# taz.de -- Bodycount Türkei: Für Europa erschreckend viel
       
       > Wie viele Menschen sind seit Beginn der Proteste in der Türkei gestorben?
       > Die Antwort hängt auch von politischen Bewertungen ab. Ein Überblick.
       
 (IMG) Bild: Opfer einer Tränengas-Attacke der Polizei bei einer Demonstration für Berkin Elvan.
       
       [1][Berkin Elvan] und die [2][beiden Männer], die in der vergangenen Woche
       starben, sind seit Beginn der Proteste in der Türkei Ende Mai vorigen
       Jahres die – ja, die wie vielten Todesopfer? Nun, es kommt darauf, wie man
       zählt. Und bei einigen ist es eine politische Frage, ob man sie
       berücksichtigt. Dies gilt für folgende Personen (für Fotos auf die Namen
       klicken).
       
       [3][Ahmet Küçüktağ, 30,] 12. März 2014: Der Polizist erleidet bei
       Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei in der
       kurdisch-alevitischen Stadt Tunceli einen Herzinfarkt. Er soll nicht
       Tränengas ausgesetzt gewesen sein. In ersten Reaktionen meint ein Teil der
       Gezi-Bewegung, dass auch ihn der Staat auf dem Gewissen habe; andere meinen
       hingegen, man müsse zwischen Täter und Opfer unterscheiden.
       
       [4][Hasan Ferit Gedik, 21,] 29. September 2013: Der Aktivist der linken
       Gruppe „Volksfront“, die der bewaffneten Organisation DHKP-C nahe steht,
       wird im Istanbuler Armenviertel Gülsuyu am Rand einer Demonstration von
       einer Drogenbande erschossen. Ein Teil der Gezi-Bewegung zählt ihn dazu,
       weil weil sie den Staat beschuldigen, sich dieser krimineller Banden zu
       bedienen, um aufständische alevitische Viertel wie Gülsuyu zu bändigen.
       
       [5][Medeni Yıldırım, 18,] 28. Juni 2013: Der Schüler wird in einem Dorf im
       südostanatolischen Landkreis Lice bei einem Protest gegen den Bau einer
       Kaserne von Angehörigen der Gendarmerie [6][erschossen]. Einige
       Nationalisten unter den Gezi-Leuten gilt er „PKK-Terrorist“. Die meisten
       aber [7][solidarisieren] sich mit ihm. Gegen den Schützen findet unter
       Geheimhaltung ein Prozess statt.
       
       [8][Mustafa Sarı, 27,] 5. Juni 2013: Der Polizist stürzt in Adana von einer
       Brückenbaustelle, als er mit seiner Einheit Demonstranten verfolgt. Auch
       bei ihm ist die Protestbewegung [9][gespalten].
       
       Hinzu kommen folgen Personen, die mutmaßlich durch den exzessiven Gebrauch
       von [10][Tränengas] starben:
       
       [11][//serdar:Serdar Karakal, 35,] 13. September 2013: Der Tontechniker
       lebt und arbeitet im Stadtteil Kadıköy, dem Zentrum des anatolischen Teils
       von Istanbul. Als Mitte September tagelang in seinem Viertel
       Auseinandersetzungen toben, erleidet der Herzkranke einen Infarkt.
       
       [12][Selim Önder, 88,] 16. Juni 2013: Der Musiker ist am 31. Mai, dem Tag,
       an dem die Gezi-Proteste zu einem Massenaufstand ausweiten, auf der Straße
       und in seiner in der Nähe des Taksimplatzes gelegenen Wohnung extremen
       Mengen Tränengas ausgesetzt. Er bekommt Atemschwierigkeiten, in deren Folge
       er verstirbt.
       
       [13][Zeynep Eryaşar, 55,] 15. Juni 2013: Sie erleidet am Tag der Räumung
       des Gezi-Parks bei einer Demonstration in der Istanbuler Trabantenstadt
       Avcılar einen Herzinfarkt – je nach Darstellung durch Tränengas oder
       infolge einer Panikattacke.
       
       [14][Irfan Tuna, 47,] 5. Juni 2013: Der herzkranke Tuna arbeitet als
       Putzkraft in einer Schule in der Nähe des zentralen Kızılay-Platzes in
       Ankara. Er stirbt infolge des Tränengases an Herzversagen.
       
