# taz.de -- Häusliche Gewalt: Vor den Kopf geschlagen
       
       > Die Initiative BIG leistet Präventionsarbeit an Schulen. Jetzt stellen
       > Mittelkürzungen des Senats das Projekt infrage – obwohl der Bedarf nach
       > Hilfe groß ist.
       
 (IMG) Bild: Lehrer sind oft überfordert, wenn sie mit häuslicher Gewalt konfrontiert sind. Die Initiative BIG hilft mit Workshops
       
       Amina vergräbt das Gesicht in ihren Händen. „Ich kann im Moment nicht gut
       schlafen“, flüstert sie. Ihre Lehrerin beugt sich zu ihr, berührt sie
       vorsichtig an der Schulter. „Was ist denn los, Amina?“, bohrt sie nach. Das
       Mädchen hält den Blick gesenkt. „Meine Eltern streiten die ganze Nacht“,
       sagt sie schließlich leise. „Manchmal schlagen sie sich auch.“
       
       Amina ist nicht real. Das verzweifelte Mädchen ist in Wirklichkeit 30 Jahre
       alt, sie wird gespielt von einer angehenden Grundschullehrerin in
       Marienfelde. Die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG e. V.)
       bietet seit dem Jahr 2006 Workshops an, die Lehrern, Eltern und Schülern
       helfen sollen, mit Situationen wie diesen richtig umzugehen.
       
       Bisher wurde die präventive Arbeit der Initiative mit 200.000 Euro jährlich
       von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft unterstützt.
       Dieses Jahr werden die Mittel um 40.000 Euro gekürzt. Das Projekt steht in
       Frage – dabei ist der Bedarf nach Hilfe groß.
       
       15.797 Fälle häuslicher Gewalt wurden im Jahr 2012 bei der Polizei in
       Berlin registriert, die Mehrzahl der Opfer sind Frauen. 2.512 Frauen und
       Kinder suchten in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen Schutz. Eine gerade
       veröffentlichte EU-Studie hat ergeben, dass ein Drittel aller Frauen in der
       Europäischen Union schon mindestens einmal körperliche oder sexuelle Gewalt
       erlebt hat. Betroffen sind davon nicht nur die Frauen selbst, sondern auch
       ihre Kinder – sei es als Zeuge oder als Opfer.
       
       Der Verein ist alarmiert über die anstehenden Mittelkürzungen: „Wir wissen
       nicht, wie wir weiter unsere Arbeit machen sollen“, sagt
       Projektmitarbeiterin Anne Thiemann. „Das bedeutet für uns, dass wir
       Personal entlassen müssen oder viel weniger Seminare anbieten können.“ Erst
       am 19. Februar hätten sie von den Kürzungen erfahren. Bis dahin seien sie
       davon ausgegangen, zusätzliche Gelder zu den im Haushalt veranschlagten
       160.000 Euro zu erhalten – so wie bereits in den vergangenen Jahren. „Noch
       im Dezember hieß es, dass wir wieder mit 200.000 Euro rechnen können“, sagt
       Thiemann.
       
       ## 40.000 Euro weniger
       
       Die Senatsverwaltung bestätigt die Mittelkürzung. In der Anfangsphase habe
       man das Projekt schnell und wirksam anschieben wollen, sagt Sprecher Ilja
       Koschembar. Deshalb seien zusätzliche Gelder an BIG geflossen. „Der Träger
       macht ohne Zweifel eine wichtige Arbeit, die uns jedes Jahr eine Menge Geld
       wert ist.“ Mittlerweile sehe der Senat aber keinen Ausnahmebedarf mehr bei
       BIG.
       
       Einen sinkenden Bedarf können die MitarbeiterInnen von BIG nicht erkennen.
       Die Workshops kommen gut bei den Schulen an, die Warteliste für einen
       Termin ist lang. 2014 sieht es nun für viele interessierte Schulen schlecht
       aus. Dabei sei es wichtige, häusliche Gewalt zu thematisieren, sagt
       Thiemann. „Obwohl in Deutschland jede vierte Frau davon betroffen ist, ist
       das Thema nicht in die Lehrerausbildung integriert“, kritisiert sie. Viele
       Lehrer seien deshalb überfordert, wenn sie an der Schule – über die Kinder
       – zum ersten Mal mit diesem Thema in Berührung kämen.
       
