# taz.de -- BRD missachtet Menschenrechte: Warten, bis kein Arzt kommt
       
       > In Hannover ist ein Flüchtlingsbaby gestorben, nachdem es im Krankenhaus
       > nicht behandelt worden war. Wie steht es um die Gesundheitsversorgung von
       > Flüchtlingen?
       
 (IMG) Bild: Eigentlich ein Menschenrecht: Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge.
       
       HAMBURG taz | Eigentlich ist die Sache klar geregelt – und zwar schon
       lange: Gesundheit darf kein Privileg sein. Festgeschrieben ist dies im
       UN-Sozialpakt, der „jedermann“ Zugang zu ärztlicher Behandlung zusichert.
       Dem Pakt ist die Bundesrepublik 1976 beigetreten. Für Illegalisierte,
       Geduldete und Flüchtlinge mit laufendem Asylverfahren regelt darum das
       Asylbewerberleistungsgesetz, was ihnen zusteht:
       
       „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die
       erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung zu gewähren“, heißt es
       dort. Das umfasst auch alle „zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung
       von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen“. Wer keine
       Krankenversicherung hat oder nicht selbst die Arztrechnung bezahlen kann,
       für den muss das Sozialamt einspringen – egal, ob der Aufenthalt in
       Deutschland legal, wackelig oder illegal ist.
       
       Doch die Realität sieht anders aus. Ärzte, Sozialarbeiter und NGOs
       berichten von Krebskranken, denen die Chemotherapie verweigert wird, von
       Patienten, die keine Anschlussbehandlungen bekommen, von Schwangeren, für
       die Vorsorgeuntersuchungen unbezahlbarer Luxus sind, von Laboren und
       Krankenhäusern, die aus Angst, auf Kosten sitzen zu bleiben, selbst
       kleinere Leistungen verweigern – von Operationen ganz zu schweigen.
       
       „In Deutschland haben viele MigrantInnen keine Krankenversicherung und
       keinen regulären Zugang zu medizinischer Versorgung“, heißt es in einer
       Erklärung, die 80 Organisationen am Weltgesundheitstag am 7. April
       veröffentlichten. „Die Folge: Behandelbare Erkrankungen entwickeln sich zu
       vermeidbaren Notfällen.“
       
       Oft bleibt nur die Hilfe der privat organisierten Medibüros, die
       MigrantInnen an solidarische Ärzte vermitteln. Die behandeln auch, wenn
       unklar ist, ob sie hinterher dafür bezahlt werden. Solche Notlösungen
       sollten eigentlich längst überflüssig sein.
       
       Doch nach Zahlen der Organisation „Ärzte der Welt“ verzichtet EU-weit die
       große Mehrheit papierloser Migranten auf eine medizinische Behandlung.
       Dabei leidet jeder Sechste von ihnen an chronischen Gesundheitsproblemen.
       80 Prozent sei in ihrer letzten Krankheitsepisode keine Kostenübernahme
       zugute gekommen.
       
       Schätzungen zufolge leben allein in Deutschland rund eine halbe Million
       Menschen ohne Aufenthaltsstatus. Bis 2009 waren die Sozialämter
       verpflichtet, jeden Fall von illegalem Aufenthalt der Ausländerbehörde zu
       melden. Deshalb mussten Papierlose fürchten, nach dem Arztbesuch verhaftet
       und abgeschoben zu werden.
       
       2009 beschloss die Bundesregierung, dass die Namen- und Adressdaten von
       Patienten ohne Aufenthaltsstatus nicht mehr an die Ausländerbehörden
       weitergegeben werden müssen. Die Übermittlungssperre von Informationen, die
       dem Arztgeheimnis unterliegen, wurde erweitert, der „verlängerte
       Geheimnisschutz“ galt fortan nicht nur für Ärzte, sondern auch für die
       Krankenhausverwaltung und das Sozialamt – ein deutlicher Fortschritt.
       
       Doch im Oktober 2013 urteilte das Bundessozialgericht, dass der sogenannte
       Nothelfer-Paragraf nicht für Patienten gilt, die dem
       Asylbewerberleistungsgesetz unterliegen – also Illegalisierte, Geduldete,
       Flüchtlinge mit laufendem Asylverfahren.
       