       Dann gibt es jene, bei denen der Fall klar ist. Die folgenden stammen alle
       – ebenso wie Gedik und Eryaşar – aus der alevitischen Minderheit:
       
       [15][Berkin Elvan, 15,] 11. März 2014: Der Schüler ist auf der Straße, um
       Brot zu kaufen, als er nach der Räumung des Gezi-Parks im mehrheitlichen
       alevitischen Istanbuler Viertel Okmeydanı von einer Tränengaspatrone
       getroffen wird. Nach neun Monaten im Koma und abgemagert auf 16 Kilogramm
       und stirbt er. Sein Tod löst eine [16][neue Welle] von Protesten aus.
       
       [17][Ahmet Atakan, 23,] 10. September 2013: Der Student und Mitglied der
       linken Gruppe Halkevleri kommt in Armutlu, einem Viertel der südtürkischen
       Stadt Antakya, unter ungeklärten Umständen ums Leben. Die Behörden gehen
       davon aus, dass er von einem Hausdach gefallen sei und verweisen auf ein
       [18][Video], das zeigt, wie ein lebloser Körper zu Boden fällt. Die
       Umstände des Sturzes sind dort jedoch nicht zu sehen. Augenzeugen
       berichten, dass Ahmet von einer Tränengasgranate getroffen worden sei.
       
       [19][Ali Ismail Korkmaz, 19,] 10. Juli 2013: Der Student erliegt nach 37
       Tagen im Koma seinen schweren Kopfverletzungen. Er war am 2. Juni in der
       nordwesttanatolischen Stadt Eskişehir von einer Gruppe von Zivilisten und
       Polizisten in eine Seitengasse [20][verprügelt] worden. Ein Polizist ist
       wegen Mordes angeklagt, drei weitere und vier Zivilisten wegen Beihilfe.
       Ali Ismail stammte ebenfalls aus Antakya.
       
       [21][Ethem Sarısülük, 26,] 14. Juni 2013: Der Schlosser, der dem illegalen,
       jedoch nicht bewaffneten Bund Revolutionärer Kommunisten der Türkei (TİKB)
       nahestand, erliegt nach zwei Wochen im Krankenhaus seinen
       Schussverletzungen. Er war am 1. Juni bei Auseinandersetzungen im
       Güven-Park in Ankara von einem Polizisten aus nächster Nähe
       [22][erschossen] worden. Gegen den Schützen läuft ein Verfahren wegen
       Totschlags. Er ist weiterhin im Polizeidienst.
       
       [23][Abdullah Cömert, 22,] 3. Juni 2013: Der Wachmann und Mitglied der
       größten Oppositionspartei, der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, wird
       bei Protesten in Antakya-Armutlu in einer Seitengasse von einer
       Tränengaspatrone am Hinterkopf getroffen. Monate später räumen die Behörden
       diese Todesursache ein. Die Ermittlungen dauern an.
       
       [24][//conflictbase.com/events/media/photos/1370362264.jpg:Mehmet
       Ayvalıtaş, 20,] 2. Juni 2013: Der Kellner und Aktivist der Sozialistischen
       Solidaritätsplattform (Sodap) gehört zu einer Gruppe von einigen hundert
       Leuten, die die Stadtautobahn bei Istanbul-Ümraniye blockieren wollen und
       wird dabei von einem Auto erfasst. Fahrer und Beifahrer sind wegen
       fahrlässiger Tötung angeklagt.
       
       Schließlich gibt den ersten Toten, der ohne Beteiligung der Polizei ums
       Leben kam:
       
       [25][Burak Can Karamanoğlu, 22,] 12. März 2014: Das Mitglied des
       Fußballfanclubs „Kasımpaşa 1453“ wird am Abend von Berkins Beerdigung
       erschossen. Nach bisherigem Kenntnisstand gehört er zu einer teilweise mit
       Knüppeln bewaffneten Gruppe, die aus dem Stadtteil Kasımpaşa, woher
       Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan stammt, in Berkins Viertel Okmeydanı
       zieht. Die DHKP-C hat inzwischen [26][erklärt], sie habe ihn aus „Notwehr“
       erschossen. Außer den Polizisten ist er der einzige, bei dessen Familie
       Erdoğan kondoliert hat.
       
       Insgesamt sind dies 15 Tote. Deutlich weniger als beispielsweise in
       Ägypten. Aber erschreckend viele gemessen an den [27][Maßstäben], an denen
       sich die Türkei offiziell messen lassen will.
       
       Von taz-Redakteur Deniz Yücel ist gerade im Nautilus-Verlag
       [28][erschienen]: „Taksim ist überall – Die Gezi-Bewegung und die Zukunft
       der Türkei“
       
       14 Mar 2014
       
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