# taz.de -- Neue Gewalt in der Türkei: Zwei Tote, viele Fragen
       
       > Bei neuen Zusammenstößen erleidet ein Polizist einen Herzinfarkt. Ein
       > junger Mann wird erschossen, womöglich aus den Reihen der Demonstranten.
       
 (IMG) Bild: 11 Jahre Erdogan – 11 Jahre zu viel scheinen die Demonstranten sagen zu wollen.
       
       BERLIN taz | Im Anschluss an die Demonstrationen für den [1][15-jährigen
       Berkin Elvan] sind am Mittwoch in der Türkei zwei Menschen ums Leben
       gekommen. In der kurdisch-alevitischen Stadt Tunceli (Dersim) in
       Ostanatolien erlitt der 30-jährige Polizist Ahmet Küçüktağ einen
       Herzinfarkt und starb in einem Krankenhaus. In Istanbul starb am späten
       Abend der 22-jährige Burak Can Karamanoğlu, offenbar infolge einer
       gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen Teilnehmern des Trauerzugs und
       einer anderen Gruppe. Die genauen Umstände sind in beiden Fällen noch nicht
       bekannt.
       
       Hayati Yılmaz, der Polizeipräsident der Provinz Tunceli [2][schrieb] auf
       Twitter, dass der verstorbene Polizist in einem gepanzerten Fahrzeug saß
       und dort einen Herzinfarkt erlitt. Den bisherigen Erkenntnissen zufolge sei
       Küçüktağ nicht direkt Tränengas ausgesetzt gewesen. Ein paar Stunden zuvor
       hatte derselbe Polizeipräsident für Aufmerksamkeit gesorgt, weil er
       getwittert hatte: „Besser zerstörte Scheiben als zerstörte Menschenleben.“
       
       Ob der tote Polizist ein Herzleiden hatte, ist bislang nicht bekannt. Im
       Zuge der Gezi-Proteste seit Ende Mai vorigen Jahres starben bereits vier
       Menschen durch die Einwirkung des Tränengases; alle litten an
       Herzproblemen. Die Türkische Stiftzung für Menschenrechte und die Türkische
       Ärztekammer werfen der türkischen Polizei vor, in exzessiver Weise Gebrauch
       von [3][chemischen Kampfstoffen] zu machen.
       
       Unklar sind auch die Umstände, unter denen der junge Mann im Stadtteil
       Okmeydanı starb – jenem Armenviertel ein paar Kilometer vom Taksimplatz
       entfernt, wo auch Berkin Elvan mit seinen Eltern gelebt hatte und wo er,
       nachdem er Mitte Juni von einer Tränengaspatrone der Polizei am Kopf
       getroffen wurde, neun Monate lang im Koma lag.
       
       Wie die Nachrichtenagentur Doğan [4][berichtet], gehörte Burak Can
       Karamanoğlu zu einer teilweise mit Knüppeln bewaffneten Gruppe, die sich am
       Abend vor einer Moschee sammelte und „Allahu akbar“ („Gott ist groß“) rief
       – die Agentur ist Teil des Doğan-Medienkonzern, dem unter anderem die
       Tageszeitungen Hürriyet und Radikal und die Fernsehsender CNN Türk und
       Kanal D gehören.
       
       Zwischen der Gruppe vor der Moschee und einer anderen, die in der Nähe des
       Elternhauses von Berkin Elvan wartete, sei es zu einer Schlägerei gekommen,
       dann seien Schüsse gefallen. Karamanoğlu wurde offenbar erschossen, zwei
       weitere Personen wurden mit Schussverletzungen ins Krankenhaus geliefert.
       Der Vorsitzende der Istanbuler AKP-Organisation, Aziz Babuşcu, war am
       Mittwochabend der erste, der Angaben zur Person des Getöteten machte und
       darauf hinwies, dass sich in diesem Moment keine Polizeikräfte am Ort des
       Geschehens befunden hätten.
       