       Wie schwierig es sein kann, im Gespräch mit Eltern oder Kind die richtigen
       Worte zu finden, hat die angehende Grundschullehrerin Agnieszka Nowak beim
       BIG-Workshop gelernt. Auch sie ließ sich auf die Übung mit der fiktiven
       Amina ein und spielte sich dabei selbst – als überforderte Lehrerin. „Es
       ist mir sehr schwer gefallen, mit Amina zu sprechen“, sagt die 32-Jährige
       nach dem Rollenspiel. „Ich habe mich einfach hilflos gefühlt.“
       
       So wie ihr geht es vielen Lehrern, weiß Thiemann. Viele hätten Angst, etwas
       falsches zu sagen oder nicht sofort eine Lösung zu finden. „Wichtig ist
       aber vor allem, dem Kind gegenüber Ruhe und Sicherheit auszustrahlen“, sagt
       die Mitarbeiterin. „Es muss das Gefühl haben, dass jemand an seiner Seite
       steht. Nach einer Lösung kann man später gemeinsam suchen.“
       
       ## Scham und Loyalität
       
       Damit es den Kindern leichter fällt, sich zu öffnen, bietet BIG im Rahmen
       der Workshops an Grundschulen auch eine Kindersprechstunde an. Immer wieder
       würden Schüler dort zum ersten Mal von ihren Gewalterfahrungen berichten,
       erzählt Thiemann. Das falle oft leichter, als die Offenbarung gegenüber den
       Lehrern: manche Kinder schämen sich oder wollen aus empfundener Loyalität
       gegenüber der Familie nichts sagen, weiß Thiemann.
       
       Die Auswirkungen von häuslicher Gewalt für die Kinder seien massiv, sagt
       die BIG-Mitarbeiterin. Häufig litten sie unter psychosomatischen
       Erkrankungen und hätten Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Ein häufige
       Folge: auch die schulischen Leistungen werden schwächer. Manche Kinder
       zögen sich stark zurück, hat Thiemann beobachtet, andere würden aggressiv.
       Oft wird häusliche Gewalt von Generation zu Generation weiter getragen.
       
       Nach dem Workshop leert sich der Raum, die angehende Lehrerin zieht ihren
       Mantel an. Amina ist aus dem Gesicht der jungen Frau verschwunden. Jetzt
       ist sie wieder Lehrerin und muss sich um die realen Probleme an ihrer
       Schule kümmern. Ein Junge in ihrer Klasse ist verhaltensauffällig. Die
       Klassenleiterin hat ihr empfohlen, mit den Eltern zu sprechen. Die Lehrerin
       zögert noch, sie will nichts falsch machen.
       
       Vielleicht wird ihr das Rollenspiel aus dem BIG-Workshop dabei helfen. Den
       Lehrern mehr Handlungssicherheit geben, „damit sie früh eingreifen, statt
       nichts zu tun, aus Angst etwas falsch zu machen“, sagt Thiemann. Einfach
       nichts tun gegen häusliche Gewalt, das würde sie äußerst ungern. Doch ohne
       die ausreichenden Gelder sehen sie und ihre KollegInnen schwarz für das
       Projekt.
       
       10 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannah König
       
       ## TAGS
       
 (DIR) häusliche Gewalt
 (DIR) Gewalt gegen Frauen
 (DIR) häusliche Gewalt
 (DIR) Schwerpunkt Flucht
 (DIR) Frauenhäuser
 (DIR) Jugendhilfe
 (DIR) Migration
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Fernsehdrama „Die Ungehorsame“: Die tägliche Demütigung
       
       Überraschend gut: Sat.1 zeigt einen Film über häusliche Gewalt – auf einem
       Sendeplatz, der sonst Politsatiren und Beziehungskomödien vorbehalten ist.
       
 (DIR) Häusliche Gewalt: Herr Maier, das Opfer
       
       Männer, die von ihrer Frau misshandelt werden, sind eine Minderheit. Für
       die Betroffenen ist das ein Problem: Sie fallen durch jedes
       gesellschaftliche Raster.
       
 (DIR) Frauenhäuser fordern Geld: Leid für die Leidenden
       
       Bis zu 80 Euro kostet ein Tag im Frauenhaus. Die Frauen müssen diese selbst
       zahlen, wenn sie überhaupt einen Platz finden. Denn viele Häuser sind voll.
       
 (DIR) Gewalt gegen Frauen: Budget für Opferhilfe stagniert
       
       Das neue Opferschutzkonzept des Senats umfasst mehr Bereiche, die
       Fördermittel werden aber nicht erhöht. Das gehe zu Lasten der
       Frauen-Beratungsstellen, so die Kritik.
       
 (DIR) Autoritäre Erziehung in Heimen: Christliche Hiebe
       
       Die Geschichte der Heimerziehung ist eine von brutaler Gewalt. Vor allem
       die christlichen Kirchen machen sich bis heute schuldig.
       
 (DIR) Integration im Gentrifizierungs-Kiez: Deutsch-Türkisch für Anfänger
       
       Eine Gruppe Akademiker schickt ihre Kinder auf eine Brennpunktschule. Sie
       engagieren sich. Und die Migranteneltern reagieren.