# taz.de -- Hamburg vs. Berlin IV: "Wir müssen retten, was zu retten ist!"
       
       > Ist Berlin wie ein Stadtteil von Hamburg – oder Hamburg wie ein Vorort
       > von Berlin? Die Musikerin und Theatermacherin Bernadette La Hengst kennt
       > beide Städte.
       
 (IMG) Bild: Elbe oder Wannsee? Für Bernadette La Hengst ist das nicht leicht zu entscheiden.
       
       taz: Frau La Hengst, Sie haben 15 Jahre in Hamburg gewohnt, bevor Sie 2004
       nach Berlin gezogen sind. Haben Sie Hamburg verraten? 
       
       Bernadette La Hengst: Ja, das Gefühl hatte ich schon. Eigentlich war es nie
       so richtig mein Plan, Hamburg zu verlassen, ich habe dort sehr
       bodenständige Freundschaften. Gleichzeitig hat mich aber die soziale
       Kontrolle gestört – in so einer funktionierenden Szene aus Künstlern und
       Aktivisten steht man ganz schön unter Beobachtung. Und nach 15 Jahren hatte
       ich eben den Eindruck, dass ich auch mal raus muss. Für mich hat sich mit
       diesem Umzug ein Kreis geschlossen.
       
       Inwiefern? 
       
       Als ich 1987 mit der Schule fertig war, gab es eigentlich nur zwei
       Alternativen: Hamburg oder Berlin. Hamburg war damals die Stadt der Popper,
       da waren die Söhne und Töchter aus besserem Haus, die einen Golf GTI
       fuhren, Krawatte trugen, und das dann doch wieder irgendwie brachen.
       Letztlich war mir das jedenfalls zu schnöselig – und ich fand Berlin mit
       seinem Inselstatus spannender. Da bin ich also erst mal hin: Das SO36 gab
       es schon, ich war Fan von Ton Steine Scherben, auf der Wiener Straße in
       Kreuzberg waren die interessanten Kneipen wie das Wiener Blut. Aber auch
       hier habe ich dann nicht so richtig Anschluss gefunden: Dieses ganze
       Endzeitding mit Nick Cave oder den Einstürzenden Neubauten, und dann auch
       noch alles auf Englisch … Da herrschte so ein 80er-Jahre-Gefühl, und ich
       wollte dringend ins Hier und Jetzt.
       
       In die 90er. 
       
       Ich wusste ja auch nicht, wo die sind. Aber jedenfalls waren dann ziemlich
       viele Leute aus meiner Heimatgegend in Hamburg, und da dann auch mein
       damaliger Freund dort wohnte und ich eben nicht so richtig warm wurde mit
       Berlin, zog ich im Frühjahr 1989 um.
       
       Wie war Hamburg zu der Zeit? 
       
       Es ging gerade so los mit einer neuen Bewegung. Die Sterne und Blumfeld
       gründeten sich, Huah und die Kolossale Jugend waren wichtig für meine
       Anfangszeit in der Stadt. Das Schanzenviertel und St. Pauli waren noch
       nicht so erschlossen, eine der ersten Kneipen, in der wir immer waren, war
       das Sparr im Hamburger Berg, einer Nebenstraße der Reeperbahn. Dort gingen
       alle hin, die gerade eine Band gegründet hatten. Das war fast wie in einer
       Kleinstadt: Jeden Abend hat man dort Leute getroffen, darüber gesprochen,
       wie wir Popmusik für uns neu erfinden können, textlich und musikalisch. Es
       wurde viel über Politik diskutiert, aber mit Humor, mit Verspieltheit. Das
       Sparr war die Raucherecke der Hamburger Schule. Aber auch der erste Pudel
       Club im Schanzenviertel, in einer leerstehenden Kneipe ohne Strom, der nur
       zweimal in der Woche aufhatte, war immer ganz besonders. Dort hat zum
       Beispiel Helge Schneider seinen ersten Auftritt in Hamburg auf meiner
       Akustikgitarre gespielt.
       
       Und Berlin? Der Fall der Mauer, die aufkommende Technobewegung? 
       
       War weit weg.
       
       Waren die 90er in Hamburg politischer als in Berlin? 
       