       „Wir machen die Erfahrung, dass Hilfe in der Notaufnahme wieder schwieriger
       geworden ist“, sagt Christiane Wiedemann vom Medibüro Hamburg. „Wir haben
       immer wieder Fälle, dass Menschen in den Klinken abgewiesen werden und nur
       die minimalste Behandlung bekommen.“ Denn seit dem Urteil gehen die
       Krankenhäuser wieder dazu über, wegen des Kostenrisikos die Daten der
       Notfallpatienten zu erfassen oder Adressen von Verwandten zu bekommen, um
       anschließend die Leistungen als „Selbstzahler“ einfordern zu können.
       
       Verschärft werde diese Entwicklung durch die Ökonomisierung der
       Krankenhäuser. Deshalb sei es nicht selten, dass am Empfang der
       Notaufnahmen kaum noch medizinisches Personal sitzt, sondern Mitarbeiter
       aus der Verwaltung, die sich weniger für die Anamnese als für die Bonität
       des Patienten interessieren. „Wir hatten gerade einen aktuellen Fall, bei
       dem das Krankenhaus die Polizei zur Personalienfeststellung gerufen hat“,
       sagt Wiedemanns Kollegin Millie Schroeder. „So etwas führt dazu, dass viele
       Hilfebedürftige die Notaufnahme viel zu spät aufsuchen.“
       
       Ohnehin galt die Nothelfer-Klausel nur für Notfälle. Sie greift nicht, wenn
       sich Irreguläre mit der Bitte um einen Krankenschein direkt an das
       Sozialamt wenden. Die medizinische Behandlung bei niedergelassenen Ärzten
       bleibt irregulären Migranten faktisch weiterhin versperrt.
       
       Für Menschen mit laufendem Asylverfahren ist die Lage besser, aber
       ebenfalls problematisch. Bremen und Hamburg sind als einzige Bundesländer
       dazu übergegangen, Asylbewerbern eine Versichertenkarte auszustellen. Doch
       vor allem in Hamburg gibt es Probleme. Dort müssen die Flüchtlinge teils
       sieben Monate warten, bis sie eine Versicherungskarte bekommen, weil die
       Behörden angeblich so lange brauchen, um die Mittellosigkeit zu überprüfen.
       „Diese Menschen sind ohne Gesundheitsschutz und insbesondere für schwangere
       Frauen oder Traumatisierte ist das ein Problem, denn sie können keine
       Fachärzte aufsuchen“, sagt Christiane Wiedemann vom Medibüro Hamburg.
       
       Den Flüchtlingen der Lampedusa-Gruppe mit EU-Status hatte Sozialsenator
       Detlef Scheele (SPD) geraten, im Notfall den 112-Notruf zu wählen. „Dann
       bekommen sie als erstes die Rechnung von der Feuerwehr“, sagt Wiedemann.
       Das gilt auch für Flüchtlinge mit EU-Status, die Versicherungsschutz in
       Ländern wie Italien, Spanien oder Portugal besitzen. Sie könnten zwar beim
       Sozialamt einen Antrag auf einen Krankenschein stellen, doch die Behörde
       sei verpflichtet, das der Ausländerbehörde zu melden, sagt Schroeder. „Es
       droht ihnen die Abschiebung.“
       
       In den übrigen 14 Bundesländern müssen Flüchtlinge für jeden Arztbesuch
       einzeln zum Sozialarbeiter des Flüchtlingsheims gehen und um einen
       Krankenschein bitten, den sie dann bekommen – oder auch nicht, wenn der
       Sozialarbeiter der Meinung ist, der Arztbesuch sei überflüssig. „Ein
       Unding, dass das Nicht-Mediziner machen dürfen“, sagt Elène Misbach vom
       Büro für medizinische Flüchtlingshilfe Berlin. Immer wieder werden
       spektakuläre Fälle bekannt, in denen Asylbewerber schwer erkrankt oder gar
       gestorben sind, weil die Sozialarbeiter entweder nicht erreichbar waren
       oder den Krankenschein nicht rechtzeitig ausgestellt haben. Erst am 15.
       April wurden zwei Mitarbeiter des Flüchtlingsheims im bayrischen Zirndorf
       zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie dem 15 Monate alten Leonardo
       Petrovic den Transport ins Krankenhaus verweigert hatten, obwohl der an
       einer lebensgefährlichen Meningokokkeninfektion litt. Das Kleinkind
       überlebte am Ende nur durch 25 Hauttransplantationen, Amputation von
       Fingern und Zehen.
       
       25 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
 (DIR) Kai von Appen
       
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