# taz.de -- Hamburg vs. Berlin I: Eine Frage der linken Allianzen
       
       > In Hamburg orientiert sich die linke Szene „nach oben“ zum Bürgertum, in
       > Berlin streckt sie die Fühler „nach unten“ aus.
       
 (IMG) Bild: Symbol für die linke Szene Hamburgs: die Rote Flora, hier eine Solidemo.
       
       Vor einer Woche trafen sich in Berlin Mieterinitiativen, um ein neues
       Bündnis gegen Gentrifizierung zu gründen. Das Vorbild: Hamburg. Dort gibt
       es seit 2009 das Netzwerk „Recht auf Stadt“, dem über 50 Initiativen
       angehören, vom autonomen Zentrum Rote Flora bis zur Kampagne gegen die
       Internationale Bauausstellung in Wilhelmsburg. Das Bündnis wurde rasch ein
       relevanter stadtpolitischer Akteur.
       
       Beim Hamburger Vorbild ist die Euphorie der Anfangszeit allerdings längst
       verflogen. Unter dem schwarz-grünen Vorgängersenat nahm das Netzwerk oft
       die Rolle eines außerparlamentarischen Regulativs ein, das allerdings recht
       gemäßigt sozialdemokratisch anmutende Forderungen stellte. Seit die SPD an
       der Macht ist und sich Teile ebenjener Forderungen zu eigen macht, fällt
       die Abgrenzung schwer.
       
       Keine Frage: In Hamburg wie in Berlin, den beiden größten Städten
       Deutschlands und Zentren der linken Szene, dominiert der Kampf gegen
       Gentrifizierung die Politik. Die Mieten steigen in beiden Städten rasant.
       In Hamburg findet man unter 11 Euro kalt kaum noch eine Wohnung, die
       Berliner Innenstadt steht dem mit rund 10 Euro pro Quadratmeter kaum noch
       nach. In Bezirken wie Kreuzberg oder Friedrichshain sind die Mieten im
       vergangenen Jahr teils um 25 Prozent gestiegen.
       
       Die stadtpolitischen Initiativen, die in den letzten Jahren aus dem Boden
       geschossen sind, gehen mit dem Veränderungsdruck, der auf die Quartiere
       wirkt, und den dadurch ausgelösten Umbrüchen sehr unterschiedlich um.
       Während sich in Hamburg Bündnisse eher „nach oben“ orientieren und
       versuchen, das liberale Bürgertum einzubinden und die bürgerliche Presse zu
       erreichen, sind in Berlin Akteure „von unten“ wichtig geworden. Mit Kotti &
       Co. haben sich diejenigen organisiert, die am meisten von Gentrifizierung
       betroffen sind: Mieter, Migranten, Sozialhilfeempfänger.
       
       ## Gängeviertel als Aushängeschild
       
       In Hamburg ist das Gängeviertel zu einem Aushängeschild dieses Kampfes
       geworden. Im August 2009 haben Künstler und Aktivisten die maroden Gebäude
       in Innenstadtlage besetzt und die Reste der historischen Arbeiterhäuser vor
       dem Abriss bewahrt. Die Stadt kaufte die Häuser von den Investoren zurück
       und stellte sie der Initiative zur Verfügung. Inzwischen hat das Viertel
       eine Genossenschaft gegründet und verwaltet die Häuser selbst.
       
       Das Gängeviertel gilt seither als positives Beispiel für den Kampf gegen
       den Ausverkauf der Stadt, hatte aber zugleich den Nebeneffekt, dass die
       Bereitschaft der Stadt, Künstlern an anderen Orten entgegenzukommen und
       Räume zur Verfügung zu stellen, rapide abgenommen hat. Vor allem
       Zwischennutzungen sind seitdem schwierig geworden.
       
       Ein Gängeviertel gibt es in Berlin nicht. Künstler sind in der Bewegung
       viel weniger präsent als in Hamburg. Der eine oder andere spielt mal ein
       Solikonzert bei Mietprotesten. Aber eine organisierte Bewegung der jungen,
       prekären Künstler, die sich in der Stadt tummeln? Ein Manifest wie „Not in
       our name, Marke Hamburg“, mit dem Hamburger Kulturschaffende sich gegen
       Umarmungsversuche des Stadtmarketings wehrten? Nichts dergleichen in
       Berlin. Die Künstler haben ihre eigenen Diskussionen und Interessen fernab
       der Stadtpolitik, ihre eigenen Räume – und davon offenbar noch so viel,
       dass sich ein stadtpolitischer Aufstand (noch) nicht lohnt.
       
       Berlin ist längst noch nicht so durchgentrifiziert wie Hamburg – was vor
       allem an der Tatsache liegt, dass Berlin immer noch eine arme Stadt ist. Es
       fehlt schlicht an Kapital, jede noch brachliegende Fläche innerhalb weniger
       Monate zu entwickeln.
       