       Auf jeden Fall. Schon die Gründung von Die Braut haut ins Auge war für uns
       ein feministischer Akt, und die Hafenstraße oder die Rote Flora waren
       wichtige Orte. Ab Ende der 90er haben wir mit dem Schwabinggrad Ballett oft
       auf Grenzcamps oder Demos gespielt, vor allem 2002, als es zum Beispiel um
       die Demonstrationsverbote in der Innenstadt ging. Ich habe den Buttclub mit
       gegründet, ein künstlerisches Diskussions- und Aktionszentrum. Das Leben
       und Arbeiten als Künstlerin und Aktivistin war nicht zu trennen. Das war
       das Besondere in Hamburg: dass die Vernetzung zwischen diesen Sphären so
       gut funktionierte.
       
       Hat sich das mittlerweile verändert? 
       
       Nein, das ist heute immer noch so, das ist richtig spürbar: Auf die Leute
       ist Verlass. Das merkt man zum Beispiel am Umgang mit den
       Lampedusa-Flüchtlingen. In Hamburg gibt es einfach einen größeren
       Zusammenhalt, mehr Solidarität. Bei der Lampedusa-Demo in Hamburg waren
       30.000 Menschen auf der Straße, ausgelöst durch die Solidarität, die St.
       Pauli gezeigt hat. Und durch die willkürlichen Kontrollen des Senats ist
       die Empörung von linken Aktivisten auf eine breite bürgerliche Masse
       übergeschwappt. Das kenne ich aus Berlin so nicht.
       
       Woran liegt das? 
       
       Ich könnte mir vorstellen, dass das damit zusammenhängt, dass ständig so
       viele Leute von außen nach Berlin ziehen und denen dann erst mal nicht so
       wichtig ist, was mit dem Viertel passiert, in dem sie gerade wohnen.
       
       Was ist mit den Unterstützergruppen und Demos für den Oranienplatz? 
       
       Das ist schon ein bisschen vergleichbar – aber in Hamburg ist das
       szeneübergreifende Mobilisierungspotenzial größer. Vielleicht auch, weil
       die Stadt kleiner ist, weil sich Künstler, Politaktivisten und Bürgertum
       lokal stärker überschneiden. Klar, es gibt in Berlin viele politische
       Gruppen und natürlich ungezählte Künstler – aber es gibt eben auch
       ungezählte Möglichkeiten, aktiv zu werden, weshalb sich das große Ganze
       schnell zerfleddert. An den Protesten gegen den Abriss des Hamburger
       Gängeviertels und der heutigen Nutzung sieht man, wie viel Macht eine
       Bewegung haben kann, wenn sich Künstler und Aktivisten zusammentun. Und
       daran, dass sich in Hamburg momentan so viele Künstler in die
       Flüchtlingsproteste einmischen, lässt sich ganz gut festmachen, dass das
       Thema sehr breit angekommen ist.
       
       Sie haben kürzlich selbst ein Projekt mit Flüchtlingen am Hamburger Thalia
       Theater gemacht. 
       
       Ich habe recht schnell gemerkt, dass es mir geht wie vielen anderen
       Künstlern, die in Berlin wohnen: Ich lebe hier, aber ich arbeite viel in
       anderen Städten. Zum einen, weil es in Berlin gar nicht genug Arbeit gibt.
       Und zum anderen war Lampedusa so ein Herzblutprojekt für mich.
       
       Hätten Sie das Projekt nicht auch mit den Berliner Flüchtlingen machen
       können? 
       
       Hier hat mich keiner danach gefragt. Das Thalia Theater hatte sich sehr
       starkgemacht für das Thema, auch Spenden gesammelt für die Flüchtlinge. In
       Kreuzberg hat sich da kulturell offenbar niemand zuständig gefühlt.
       
       Es gäbe zum Beispiel das Ballhaus Naunynstraße, auf das Sie hätten zugehen
       können. 
       
       Schon, aber eigentlich müsste es doch ein Haus sein wie die Volksbühne oder
       das Deutsche Theater, das sich nicht ohnehin Migration auf die Fahnen
       geschrieben hat. Ich finde es auch schade, dass ich solche brisanten
       Themen, die den Kern der Stadt betreffen und sich einmischen in das Leben
       der Leute, bisher nur in anderen Städten gemacht habe. Immerhin plane ich
       momentan ein Projekt über Gentrifizierung an der Grenze zwischen Wedding
       und Mitte, an der ich ja wohne. Es geht um Verdrängung und die Mauer, die
       heute noch existiert – nur eben als Mauer zwischen Arm und Reich, zwischen
       verschiedenen sozialen und kulturellen Schichten. Meine Tochter geht zum
       Beispiel auf eine Schule in Wedding, da haben 90 Prozent der Schüler
       Migrationshintergrund.
       