       ## „Drei Hunde verletzt“
       
       Auf Twitter kursiert der angebliche Screenshot eines [5][Tweet] der linken
       Organisation Halk Cephesi („Volksfront“), die als legaler Arm der auch in
       Deutschland als terroristisch eingestuften DHKP-C gilt: „Die idealistischen
       Faschisten greifen an, sie bekommen die notwendige Antwort. Drei
       idealistische Hunde sind verletzt.“ Der Original-Tweet ist nicht mehr
       auffindbar. „Idealisten“ (ülkücü) ist die Eigenbezeichnung der
       ultranationalistischen MHP, in Deutschland auch als Graue Wölfe bekannt.
       Deren Anhänger hatten sich [6][vereinzelt an den Gezi-Protesten beteiligt].
       Anderen Darstellungen zufolge handelte es sich bei der Gruppe, in der sich
       auch Burak Can Karamanoğlu aufgehalten haben soll, um AKP-Anhänger. Wieder
       andere [7][Quellen] bezeichnen ihn als Mitglied des Fußballfanclubs
       Kasımpaşa 1453. Kasımpaşa ist das Viertel, in dem Ministerpräsident Recep
       Tayyip Erdogan aufgewachsen ist; die Anhänger gelten als AKP-nah. Die
       „Volksfront“ hat eine offizielle Stellungnahme [8][angekündigt].
       
       Bereits gegen Ende des zunächst [9][friedlichen Trauerzugs] in Istanbul war
       es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten
       gekommen, die sich bis zum späten Abend hinzogen. Viele der zehntausenden
       Teilnehmer waren nicht bis zum Friedhof im Stadtteil Feriköy durchgekommen.
       Die Menge wartete in Osmanbey und begann dann, sich in Richtung des
       Taksimplatzes zu bewegen. Daraufhin setzte die Polizei Tränengas,
       Wasserwerfer und Plastikgeschosse ein – der Taksimplatz wie der benachbarte
       Gezi-Park sind seit dem Sommer eine Art verbotener Zone, in der die
       Behörden keinerlei politische Versammlung dulden.
       
       Ein Teil der Demonstranten warf daraufhin Steine und Feuerwerkskörper auf
       die Polizei. Mehrere AKP-Büros wurden gestürmt und verwüstet; aus
       Wahlkampfmaterial und Möbeln wurden brennende Barrikaden errichtet.
       Übereinstimmenden Augenzeugenberichten zufolge war es die größte
       Demonstration seit der [10][Räumung des Gezi-Parks]. Viele Teilnehmer
       berichten, dass die Polizei noch gewalttätiger vorgegangen sei als in den
       vergangenen Monaten.
       
       Aus insgesamt knapp 30 Städten wurden am Mittwoch Proteste gemeldet; in
       einigen Städten wie Tunceli, Ankara, Izmir und Adana kam es zu
       Zusammenstößen. Im Netz kursieren [11][Videos], die den Eindruck eines
       besonders brutalen Vorgehens der Polizei zu bestätigen. Auch in Berlin,
       Hamburg und einigen weiteren europäischen Städten gab es
       Solidaritätsdemonstrationen.
       
       13 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!134608/
 (DIR) [2] http://twitter.com/HayatiYILMAZ34
 (DIR) [3] /!119585/
 (DIR) [4] http://www.hurriyet.com.tr/gundem/25995414.asp
 (DIR) [5] http://twitter.com/search?q=halkcephesi&src=typd&mode=photos
 (DIR) [6] /!119055/
 (DIR) [7] http://beyn.org/burakcan-karamanoglunun-olumunun-perde-arkasi/
 (DIR) [8] http://twitter.com/HALK_CEPHESI
 (DIR) [9] /!134709/
 (DIR) [10] /!118199/
 (DIR) [11] http://www.radikal.com.tr/turkiye/izmirde_3130_nolu_kaskla_orantisiz_polis_siddeti-1181015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Deniz Yücel
       
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