# taz.de -- Polen und die Krise in der Ukraine: Neues Futter für alte Ängste
       
       > Regierung und Bürger in Polen fordern Sanktionen gegen Russland – als
       > Investition in eine friedliche Zukunft. Nun kommt Angela Merkel.
       
 (IMG) Bild: „Putin, Hände weg von der Krim“: Auf den Straßen Warschaus demonstrieren die Menschen.
       
       WARSCHAU taz | Dass Polens liberal-konservativer Premier Donald Tusk seit
       Tagen durchs Land reist, Rüstungsfabriken besichtigt oder Marine-Einheiten
       an der Ostsee besucht, hat mit den Ängsten vieler Polen vor einer
       russischen Aggression zu tun. Polen grenzt nicht nur an die Ukraine,
       sondern auch an Weißrussland und das zu Russland gehörende Gebiet
       Kaliningrad (siehe Karte). 
       
       Die ganze Region gehört nach Auffassung Moskaus zum russischen
       Interessengebiet. Im Gebiet Kaliningrad, dem ehemaligen Königsberg, hat
       Russland einen Militärstützpunkt. Als Polen und andere europäische Staaten
       mit den USA über einen Raketen-Schutzschild verhandelten, drohte Russland
       offen mit Kurz- und Mittelstreckenraketen an der polnisch-russischen
       Grenze.
       
       Tusk will seine Landsleute beruhigen. Die verfolgen seit Monaten genau, was
       sich auf dem Maidan in Kiew abspielt – und nun auf der Halbinsel Krim.
       Anders als westliche Medien berichten Polens Medien intensiv über die
       Ereignisse im Nachbarland.
       
       Mit entsprechend großer Spannung wird der Warschau-Besuch der deutschen
       Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch erwartet. Zuvor hatte Tusk Polens
       Nachbarländer scharf für deren Abhängigkeit von russischer Energie
       kritisiert. Darüber wird er mit Merkel reden wollen – genauso wie über das
       für nächsten Sonntag angesetzte Krim-Referendum.
       
       Viele Polen erinnert die Situation an 1940, als die sowjetisch besetzten
       Republiken Lettland, Litauen und Estland um Aufnahme in die UdSSR baten –
       angeblich freiwillig. 1939 hatte Polen durch den Hitler-Stalin-Pakt 1939
       ein Drittel seines Territoriums an die Sowjetunion verloren. Der
       Sowjet-Terror ist so wenig vergessen wie der der Nazis. Überall im Land
       erinnern Mahnmale an die Opfer. In den Wäldern von Katyn in Russland liegen
       Zehntausende polnische Reserveoffiziere in Massengräbern. Bis in die 1990er
       hatte der Kreml behauptet, sie seien von Deutschen ermordet worden. Bis
       heute ist Moskau weder bereit, die Opfer zu rehabilitieren – noch ihren
       Nachkommen Akteneinsicht zu gewähren.
       
       ## Misstrauen ist hoch
       
       Auch deshalb ist das Misstrauen vieler Polen nach wie vor groß – sowohl
       gegenüber den Russen als auch gegenüber den Westeuropäern. Diese nämlich
       verteidigten Polen 1939 nicht nur nicht gegen die deutsch-sowjetische
       Invasion – sondern ließen 1945 auch zu, dass das Land für fast 50 Jahre
       hinter dem Eisernen Vorhang verschwand. Bis heute hören Polen sehr genau
       hin, wenn sich Westeuropäer zur Politik Moskaus äußern.
       
       Bitter stoßen dabei die Argumente der „Russland-Versteher“ auf. Aus Sicht
       vieler Polen wiederholen die als „nützliche Idioten“ die Kreml-Propaganda
       von den angeblichen Einkreisungsängsten des Riesenstaates und seinen
       Interessen im und am ukrainischen Nachbarn. Im Schatten von Exkanzler
       Gerhard Schröder (SPD), der der EU eine Mitschuld an der Lage auf der Krim
       zuweist, haben auch Kanzlerin Merkel und Außenminister Frank-Walter
       Steinmeier an Glaubwürdigkeit verloren.
       
       Auch wenn die Polen deshalb sowohl von Politikern in Russland als auch in
       einigen westeuropäischen Staaten gern als hysterisch dargestellt werden,
       tun sie doch alles, um weiteres Blutvergießen in der Ukraine zu vermeiden.
       Dass es den drei Außenministern von Polen, Deutschland und Frankreich,
       Radoslaw Sikorski, Frank-Walter Steinmeier und Laurant Fabius, vor drei
       Wochen in Kiew gelang, den Krieg auf dem Maidan zu beenden, wird in Polen
       als großer Erfolg der EU gesehen. Allerdings erwarten die Polen seit der
       Besetzung der Krim Wirtschaftssanktionen gegen Moskau. Dass diese auch für
       den Westen negative Folgen haben würden, müsse als Investition für den
       friedlichen Russland-Handel der Zukunft gesehen werden.
       
       Schon in den vergangenen Jahren haben polnische Politiker immer wieder auf
       die massive Abhängigkeit des eigenen Landes als auch der EU-Partner von
       russischen Gas- und Öllieferungen hingewiesen. Um sich davon zu lösen, baut
       Polen an der Ostsee einen riesigen Gasspeicher. Noch liegt der Preis für
       Flüssiggas aus Katar über dem für russisches Erdgas. Doch wenn sich andere
       EU-Staaten dem Projekt anschlössen, könnten viel größere Mengen bestellt
       werden. Das würde den Preis senken – und die Abhängigkeit von Russland
       erheblich mindern.
       
       12 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gabriele Lesser
       
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