       Hat sich das so ergeben oder ist das ein Statement? 
       
       Das war schon eine bewusste Entscheidung. Wir wollten eine Schule mit einer
       Vielfalt von sozialen und kulturellen Hintergründen und keine biodeutsche
       Parallelgesellschaft. Anstatt einen anderen Schulplatz in Mitte einzuklagen
       oder eine Privatschule zu zahlen, haben wir die nächste öffentliche Schule
       in Wedding gewählt, die sich sehr viel Mühe gibt, interessante pädagogische
       Angebote zu machen, unter anderem um die Familien aus der
       bildungsbürgerlichen Mitte anzulocken. Das kann natürlich dazu führen, dass
       die alteingesessenen Weddinger Eltern bald in den nächsten Stadtteil
       verdrängt werden, weil die Mieten plötzlich doppelt so teuer werden. Der
       Weg von einer gesunden Vielfalt bis hin zur Verdrängung ist ein ganz
       kurzer.
       
       Trotzdem lässt sich kaum verhindern, Teil davon zu sein … 
       
       Das stimmt – aber woran ich arbeiten kann, ist das Aufrechterhalten von
       Vielfalt und Kommunikation. Nur so können wir voneinander lernen, daran
       glaube ich, das geht nicht anders.
       
       Wohnen Sie denn noch gern hier? 
       
       Eigentlich kann man in Mitte schon gar nicht mehr wohnen, diese
       Gleichförmigkeit kann man kaum noch ertragen. Ich wohne in einem
       Genossenschaftshaus, deshalb geht das noch.
       
       Wenn es nicht gerade ein Genossenschaftshaus ist – sind die Innenstädte
       hier wie dort nur noch für Reiche bezahlbar? 
       
       Das ist in Hamburg auf jeden Fall noch deutlich schlimmer als in Berlin.
       Aber man muss versuchen zu retten, was zu retten ist! Ich versuche das
       schon allein damit, dass ich hier bleibe, in Mitte, dass ich standhaft
       bleibe.
       
       Das klingt, als ob Ihr Herz noch an Hamburg hängt. 
       
       In Berlin zu leben ist für mich doch anders. In Hamburg ist damals viel
       übers Nachtleben entstanden, hier entstehen meine sozialen Netzwerke eher
       tagsüber, übers Theater. Und da sind dann viele Leute, mit denen ich zu tun
       habe, schnell wieder weg in anderen Städten, in anderen Produktionen. So
       einen familiären Ort wie den Buttclub, an dem man aufgehoben ist, an dem
       man sich trifft und Konzerte macht und zusammenarbeitet, den gibt es hier
       nicht – zumindest nicht für mich. Ich habe länger danach gesucht und ihn
       nicht gefunden. Aber vielleicht muss ich ihn auch einfach selbst gründen.
       
       Fühlen Sie sich denn wohl hier? 
       
       Wenn ich von außerhalb nach Berlin zurückkomme, habe ich oft das Gefühl,
       ich komme an und bin trotzdem noch nicht zu Hause. Weil die Stadtteile so
       weit voneinander entfernt sind und die Menschen, die ich treffen möchte,
       eine Stunde brauchen, bis sie bei mir sind. Und es ist einfach so, dass
       meine engsten Freunde noch in Hamburg wohnen. Manchmal sehe ich Berlin wie
       einen Stadtteil von Hamburg oder Hamburg wie einen Vorort von Berlin, das
       ist auf der einen Seite gut für die Deutsche Bahn, aber schlecht für mein
       Gefühl vom Angekommensein.
       
       Immerhin leben viele Ihrer Kollegen der Hamburger Schule heute in Berlin.
       Es gab da einen richtigen Künstlerexodus … 
       
       Tocotronic sind hier oder auch Jochen Distelmeyer, aber es sind noch
       genügend Bands und Labels dort, um von einer Hamburger Musikszene sprechen
       zu können: Die Goldenen Zitronen, Die Sterne, Buback, Audiolith. Die
       Zitronen haben neulich im Lido gespielt, und da hat man sich danach dann
       eben Backstage getroffen, und es waren ganz viele Exilhamburger da. Das war
       eine Party wie im Golden Pudel Club in Hamburg. Nur eben in Berlin.
       
       11 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Patricia Hecht
       
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