrt gestatten. Bis an die Tagebaukante
       gelangt man nicht.
       
       Wer sich einen Überblick verschaffen und den ökologischen Preis für
       Kohlestrom mit allen Sinnen erfassen will, kann den Aussichtsturm am
       Schweren Berg bei Weißwasser besteigen. Hier hat Vattenfall ein sogenanntes
       Kommunikationszentrum errichtet. Auf dem 30 Meter hohen Turm weht der Wind.
       So weit der Blick in südwestlicher Richtung reicht, mildern kein Baum und
       kein Strauch seine Kraft. Am Horizont erscheinen die Kühltürme des
       Kraftwerks Boxberg, neben winzig wirkenden Baggern. Wo heute Mondlandschaft
       ist, lagen einst die Dörfer Mühlrose und Tzschelln und ein
       Naturschutzgebiet.
       
       Ankunft in Rohne. Hier versammeln sich an einem trüben Wintertag sechs
       Menschen, die der Protest gegen Nochten II eint. Keine „Zugezogenen“ wie
       Rinnert und Böttcher, sondern Leute, die fast ihr ganzes Leben hier
       verbracht haben – und die dem neuen Tagebau weichen müssten. Leute wie Rudi
       Krauz.
       
       ## Heimat der Sorben
       
       Wenn der 76-Jährige spricht, tut er es so laut, dass sich die fünf anderen
       am Esstisch vermutlich wünschen, er wüsste nicht so viel über die Gegend zu
       berichten: Dass hier die slawische Minderheit der Sorben beheimatet ist,
       der auch er angehört. Dass in 90 Jahren Tagebau 136 Ortschaften
       verschwunden seien. Dass er und seine Eltern hier geboren wurden. Dass der
       Rat der Gemeinde Schleife, wozu das Dorf Rohne gehört, gegen die Umsiedlung
       gestimmt habe, aber nun entgegengesetzt handle. Und dass manche Menschen,
       sollte Nochten II tatsächlich kommen, bereits zum zweiten Mal einem Tagebau
       weichen müssten. Lange redet Krauz, ein Mann mit großen, von harter Arbeit
       geformten Händen. „Aber was ich sagen will, ist ganz einfach“, erklärt er
       zum Schluss: „Wir wollen nicht weggebaggert werden. Punkt.“ Die Umsitzenden
       nicken.
       
       Neben Krauz sitzt Edith Penk. Die 75-Jährige, graues Haar, Brille,
       blendendes Gedächtnis, ist eine Größe im Widerstand gegen Nochten II. Sie
       zeigt auf eine Landkarte, bewegt ihren Zeigefinger von einer Stelle zur
       nächsten: „Von hier würden die Menschen dorthin umgesiedelt, nach
       ’Neu-Rhone‘, ein paar Kilometer weiter. Dabei wurde an der Stelle schon zu
       DDR-Zeiten Kupfer entdeckt.“ Noch eine Umsiedlung, diesmal wegen des
       begehrten Metalls? Ein Albtraum. Die Sorbin Penk klagt, die Domowina –
       Dachorganisation der slawischen Minderheit – unternehme nichts zu deren
       Schutz.
       
       Die sechs Menschen am Tisch verbindet nicht allein ihr Protest gegen
       Nochten II. Sie eint auch eine hilflose Wut. Zu DDR-Zeiten baggerte hier
       die VEB BMK Kohle und Energie die Bodenschätze ab, heute tut es Vattenfall.
       In ein paar Jahren könnte der Betreiber einen polnischen Namen tragen. Es
       halten sich Gerüchte, der schwedische Staatskonzern erwäge, sich von der
       lästigen Kohle zu trennen. Doch der deutsche Firmensprecher Thoralf
       Schirmer dementiert Verkaufsabsichten. Der taz sagt er: „Vattenfall bleibt
       auf absehbare Zeit Eigentümer seiner kontinentaleuropäischen Aktivitäten.“
       
       ## „Die Mehrheit hat Angst“
       
       Die Firmennamen mögen sich ändern, doch bei den Betroffenen bleibt das
       Gefühl der Machtlosigkeit. Die Ausbaugegner wissen um das Dilemma ihrer
       Nachbarn. Vattenfall und seine Subunternehmer geben vielen von ihnen
       Arbeitsplätze. Wer ist für den Tagebau, wer dagegen? Keiner traut dem
       anderen. Stattdessen explodieren Briefkästen, und niemand hier scheint zu
       bezweifeln, dass es mit der Braunkohle zu tun hat.
       
       Wird der Protest erfolgreich sein? Penk ist skeptisch. „Wir sind eine
       Minderheit. Eine schweigende Mehrheit hat Angst, will aber nichts sagen.“
       Die fünf am Tisch nicken stumm.
       
       Noch ist nicht sicher, dass Nochten II je abgebaggert wird. Doch etwas im
       Dorf ist bereits zerstört.
       
       28 Feb 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Bartsch
 (DIR) Matthias Lohre
       
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