       Doch das ändert sich derzeit, und gerade wegen der Armut hat dies heftige
       Konsequenzen: Fast 20 Prozent der Berliner leben von Sozialhilfe oder
       Arbeitslosengeld II, rund 60 Prozent haben ein so niedriges Einkommen, dass
       sie Anrecht auf einen Wohnberechtigungsschein haben. Dass die Proteste
       gegen Zwangsräumungen so viel Widerhall finden, liegt wohl auch daran, dass
       sich viele durchaus identifizieren können mit jenen, die es bei einer
       Mieterhöhung nicht mehr schaffen, die Miete zu bezahlen. Allein in den
       letzten zwei Wochen blockierten Unterstützer drei Zwangsräumungen –
       letztlich erfolglos, aber mit immer größerem Nachdruck und
       Medienöffentlichkeit.
       
       Hingegen ist der Versuch in Hamburg, ähnliche Kampagnen zu starten, im Sand
       verlaufen. Dabei täuscht die Tatsache, dass es Hamburg wirtschaftlich
       glänzend geht, darüber hinweg, dass es auch hier einen großen Anteil sehr
       verletzlicher Bevölkerungsschichten gibt: Über 40 Prozent und damit über
       400.000 Hamburger Haushalte haben einen Anspruch auf eine Sozialwohnung.
       
       Anders als in Berlin sind diejenigen, die von Gentrifizierung am
       direktesten betroffen sind, jedoch in den Protesten und Bündnissen bisher
       kaum präsent. Das „Recht auf Stadt“-Netzwerk beruft sich zwar gern auf den
       Protest in Wilhelmsburg, als vor drei Jahren kurzzeitig Migranten und
       Stadtaktivisten gemeinsam gegen verschimmelte Wände auf die Straße gingen.
       Ansonsten herrscht jedoch Ratlosigkeit, wie man all jene in
       Stadtteilinitiativen einbinden soll, die nicht zur linken, gut vernetzten
       Mittelschicht gehören, die sich organisiert und wehrt, wenn ihr direktes
       Wohnumfeld der Umstrukturierung und dem Ausverkauf zum Opfer fällt.
       
       ## In Berlin hat jeder seine Nische
       
       Die Strategie, das liberale Bürgertum einzubeziehen, hat in Hamburg dagegen
       Tradition. Zum Mythos Hafenstraße gehört schließlich auch, dass es
       letztlich nur mit Unterstützung des liberalen Großbürgertums möglich war,
       die vorübergehend besetzten Häuser zu retten und in eine Genossenschaft zu
       überführen. Diese Offenheit hin zum bürgerlichen Lager kann sehr
       erfolgreich sein. Und sie produziert durchaus Druck: Die SPD-Regierung hat
       den Wohnungsbau zum Senatsziel erklärt.
       
       In Berlin scheitert eine solche Strategie schon daran, dass es in den von
       Gentrifizierung betroffenen Bezirken kein vergleichbares liberales
       Bürgertum gibt, mit dem sich stadtpolitische Bewegungen vernetzen könnten.
       Während sich im weitläufigen Berlin jeder in seine Nische zurückzieht,
       prallen im Hamburger Zentrum Nutzungsansprüche von Bürgertum und Szene
       aufeinander, was Konflikte hervorruft, aber auch Möglichkeiten zur
       Kooperation eröffnet.
       
       Beiden Städten ist gemeinsam, dass relevante Teile der Szene auf breite
       Bündnisse setzten. Hier und dort hat die Szene Orte, die sie halten wird:
       Haus- und Kulturprojekte wie die Flora, die Köpi, das Bethanien, die
       Hafenstraße. In beiden Städten ist aber auch ein Bewusstsein gereift, dass
       vereinzelte Inseln alternativer Kultur die Gentrifizierung nicht stoppen,
       ja sie sogar vorantreibt, weil sie als „authentische Orte“ zur Aufwertung
       von Innenstadtvierteln beitragen.
       
       Die Hamburger Ausrichtung mag pragmatisch gesehen erfolgreicher sein, wenn
       es um Zugeständnisse bei der Vergabe von Räumen geht und um die
       Verteidigung der eigenen Interessen – „Probleme“ werden oft einfach mit
       Geld gelöst. Die am meisten von der Gentrifizierung Betroffenen, jene, die
       verdrängt werden, bevor die Künstler in Bedrängnis geraten, bleiben dabei
       jedoch weitgehend unsichtbar.
       
       Dass genau jene in Berlin derzeit sich organisieren, in gewissem Sinn
       politisiert werden, hat daher eine gewissen Brisanz für die Stadtpolitik.
       Vor Maßnahmen, die die Verdrängungsprozesse tatsächlich abmildern könnten,
       schreckt die Politik jedoch in beiden Städten zurück.
       
       12 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lena Kaiser
 (DIR) Juliane Schumacher
       
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